"Du bist ganz allein", sagt der einstige Mentor zu dem Mann, der ständig von Menschen umringt ist, Dienern, Neidern, Bewunderern, und dem Millionen Menschen auf der ganzen Welt zuhören, wenn er seine Ansprache auf dem Balkon des Petersdoms hält. Pius XIII. ist nicht nur der erste amerikanische Papst in der Geschichte der Katholischen Kirche, sondern auch der jüngste. Klingt wie eine clever ausgetüftelte Marketing-Strategie, um für Aufmerksamkeit zu sorgen. Doch der Heilige Vater hält so gar nichts von Marketing: Der päpstliche Hausfotograf wird gefeuert, das einnahmenträchtige Merchandising eingestellt, und auf den Balkon tritt Pius XIII. im Schatten, ohne dass ihm die Menschenmenge unter ihm ins Gesicht sehen kann.
"Ein unsichtbarer Papst" will er sein, "unerreichbar wie ein Rockstar", hat er den entsetzten Kardinälen zuvor angekündigt. Und den irritierten Gläubigen die ungewöhnlich deutliche Belehrung mit auf den Weg gegeben: "Gott interessiert sich nicht für uns, so lange wir uns nicht für ihn interessieren." Dann ist die Ansprache abrupt beendet, ein Gewitter zieht auf, Blitze zerreißen den nächtlichen Himmel über Rom, Abspann, uff.
Keine zwei Stunden braucht Oscar-Preisträger Paolo Sorrentino ("La grande bellezza"), um in den ersten beiden Folgen seiner neuen Serie "The Young Pope" die Grundfesten der Katholischen Kirche zu erschüttern. Die zehnteilige Serie ist eine Gemeinschaftsproduktion der europäisch-amerikanischen Pay-TV-Schwergewichte Sky, HBO und Canal+ und startet kommende Woche bei Sky Atlantic HD. Am Mittwochabend lud Sky zur Deutschland-Premiere in die Berliner Zwinglikirche, wo Regisseur Sorrentino (Foto unten) erklärte, was ihn an der Thematik gereizt hat: "Wir alle kennen den Vatikan nur oberflächlich. Aber keiner weiß, was wirklich hinter diesen Mauern passiert." Sorrentino natürlich auch nicht. Aber zumindest mangelt es ihm nicht an Vorstellungskraft.
Die Serie beginnt als Alptraum, und kaum ist das neue Oberhaupt der Katholischen Kirche daraus erwacht, setzt sich dieser für sein Umfeld fort, das die Ambivalenz des neuen Papsts zu spüren bekommt. Alte, verkrustete Regeln werden in Frage gestellt, sehr zum Leidwesen derjenigen, die gerne ihre Machtposition im Vatikan gesichert sähen. Der neue Papst raucht in seinen Gemächern – wer könnte es ihm verbieten? Er setzt seine Adoptivmutter, Schwester Maria, als persönliche Assistentin ein und schaut dem Kardinalstaatssekretär genau auf die Finger, der sich darauf einstellt, eine Intrige vorzubereiten.
Braungebrannt in strahlendem Weiß
Bereits in den ersten beiden Folgen, die Sky vorab gezeigt hat, stellt sich Jude Law als hervorragende Besetzung heraus. Er spielt einen unberechenbaren Posterpapst, der braungebrannt in strahlend weißen Gewändern auftritt, rauchend im Beichtstuhl sitzt, präsidentenhaft amerikanisch vom Balkon herunterpredigt und immerzu zwischen Selbstüberzeugung und Zweifel zu schwanken scheint. Einmal sagt er: "Ich bin ein Widerspruch. Wie Gott."
Und genau darauf baut "The Young Pope" auf. Die Serie braucht ihre Zeit, um den Zuschauer an sich zu fesseln. Die erste Folge kommt zu Beginn minutenlang ohne ein gesprochenes Wort aus und lässt ihr Publikum im Unklaren, ob es bereits in der Realität angekommen ist oder noch mit Pius XIII. im Traum verweilt. Dann aber entfaltet die Co-Produktion eine erstaunliche Wucht, auf die man sich freilich einlassen muss. Wer aktionsgeladene Handlungsstränge erwartet, wird enttäuscht. Stattdessen entwickelt sich "The Young Pope" eher zu einer dialoggetriebenen Charakterstudie, freilich mit gewaltigen Bildern.
Vor Beginn der Dreharbeiten habe der (echte) Vatikan Unterstützung bei der Produktion angeboten, gab Sorrentino in Berlin zu Protokoll – für ihn ein untrügliches Zeichen dafür, dass das Gegenteil der Fall sein werde. Immerhin durfte das Team von Wildside und Haut et Court TV in der echten Sixtinischen Kapelle drehen. Die meisten Vatikan-Szenen sind allerdings in römischen Villen entstanden, die entsprechend umdekoriert wurden.An einigen Stellen verirrt sich die Serie arg in großer Symbolik. Der Himmel reißt auf, um frohe Kunde zu tun, und trübt sich ein, wenn Pius XIII. seine Bewunderer im wahrsten Sinne des Wortes im Regen stehen lässt. Und wenn Schwester Maria, gespielt von Diane Keaton, ihrem Adoptivsohn seine neue Verantwortung predigt, wird sie im Sonnenwiderschein von wallenden weißen Vorhängen umrahmt.
Morgens nur Cherry Coke Zero
Glücklicherweise lässt sich über solche Pathos-Grenzüberschreitungen hinwegsehen, weil "The Young Pope" zugleich damit überrascht, erstaunlich humorvoll zu sein. Der Kardinalstaatssekretär ist iPhone-süchtig und beichtet lüsterne Gedanken beim Anblick uralter Statuen. Schwester Maria trägt als Schlafgewand ein T-Shirt mit der Aufschrift "Ich bin Jungfrau – aber das ist ein sehr altes Shirt". Gleichzeitig parodiert Sorrentino schonungslos die Altherrenhaftigkeit der Kardinäle, die beim Angekleidetwerden abwechselnd die Zigarette und die Sauerstoffmaske gereicht kriegen. Und als Pius XIII. erstmals zur üppig mit Köstlichkeiten bestückten Frühstückstafel geführt wird, stellt er klar: "Alles, was ich morgens zu mir nehme, ist eine Cherry Coke Zero." Woraufhin die Bediensteten in Schweiß ausbrechen: "Würde vorläufig auch Coke light reichen?"
Wirklich berechnen lässt sich "The Young Pope" genauso wenig wie der Hauptprotagonist. Die Serie ist kein reines Machtkampf- oder Skandal-Drama, sondern liefert eine Imagination dessen, was passieren könnte, wenn ein neuer Papst sich nicht mehr damit abfinden will, dass alles durch Tradition bestimmt wird und die Ansage macht: "Ich bin für jegliche Form von Gewalt vorbereitet."
Ob es im Vatikan tatsächlich so zugeht? Können Sie glauben. Müssen Sie aber nicht.
Sky Atlantic HD zeigt "The Young Pope" ab 21. Oktober freitags um 21 Uhr sowie auf Abruf bei Sky Go, Sky on Demand und Sky Ticket.