Man hat ja viel davon gehört, dass sich private und öffentlich-rechtliche Sender immer ähnlicher werden. Meist ging es dabei um das Kopierverhalten von ARD und ZDF, die oft abkupferten, was die Kommerzkollegen vorgelegt hatten. Seit diesem Samstag muss man umlernen, denn ein öffentlich-rechtlicheres Programm als „Deutschland tanzt“ hat die Fernsehwelt noch selten gesehen.
Zwar prangte oben rechts in der Bildschirmecke noch das ProSieben-Logo, aber das war sehr offensichtlich eine bewusste Täuschung. Offenbar hat ProSieben showtechnisch bei ARD und ZDF um Asyl gebeten und dieses auch irgendwie eingeräumt bekommen. Allerdings unter der Bedingung, dass der Münchner Sender sein Programm der unbedingten Biederkeit öffnet und sich einordnet in die Carmen-Nebel-Florian-Silbereisen-Klasse.
Das Prinzip funktionierte so wie einst Stefan Raabs Bundesvision-Contest, nur dass diesmal nicht die Musik im Vordergrund stand, sondern das, was Promis für Tanz halten.
Die Regeln dieses Föderalismusgezappels sind schnell erklärt. In ausführlichen, sehr ausführlichen, ja geradezu stinklangweilig ausführlichen Einspielfilmen werden 16 Kandidaten und ihr zugehöriges Bundesland vorgestellt, dann hoppeln sie etwas herum, bevor eine Jury ihre Meinung kundtut. Am Ende stimmt das Publikum ab, wer von den 16 in die nächste Show darf.
Das klingt bekannt. Das ist auch bekannt. Und ein bisschen sehr abgelutscht. Das allerdings hindert ProSieben nicht daran, die Angelegenheit auf über vier Stunden zu dehnen, endlose vier Stunden, in denen das Aufregendste die Werbung für einen Doppelvibrator („Alles hat richtig vibriert.“) ist.
Schon früh fällt ein Satz, der das ganze Drama andeutet. „Er tanzt für Niedersachsen“, heißt es. Man muss nur diesen einzigen Satz hören, um alles zu wissen. Niedersachsen, das Land von Gerhard Schröder und den Scorpions. Und von Oliver Pocher. Der tanzt für Niedersachsen. Man wusste zwar, dass der einst mal als lustig verkannte Mann heruntergekommen ist. Dass er soweit heruntergekommen ist, darf man als Neuigkeit werten.
Pocher tritt an als Donald-Trump-Kopie. „Don’t believe me just watch“, dröhnt es aus den Boxen, und Pocher hampelt herum, als habe man ihm gerade heißen Tee in den Schritt gekippt. Ganz offenbar ist die Erkenntnis, dass die Welt nichts weniger braucht als eine Trump-Kopie von Pocher, noch nicht durchgedrungen zum gerne groß sein wollenden Niedersachsen. Sein Auftritt ist dummdreister Populismus, was sehr klar auf Effekt programmiert ist. Doof, aber massenkompatibel.
Das verschafft sogar der offiziell als Moderatorin angetretenen Lena Gercke den einzigen wachen Moment des Abends. „Make Oliver Pocher great again“, sagt sie, aber ihr Tonfall klingt, als glaube sie in dem Moment nicht wirklich daran, dass das gelingen könne. Was für eine Täuschung.
Das verwundert, denn deutlich hörbar hat Gercke Ansage auf der Donald-Trump-Akademie studiert. „Jetzt kommt ‘ne richtig scharfe Frau“, sagt sie einmal, und kurz danach kommt „‘ne echt heiße Frau“. Aus dem Off tönt dazu eine Stimme, die auch nochmal das Weltbild dieser Tanzparty klarstellt. „Im Tango ist der Mann noch ein Mann und die Frau eine Frau.“
Ansonsten wird man den Eindruck nicht los, dass es der Show sicherlich besser getan hätte, wenn irgendwer Gercke vor ihren Ansagen geweckt hätte. Sie moderiert nämlich im Tiefschlafmodus und kriegt als Ansageandroid vom Dienst die Zähne nie so richtig auseinander. „Hier ist so eine Stimmung – Wahnsinn!“, lullt sie, und es klingt, als wolle sie den Susan-Stahnke-Ähnlichkeitswettbewerb gewinnen. „Was für ein erster Auftakt“, japst sie schon zu Beginn. Ja, ja, wie oft hat man sich schon vor zweiten Auftakten gefürchtet.
Als Gegensatz zu Gerckes Schlafwandelmoderationen empfehlen sich die Auftritte der Juroren. Zwei Tanzprofis trumpfen mit ganz vielen dollen Worten auf. Sie sagen Bämm, Wow,Yeaaaah, Huuuuh.
Sie müssten das nicht, denn es wird ohnehin alles Gebotene frenetisch bejubelt. Wahrscheinlich könnte man bei dieser Veranstaltung auch den Bi-Ba-Butzemann aufführen und bekäme dafür orgiastischen Applaus.
Nur einmal wird es wirklich berührend. Als die gehörlose Schauspielerin Kassandra Wedel um kurz vor zehn für Bayern antritt und mit echter Power zu überzeugen weiß, zeigt sich, was diese Show sein könnte, wäre sie nicht nur als Werbeaktion für die Social-Media-Accounts der Promis konzipiert worden. „Was soll denn jetzt noch kommen“, fragt Ingmar Stadelmann danach. Dummdreister Populismus vielleicht?
Stadelmann, den man einst mal als halbwegs ernstzunehmenden Comedian in der Bilanz führte, hat sich offenbar entschlossen, jetzt richtig Geld zu verdienen und sich als Mietmaul zu verdingen. Deshalb muss er nun Tänzer interviewen, die von der Bühne gehechelt kommen.
„Richtig geil“, findet er Kandidatinnen, und wenn eine „Tatort“-Kommissarin zappelt, dann sagt er „Tatort Tanzfläche“. Das ist so komplett frei von Charme, dass man Pocher glatt wieder als Alternative in Erwägung ziehen möchte.
Aufzutrumpfen weiß die Show letztlich nur mit technischer Brillanz. Der Shiny Floor ist ebenso perfekt gewienert wie die Kulisse großartig ausschaut, was sich zur exzellenten Kamera- und Regiearbeit fügt. Da entstehen Bilder, die größer sind als die Möchtegernleistungen der Promis und die Leerformeln der Ansager. Technisch gibt es da nichts zu mäkeln. Das aber offenbart die inhaltliche Leere umso deutlicher.
„Der größte Tanzwettbewerb des Jahres“ (Eigenlob) wird so zur Mischkalkulation, die zum Schluss noch mal richtig peinlich wird, als die beiden Tanzprofis den Saal zum Klatschmarsch animieren wollen. „Deutschland tanzt. Deutschland tanzt“, grölen sie, recken die Arme und merken nicht, dass sie mit solch einer Tour auch auf einem AfD-Parteitag gut aufgehoben wären. Da klatscht nicht einmal Donald Trump-Pocher, und der macht sonst wirklich jeden Scheiß mit.
Am Ende liegt nach einer unglaublich nervigen Abstimmungszeremonie mit unglaublich vielen bildschirmgeilen Nichtsnutzen Oliver Pocher mit seiner Donald-Trump-Nummer ganz vorne, auf dem zweiten Platz landet Kassandra Wedel. Wieder einmal ist eine Frau unterlegen, und der Populist hat gewonnen. Dass sich Geschichte so schnell wiederholt, war nicht anzunehmen. Bämm, Wow, Yeaaaah, Huuuuh.