In Hinsicht auf die deutsche Serienentwicklung ist 2017 bislang ein Jahr, in dem leiser Optimismus mitschwingt. Nachdem Maxdome mit seiner ersten Eigenproduktion "jerks.", einer Comedy ohne klassischem Dialogdrehbuch, im Januar den Anfang gemacht hat, folgte wenig später das actionreiche "You Are Wanted" von Matthias Schweighöfer bei Amazon. Für die späteren Monate des Jahres stehen dann noch Tom Tykwers "Babylon Berlin" und Netflix' vielversprechendes "Dark" auf dem Zettel. Doch nun erstmal: "4 Blocks". Die gemeinsame Produktion von Wiedemann & Berg und TNT Serie, die mit ihrer Beschreibung und den ersten Bildern eine klare Ansage Richtung der italienischen Mafia-Serie "Gomorrha" machen möchte.
"Das können wir auch!", hört man beinahe die Stimme von Regisseur Marvin Kren ("Rammbock") im eigenen Hinterkopf schallen, während die ersten Folgen verstreichen. Denn wie bei "Gomorrha" liefert auch "4 Blocks" von Beginn an grandiose Bilder, die schonungslos die Innenansicht einer Verbrecherorganisation liefern – hier ist es der arabische Clan der Hamadys, der über Berlin-Neukölln herrscht. Im Zentrum steht Ali "Toni" Hamady (Kida Khodr Ramadan), der gemeinsam mit Frau Kalila seine "vier Blocks" und die kriminellen Geschäfte hinter sich lassen möchte.
Doch nachdem sein Schwager Latif (Massiv) bei einer Razzia verhaftet wird, fühlt sich Toni dazu berufen, erneut die operative Führung des Clans zu übernehmen. Wer ihm dabei nicht ganz zu Hilfe kommt, ist sein unberechenbarer Bruder Abba (Veysel), der sich bereits als neues Familienoberhaupt sieht. Schnell wird klar, dass die Männer ihre Differenzen nur äußerst selten ruhig und sachlich ausdiskutieren - und daher sollte man sich vor dem Fernseher von Anfang an auf ruppige Umgangsarten gefasst machen. Dies wird auch dadurch gefördert, dass mit dem SEK und der "Hells Angels" ähnelnden Biker-Gang "Chtulhu Berlin" zwei weitere Stress-Faktoren auf den Plan treten, die ordentlich Gewalt ins Spiel bringen. Nazis natürlich inklusive.
"4 Blocks" klingt bis zu dieser Stelle wie ein Genre-Ableger, der durch einen typischen Story-Baukasten entstanden ist. Marvin Kren schafft es aber vor allem mit Lokalkolorit einen wichtigen Schritt Richtung Unverkennbarkeit zu gehen. So können sich Berlin-Kenner an Fernsehturm-Shots stets daran orientieren, wo die Geschichte sich gerade wohl abspielen muss, während im nächsten Moment Schlagwörter wie Kiez, Tempelhofer Feld und Görlitzer Park fallen. Wenn Toni und seine Jungs durch Neukölln schlendern, kann es auch mal vorkommen, dass sie Hipstern über den Weg laufen, die dafür sorgen, dass "4 Blocks" dann auch mal etwas an (An)Spannung verliert.
Dies tut nicht nur Toni gut, der dauerhaft darum bemüht ist, jegliche Eskalation zu vermeiden, sondern auch dem Zuschauer, der zwischen all den intensiven Szenen durchaus Verschnaufpausen benötigt. Kren schafft es nämlich, in manchen Momenten an Nicolas Winding Refns "Drive" zu erinnern, wie er beispielsweise mit dem ersten Aufeinandertreffen von Toni und seinem beinahe vergessenen Freund Vince (Frederick Lau), der sich in einigen Zügen von Tom Hardy in "Warrior" hat inspirieren lassen, beeindruckend beweist. Die Sekunden, in denen er nämlich mit dem Rücken zu ihm gedreht den Hammer in seiner Hand immer fester zudrückt und sich im schummrigen Licht auf die nächste Aktion vorbereitet, hätten auch von Ryan Gosling als "Driver" gespielt werden können. Zu viel davon und dem Zuschauer geht schnell die Puste aus.
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In "4 Blocks" sind es vor allem Shots wie diese, die kunstvoll beweisen, dass auch Deutschland Serien schick machen kann. Dramaturgisch folgt man dennoch weitestgehend konventionellen Mustern, gibt es doch eigentlich keinen Moment, in dem man wirklich von einer Entscheidung überrascht wird. Gewisse Situationen wirken zudem etwas zu konstruiert, wie etwa der mit Logiklöchern versehener Story-Twist rund um Vince. Genau an dieser Stelle fehlt es in den ersten Folgen an Griffpunkten, um einen zufriedenstellenden Vergleich mit den "Sopranos" aufkommen zu lassen. Hier kann Toni noch etwas von Tony lernen.
Potential für eine denkwürdige Gangster-Serie ist aber auf jeden Fall vorhanden. Doch egal wie es mit der TNT-Serie-Serie weiter geht: Schauspielerisch bestätigte nicht nur Frederick Lau sein unfassabares Können, sondern Kida Khodr Ramadan auch, dass die letzten Sekunden zu seinem endgültigen Durchbruch gezählt sein müssen. Ramadon konstruiert mit seiner Diversität eine Figur, die zwischen knallhartem Geschäftsmann, typischem Gangster und liebevollem Familienvater schwingt und liefert damit eine Performance ab, von der man noch reden wird. Eine beinahe noch größere Überraschung: Die Rapper Massiv und Veysel haben aus ihren Musikvideos ein recht ordentliches Schauspieltalent mitgebracht.
Eine Sache wäre für die Weiterentwicklung von "4 Blocks" jedoch wünschenswert: Lieber Marvin Kren, verlieren Sie sich bitte nicht unnötig oft in platten Gangster-Attitüden, die schon so einigen Genre-Kollegen - wie neuerdings "Snatch" - zum qualitativen Verhängnis wurden. Denn wenn sich etwas hinter dem interessanten Dreieck bestehend aus SEK, Cthulhu Berlin und dem Hamady-Clan befindet, dann sind es allerhand Konflikte, die wie bei den "Sons of Anarchy" fantastisch in Szene gesetzt werden können und sich nicht nur auf "Hurensohn"-Auseinandersetzungen ausruhen.
Die sechsteilige erste Staffel von "4 Blocks" läuft seit dem 8. Mai jeden Montag um 21 Uhr auf TNT Serie.