Es ist ein großer historischer Stoff, den die ARD da in sechs Folgen in Angriff nimmt. Es geht um eine wissenschaftlich aufregende Zeit. Gegen Ende des 19. Jahrhunderts forschen Robert Koch, Emil von Behring, Paul Ehrlich und Rudolf Virchow an der Charité, dem ältesten Krankenhaus Berlins. Es werden spektakuläre Erfolge erzielt werden, das weiß man heute, aber in der Miniserie geht es erst einmal um die begleitenden Widrigkeiten, um mangelnde Hygiene, um Konkurrenzneid unter den Wissenschaftlern, um starre Rollenbilder der Kaiserzeit, um eine Muffigkeit der Konventionen.
Es ist ein wichtiges Projekt fürs Erste. Mit jeder Menge Vorschusslorbeeren wurden Vorbereitungen und Dreh begleitet, auch weil Sönke Wortmann als Regisseur und Dorothee Schön und Sabine Thor-Wiedemann als Autorinnen und Holly Fink als Kameramann und die UFA als Produktionsfirma schon vorab für eine gewisse Fallhöhe der Unternehmung garantierten. All überall Spitzenkräfte, was sollte da schiefgehen?
Nun ja, so einiges. Nach Ansicht der ersten drei Folgen möchte man seufzen und sagen: Ach ja.
Wenn man solch einen historischen Stoff erzählt, hat man halt verschiedene Möglichkeiten. Man kann eine große emotionale Geschichte erzählen und die Historie der Story unterordnen, oder aber man klammert sich an die Historie und ordnet den Fakten die Geschichte unter. Für Letzteres haben sich die „Charité“-Macher ganz offensichtlich entschieden.
Das ist so fein und akribisch ausgestattet, dass man den Staub der Erstarrung, der in jenen Jahren auf so vielem lagerte, förmlich riechen kann. Es ist zu spüren, wie die Menschen geleitet wurden von Zwängen, von einer Ordnung, die ihnen gottgegeben erschien und die doch nichts anderes war als Mittel zur Drangsalisierung des Einzelnen und zur Gängelung der Frauen im Besonderen.
Wie schon in der kürzlich zu besichtigenden Geschichtsstunde mit Katharina Luther wird auch hier wieder die Geschichte einer Frau erzählt, die sich nicht damit abfinden mag, dass sie allein zum Kinderkriegen und für den Haushalt abgestellt wird. Im Krankenhaus muss sie arbeiten, um die Kosten einer Behandlung abzustottern. Genau dort entdeckt sie ihr Faible für die Medizin. Sie würde gerne, aber sie darf nicht. Als sie einmal in einem Hörsaal beim Lauschen erwischt wird, weist sie der Professor in ihre Schranken. „Die zarte Konstitution der Frau ist für die Mühsal des Arztberufs nicht geschaffen“, höhnt er und verweist sie des Raumes. Dass sie nicht aufgeben wird, kann man da schon ahnen.
Man darf ziemlich sicher davon ausgehen, dass „Charité“ ein Quotenerfolg werden wird. Die Zuschauer des deutschen Fernsehens mögen diesen Anschein von historischer Genauigkeit, weil sie in der Mehrzahl halt sehr alt sind, weil sie noch aus Zeiten stammten, als der Herr Doktor eine absolute Respektperson war. Da verfängt solches Rückblendenfernsehen sehr gut, weil es verspricht, die Dinge in ihrer vermeintlich guten alten Ordnung zu zeigen und zu belassen.
Für jüngere Zuschauer dürfte diese Serie indes wenig zu bieten haben, denn es hat ganz offenbar der Mut gefehlt, groß zu erzählen, eine Emotion zu setzen, das Gefühl einer die Geschichte überragenden Ambition. Es gibt eine Liebesgeschichte, aber die ist so spröde inszeniert, dass sie so auch in die „Lindenstraße“ passen würde. Unwillkürlich fragt man sich beim mühsamen Zuschauen: Was hätten die Amerikaner daraus gemacht? Oder die Engländer?
Man muss ja gar nicht so weit gehen und das 25 Jahre später spielende Epos „Downton Abbey“ als Referenz heranziehen. Es hätte schon gereicht, ein ganz klein wenig vom eher akademisch gelegten Weg abzuweichen und hier und da auch mal ein paar Schritte aufs ungemähte Gras zu wagen.
So ist „Charité“ ein Stück Fernsehen geworden, das genau den Staub atmet, den es in seiner historischen Akribie vorher ausgestreut hat. Das macht das Zuschauen mühsam, und es macht traurig, weil man ständig spürt, wie nah man hier der Möglichkeit zu großem Fernsehen gekommen ist und dann doch den Abzweig verpasst hat. Seufz. Ach ja.
"Charité" läuft immer dienstags um 20:15 Uhr, los geht's heute mit einer Doppelfolge.