Ist das nun sehr früh, arg spät, gerade recht? Genau 12:38 Minuten dauert es ab heute bei Sky, bis sich zwei Körper in hitziger Leidenschaft vereinen. Keine Viertelstunde also bis zum ersten Sex makelloser Leiber im Kerzenschein – ob es Anfang des 15. Jahrhunderts länger dauerte, bis ein Mitglied der Medici in der Kiste gelandet ist oder schneller ging, können auch Historiker nur mutmaßen; im Rahmen handelsüblicher Geschichtsserien jedoch wirkt die Spanne vom Vorspann zum Orgasmus fast episch. Doch keine Sorge: kurz darauf vögelt die Titelfigur erneut, dass sich die Betten biegen.

Und zwar im Schnittwechsel mit seinem Bruder, der parallel halb Rom für die bevorstehende Papstwahl besticht. Es geht also hoch her in der Fernsehvergangenheit. Wobei es wie so oft keine exakt verbürgte, sondern bildschirmgerechte ist. Diesmal im Kreise der einstmals mächtigsten Dynastie ohne Thron in Europa. Nach den Tudors und Borgia, Stuarts und Bourbonen, den Musketieren, Marco Polos und Rebellen wie Robin Hood kündet nun also die Medici von einer fernen, doch dabei nahen Epoche: Der Renaissance.

Geschichtswissenschaftlich gesehen der Übergang vom Mittelalter zur Neuzeit, ist sie medienwissenschaftlich betrachtet das perfekte Zeitalter, um den Zuschauerbedarf nach einem festen Moralkorsett zu bedienen, das die Guten gegen das Böse verteidigen. Wo das berühmte Banker-Geschlecht dabei steht, ist auch nach Folge 8 noch offen. Die Herrscher von Florenz, so der Untertitel, als Opfer einzuführen, ist allerdings auch schon mal ein Statement. Vor 587 Jahren nämlich isst Giovanni de‘ Medici fröhlich von den Früchten seines Weingutes über der florierenden Stadt und fällt von Krämpfen geschüttelt zu Boden.

Gift!

So beginnt die „spannende Historien-Thrillerserie über Aufstieg und Fall der intriganten Machtfamilie“, wie Sky sein opulentes Format bewirbt. Und der Einstiegsmord im toskanischen Idyll legt gleich mal die Lunte ans Fass zeitgenössischen Historytainments. Ein riesiges Erbe ist zu verteilen unter Giovannis Söhnen Cosimo und Lorenzo. Ihr Vater, feingliedrig und zugleich wuchtig verkörpert von Dustin Hoffman, hat es vom kleinen Geldverleiher zum Gründer der stolzen Banco Medici gebracht. Doch als Kreditgeber der Kurie haben ihre Eigner nicht nur Freunde. Im Gegenteil. Die Albizzi zum Beispiel – verglichen mit ihrer krankhaft ehrgeizigen, aber pragmatischen Konkurrenz ein Haufen kriegslüsterner Haudegen vom mittelalterlichen Schlag.

Zwischen derlei Sippen entspinnt sich fortan im belegbaren Renaissanceambiente eine zweifünftelfiktive Story, die abseits detailverliebter Kostüme und Kulissen alles bietet, was das Publikum mag: Es wird gesoffen, gemordet, bestochen, intrigiert, betrogen und reichlich gehurt. Selbst für die Privilegierten dieser Tragödie shakespearescher Art steht das Überleben stets auf der Kippe. Verroht sind nicht nur die Sitten, sondern fast alles in dieser dreckstarrenden, brutalen, bigotten Ära. Wer nicht mit Dolch im Rücken endet, tut es rasch durch Hunger, Krieg oder die Pest, von der Florenz ab Folge drei besucht wird.

Trotz Buchdruck, Dante und Kolumbus steht der Humanismus halt noch auf wackeligen Beinen. Selbst im fortschrittlichen Florenz, das Geistesgrößen von Galilei über da Vinci bis Machiavelli anlockt, lässt die Moderne noch auf sich warten. Dramaturgisch wird das allerdings durch die Aktualität tragender Rollen kompensiert. Er mag zwar Wörter wie Gemahlin und Beinkleid benutzen; mit Rehblick zum Hipsterbart verleiht Richard Madden (bekannt als Robb Stark in Game of Thrones) seinem Cosimo eine Gegenwärtigkeit, die vom unzeitgemäßen Selbstbewusstsein vieler Gespielinnen sogar noch übertroffen wird. Aber so war das Personal des Historiengenres ja schon immer: Ihrer Ära Jahrhunderte voraus – was vielleicht besser erklärt, warum es – wie Cosimo und Lorenzo – über Jahrzehnte jedem Alterungsprozess trotzt.

Jonathan Ryhs Meyers etwa wirkt als viriler Heinrich VIII. anno 1532 im Showtime-Epos Tudors wie eine Kreuzung aus Vin Diesel und Tom Cruise. Seine königliche Nachfahrin Maria Stuart erinnert im Sixx-Format Reign an ein feministisches Topmodel. Und so sehr sich der Cast zweier Serien über die Borgia 2011 auch um Authentizität bemühte: im CGI-Orkan agierte er hypermodern glattgebürstet wie im Computerspiel. Genau das aber ist es, was Fans erwarten. Mehr noch als das popkulturell aufgemotzte Wanderhuren-Mittelalter ist die Medici-Wirklichkeit nämlich weit genug weg von unserer, um die bittere Machtlosigkeit des Einzelnen leichter zu ertragen. Andererseits kann man sich dank der damaligen Entwicklung von der göttlichen zur individuellen Verantwortung einer ungemein kreativen Zeit ganz gut mit den Protagonisten identifizieren.

Im Fall von Papa Giovanni, der dank vieler Rückblenden weiter ins Werden der Erben eingreift, wirkt das besonders aktuell. Während die Albizzi in ihrer paranoiden Rohheit populistischen Parvenüs von Trump bis AfD ähneln, sind die Medici eher Altpartei: tief im Morast des Systems, aber am Status Quo der kapitalistisch-demokratischen Grundordnung damaliger Prägung interessiert. Krieg lehnen sie ebenso ab wie Unmenschlichkeit – schon weil beides den Profit schmälert. Beim Heimdebüt in Italien erreichte Sergio Mimica-Gezzan, der schon den Geschichtsschinken Die Säulen der Erde für heutige Ansprüche modernisiert hatte, rund 7,5 Millionen Zuschauer. Dass tüchtig gevögelt wird, dürften sie zumindest geahnt haben.