Sein Vorteil war, dass ihn lange niemand ernst nahm. Als Rüpelkomiker und Rustikalansager wurde er geschmäht. Seine Idee der vorbereitungsbefreiten Gästebefragung trug ihm Schelte ein. Dabei war sie letztlich doch nichts weiter als die Parodie der sinnbefreiten Showinterviews mit abgezirkelten und abgesprochenen Fragen in anderen Sendungen.
Sehr früh hat Raab zudem verstanden, seinen Sender zu okkupieren. ProSieben bot ihm Spielfläche, und Raab nutzte sie. Er kapierte als einer der ersten, dass die Verfügungsgewalt über Programmfläche Macht ist. Wer oft kommt, kann oft werben. Er kann Reklame machen für sich, für die nächste Sondersendung, und die ist dann wiederum Reklame für das Routineprogramm. Raab erfand ein sich selbst fütterndes System.
Er hat viel gewagt, und jede Aufzählung seiner Großtaten wird Lücken aufweisen, weil er nie nur gedacht, sondern immer auch gemacht hat. Er hat sich bei einem Kunstflug als Beiflieger die Kotze ins Hirn schießen lassen, bis er aussah wie Helmut Kohl im Hulk-Kostüm. Er hat sich mehrfach die Nase brechen lassen und bei „Schlag den Raab“ so manche Blessur kassiert. Was immer man auch von seinen Aktionen halten mochte, sie zeigten doch, dass da jemand für das stand, was er wollte. Raab war nie ein Umknicker. Er ist immer nach vorne gestürmt, um etwas aufzubauen. Manchmal baute er Dinge auch nur auf, um sie nachher lustvoll umzustürzen und sich an der Dekonstruktion zu weiden. Weil er es konnte.
Dass er dabei auch Flops fabrizierte, fiel in der öffentlichen Betrachtung meist unter den Tisch. Seine „TV total“-Zeitschrift - ein Flop, seine Karnevalsshow - ein Flop, sein Duschkopf - ein Flop. Egal. Raab machte weiter.
Spätestens als er mit „Schlag den Raab“ die bislang einzig wirklich relevante deutsche Showerfindung des neuen Jahrtausends lieferte und dann auch noch Lena als Siegerin beim Eurovision Song Contest erfand, wollten ihn auch jene umarmen, die ihn bis dahin verachtet hatten. Raab galt als jener, der die Rezeptur für den Zaubertrank kannte, der Zugang zur Jugend sicherte. Er verstand es, zu altern, ohne bei den jungen Zielgruppen an Attraktivität einzubüßen. Er hat das bis zuletzt genossen, dass er als fast 50-Jähriger die Showtreppe hinabsteigen konnte, und im Publikum rasteten 20-Jährige reihenweise aus. So einen musste man als orientierungsloser Sendergewaltiger umso fester umarmen, je weniger man der eigenen Jugendkompetenz traute. In der Regel misslang das allerdings.
Stefan Raab, der Eigenbrödler
Umarmen lässt sich einer wie Raab nämlich nicht. Sein Umgang mit Menschen war mit dem Prädikat zurückhaltend schon immer sehr wohlwollend beschrieben. Wer im Gespräch mit ihm je versucht hat, seinen Blick länger als ein paar Sekunden zu fesseln, wer miterlebt hat, wie er jahrelang an Mitarbeitern vorbeizuschauen pflegte, der kennt das. Darüber täuschen auch gewisse Sentimentalitäten und Geschenke zum Abschied nicht hinweg.
Mit einzelnen Menschen konnte Raab nie, mit der Masse schon. Es sind halt im Showgeschäft selten die Kumpels, die Großes schaffen. Es sind die Eigenbrödler, die ihre Garage umwidmen und machen, was andere für unsinnig halten.
Die endgültige Heiligsprechung drohte schließlich, als Raab 2013 im Kanzlerduell die einzig relevante Frage stellte, als er wieder mal ausscherte aus der Das-machen-wir-immer-so-Starre. Das war so groß, dass rasch deutlich wurde, dass es größer wohl nicht mehr werden kann.
In der Tat ist Raabs Stern seitdem nicht mehr weiter gestiegen. Er hat lange seine Flugbahn gehalten, hat Konstanz bewiesen, aber für einen wie Raab ist das Zelebrieren des Status Quo immer eine Niederlage. Wenn es nicht weiter nach oben geht, dann hört er lieber auf zu klettern.
Es wird eine Weile dauern, bis man allgemein realisieren wird, was ohne Raab fehlt. Shows wie jene von Jan Böhmermann und von Joko & Klaas müssen neu vermessen werden, wenn der Meister weg ist.
Raab ist heute das Denkmal, das er früher gerne umgestoßen hätte. Er verlässt nunmehr eine Welt, die nicht mehr die seine ist. Er geht als weiser Mann, als vielleicht letzter Bildungsbürger im Showgewerbe. Und wenn er dann am Samstag in den finalen Sonnenuntergang geritten ist, wird es nicht mehr lange dauern, bis das große Jammern ansetzt. Dann werden sie klagen, dass früher mit Raab alles besser war, dass die aktuellen Shows eher Ärmlichkeit transpirieren. Man wird über die Neuen all das sagen, was man früher über Raab gesagt hat.
Und Raab? Der wird vielleicht irgendwann tatsächlich sterben in seinem Haus im Kölner Süden. Sein Gebiss wird er dem Bonner Haus der Geschichte vermachen. Und dann wird er wiederauferstehen und die ganz große Show draus machen, das Mega-Event. Noch ist schließlich nicht aller Tage Abend. Was Jesus damals konnte, kann ein Raab schon lange. Wäre doch gelacht.