Die menschlichen Abgründe, die sich diese Woche im ZDF-Abendprogramm auftun, schimmern abwechselnd dunkelgrün und ocker, sind mit giftigem Neonlicht ausgeleuchtet und Teil eines „Gesellschaftspanorama(s), wie man es im deutschen Fernsehen bislang nicht gesehen hat“. Sagen die Produzenten (ganz bescheiden über ihr eigenes Werk).
Und man könnte hinzufügen: Vielleicht war das bislang aus gutem Grund so.
Seit Monaten feiert UFA Fiction ihre mit Beta Film produzierte Miniserie „Der gleiche Himmel“, die unbestreitbar zu den diesjährigen Programm-Höhepunkten im ZDF gehört. Premiere feierte „The Same Sky“ im vergangenen Jahr auf der Mipcom in Cannes. Netflix hat sich bereits die Ausstrahlungsrechte fürs Ausland gesichert. Im deutschen Fernsehen läuft die Ost-West-Geschichte der britischen Autorin Paula Milne nun in drei ZDF-übliche Fernsehfilmlängen portioniert nacheinander weg. (Nur am Dienstag ist kurz Pause, wodurch sich praktischerweise dem ARD-Erfolg „Charité“ aus dem Weg gehen lässt.)
Das Prestige-Projekt hat eigentlich alles, was fesselnde Unterhaltung braucht: einen hochinteressanten zeithistorischen Hintergrund, eine hervorragende Besetzung und eine neugierig machende Geschichte.
Die spielt Anfang der 70er im geteilten Berlin – genauer gesagt: im Jahr 1974, als Willy Brandt über die Guillaume-Affäre stolpert, der amerikanische Präsident Richard Nixon wegen Watergate zurücktritt und die Bundesrepublik Deutschland Fußball-Weltmeister wird. Mitten im Kalten Krieg, der auf deutschem Boden zwei höchst unterschiedliche Weltanschauungen aufeinander treffen lässt.
Im Mittelpunkt steht Lars Weber, der von seiner Ausbildung in der DDR-Agentenschule direkt ins kapitalistische West-Berlin beordert wird, um dort unter falscher Identität als „Romeo-Agent“ einer gewissen Lauren Faber den Kopf zu verdrehen. Die ist Mitarbeiterin der britisch-amerikanischen Abhöranlage auf dem Berliner Teufelsberg – und alleinstehend. Weber soll das ändern, um über sie an geheime Informationen zu kommen.
Obwohl durchaus Parallelen bestehen, ist „Der gleiche Himmel“ kein „Deutschland 74“ – dazu fehlt es der UFA-Produktion nicht nur an Tempo, sondern auch an Fokus. Das ist allerdings Absicht und liegt am Ehrgeiz, in die mit viereinhalb Stunden ohnehin knapp bemessene Zeit noch zwei weitere Haupterzählungsstränge zu schieben. Ein homosexueller Lehrer plant – der Liebe und der Freiheit wegen – seine Flucht in den Westen; und eine Ost-Berliner Familie, deren Tochter in den Olympia-Kader der DDR-Schwimmer aufgenommen wird, droht an den damit verbundenen Kompromissen zu zerbrechen.
All das inszeniert Regisseur Oliver Hirschbiegel („Der Untergang“) durchaus mit eindrücklicher Beklemmung, begleitet von einem düsteren Diavortrag zurechtgephotoshoppter Bilder aus dem geteilten Berlin. (In Dunkelgrün und Ocker, wie gesagt.) Es führt nur leider nirgendwo hin.
Nüchtern betrachtet gibt es in „Der gleiche Himmel“ keine Geschichten, die sich entwickeln – nur Konflikte, die sich langsam steigern, im Zweifel sogar ohne zu eskalieren. Die Spionage-Story um den jungen Ost-Agenten, gespielt von Tom Schilling, nimmt nach der Hälfte der Zeit zwar eine überraschende Wende. Aber bloß, um anschließend nochmal neu gebootet zu werden und mit leicht verschobener Perspektive fast genauso von vorn loszugehen. Einen klassischen Showdown gibt es nicht. Dafür ein sich im dritten Teil langsam anbahnendes Ende, das aufgesetzt wirkt.
Die anderen beiden Handlungsstränge nehmen eilig Ausfahrten, die schon deshalb unglaubwürdig sind, weil sie erst kurz vor dem Abspann auftauchen. (Es sei denn, Sie finden’s nicht merkwürdig, dass einem der Hauptcharaktere gleich zweimal nacheinander zwei hochriskante Fluchtmöglichkeiten aus der DDR in den Schoß fallen – wir haben da schon mal was vorbereitet.)
Während „Der gleiche Himmel“ damit beschäftigt ist, ein durchaus reizvolles Spionage-Drama zum „Gesellschaftspanorama“ aufzupumpen, versäumt die Produktion leider, den Schauspielern die Möglichkeit zu geben, ihren Charakteren mehr Tiefgang zu verleihen.
Tom Schilling ist zwar großartig als „Romeo“, die wachsenden Zweifel an der Richtigkeit seiner Mission darf er aber nur über ein paar vielsagende Blicke andeuten und macht sie sonst weitgehend mit sich selbst aus. Einmal fragt er den Vater (Jörg Schüttauf): „Hast du jemals bezweifelt, dass das richtig ist, was wir hier machen?“ Der Impuls, sich dem System zu widersetzen, erwächst daraus nicht.
Ben Becker spielt den völlig verkommenen Führungsoffizier, von dem Weber seine Befehle entgegennimmt. In der abgeranzten Lederjacke kann man ihn förmlich durch den Bildschirm riechen. Doch trotz der Bedrohlichkeit, die Becker in seine Rolle hineingibt, ist er die meiste Zeit dazu verdonnert, als Beobachter mit seinem braunen Transporter zu verwachsen und so arg Kette zu rauchen, als müsse er eine Wette mit dem Marlboro-Mann gewinnen.
Geradezu furchteinflößend ist Anja Kling als ehrgeizgetriebene Mutter, die den sportlichen Erfolg ihrer Tochter um jeden Preis will – auch, um selbst von den der Familie versprochenen Privilegien zu profitieren. Als sie damit auf Widerstand beim Vater stößt, kommt es zum Streit. Der sich nachher mit einem Fingerschnips auflöst, als sei nichts gewesen.
Dass manche Nebenfiguren geradezu wie Karikaturen des Unglücks wirken, sind dann doch ein paar Abgründe zuviel: Laurens Sohn Emil etwa agiert übertrieben aggressiv gegen die eigene Mutter, und dass sein Weltschmerz ihn unweigerlich in die Arme der RAF führen wird, darf man sich als Zuschauer dank unübersehbarer Andeutungen selbst dazu denken. Der kurios-naive Tobias verpfeift derweil seine Tunnel-buddelnden Kumpel, damit die Stasi ihm nicht wie angedroht die Mutti einbestellt, und glaubt, damit sei die Sache für ihn erledigt. Das wirkt nicht echt. Sondern so, als seien im gesellschaftlichen Rundblick noch ein paar Standards zu besetzen gewesen.
Außer Frage steht, dass man dem Dreiteiler die Ambition ansieht, mit der er gemacht wurde. Der Umgang mit den Gefangenen im Stasigefängnis in Berlin-Hohenschönhausen ist derart historisch exakt abgebildet, dass jedem, der die Gedenkstätte dort schon einmal besucht hat, ein eiskalter Schauer den Rücken herunterläuft. Amerikanische und britische Protagonisten sprechen tatsächlich Englisch und sind untertitelt (was im deutschen Fernsehfilm, in dem auch am anderen Ende der Welt immerzu jemand Deutsch zu sprechen vermag, alles andere als selbstverständlich ist).
Und obwohl die über die Fernsehbildschirme flimmernden historischen Ereignisse oftmals wie starre Geschichtskulissen in den Szenen herumstehen, weiß „Der gleiche Himmel“ die Atmosphäre der 70er Jahre geschickt zu inszenieren.
Schon deswegen dürfte der Dreiteiler sein Publikum finden. Zumal er den Sehgewohnheiten des deutschen TV-Mainstreams weit entgegenkommt und keine Scheu vor überdeutlicher Symbolik hat. (Bei seiner „Romeo“-Mission liest Lars „A Tale of Two Cities“ von Charles Dickens, um mit Lauren ins Gespräch zu kommen – zwei Städte, gerade so wie Ost- und West-Berlin! Und als er sich an die „Zielperson“ ranmacht, läuft im Café unmissverständlich „Voulez-vous coucher avec moi ce soir?“/„Lady Marmalade“.)
Dennoch wäre es eine gute Idee gewesen, einen soliden Serienstoff nicht als gesellschaftliches Sittengemälde aufzuladen. Und stattdessen eine klar fokussierte Geschichte zu erzählen, die sich intensiver um ihre wesentlichen Protagonisten kümmert – und weniger beschwipst ist von der eigenen Wichtigkeit.
„Der gleiche Himmel“ läuft am Montag, Mittwoch und Donnerstag um 20.15 Uhr im ZDF.