Dabei verlässt diese Serie, geschrieben von „Mizzie Meyer“, die sich erst kürzlich als Ingrid Lausund geoutet hat, unter den norddeutschen Humorserien am stärksten die Komfortzonen des Bekannten und konfrontiert den „bodenständigen“ Helden mit modernen Milieus – und vor allem mit den Sprechweisen, all den neudeutschen Diskursen, mit denen Menschen heute ihr Leben zu begreifen und zu optimieren suchen. Etwa, wenn Schotty in einem Laden putzen muss, in dem man sich eine maßgeschneiderte Religion kaufen kann, oder wenn er einer Frau hilft, die auf Grund ihrer Vielfachbelastung in ein hysterisches Hyperventilieren gerät. In der Folge „Emma 206“ gerät er in einen aberwitzigen Dialog mit der ersten in Hamburg biochemisch gezüchteten Frau, ein Muster, das auf seine Serienfertigung wartet. Schade, dass auch die perfekt auf die Wünsche des Mannes konditionierte Frau nicht vor den Abgründen und Ausweglosigkeiten der Liebe schützt.
Die Dramaturgie ist minimalistisch, im Grunde ein Gefäß, in das man alle möglichen Blumen stellen kann. Manchmal redet sich Schotty um Kopf und Kragen, aber immer kommt er dabei am Ende seinen wahren Wünschen und Ängsten näher. Ja, Schotty orientiert sich an seinem „gesunden Menschenverstand“, er ist Pragmatiker, ein Philosoph des Naheliegenden, nie aber ist er deprimiert oder auf eine resignierte Weise nüchtern. Manchmal sehen wir etwas von seiner zarten Seele, und wir sind geneigt, gerade diese zarte Seele und nicht seinen energischen Materialismus für unverwüstlich zu halten.
Jennifer - Sehnsucht nach was Besseres.
Die Jüngste im Dreierbunde ist endlich eine Frau: Jennifer. Geschrieben vom NDR Autoren-Duo Harald Wehmeier und Andreas Altenburg, die schon für NDR 2 „Frühstück bei Stefanie“ unsterblich gemacht haben, radelt Jennifer durch ihr Leben, irgendwo am Rande Hamburgs, triste Vorstadtstraßen im Speckgürtel, an deren einer der Friseursalon „Hair und Care. Beauty für sie und ihn“ liegt.
Jennifers Welt liegt zwischen Schein und Sein. Im Friseursalon geht es mehr um den Schein, obwohl der Schein auch schon etwas ramponiert wirkt, wenn etwa Salonbesitzer Dietmar davon schwärmt, wie er als Tourstylist für Lena Valaitis gearbeitet hat. Verdammt zu Waschen, Legen, Föhnen, hält Jennifer an der Sehnsucht „nach was Besseres“ fest. Was das sein könnte, das entnimmt sie medialen Leitbildern, die raschen Ruhm und raschen Reichtum versprechen: Eventmanagerin zum Beispiel, oder Maklerin.
In Jennifers Augen spiegeln sich die leeren Versprechungen, mit denen die kommerziellen Fernsehanbieter den harten Weg zu medialer Präsenz als Chance, die man nur mal eben ergreifen muss, verkaufen. Dabei wird unsere Heldin aber nicht als naives Dummchen hingestellt. Auf dem Weg zum „Besseren“ hat sich nicht die Heldin, sondern haben sich eher die Versprechungen entlarvt – und die Erfahrungen, die Jennifer gemacht hat, „die kann mir keiner nehmen“.
Die Welt des Seins ist dagegen die „Futterluke“, in der Jennifers Großmutter das Regiment führt. Hier werden die Dinge zurechtgerückt, lebt die kleine Community der Serie und wärmt sich aneinander. „Volkstümlicher“ Humor hat immer eine Tendenz zur Bestätigung der Lebensverhältnisse, wie sie nun einmal sind. In der „Futterluke“ aber werden die übersteigerten Erwartungen, die falschen Ansprüche aus der Welt da draußen, wieder zu Recht gerückt. Gewiss, die „Fähigkeit zu seelischem Fluge“ stieße sich im Ambiente von Frittenfett und Pommes schon an der Dunstabzugshaube, aber dafür sieht man die Welt, die von außen hereinkommt, mit herzhafter Deutlichkeit: „Madam war noch nie inne Wohnung, aber ist schon Maklerin!“. Und auch die Futterluke ist eine „world of wonders“: „Dass die Menschen immer so viel Senf auf’n Teller machen müssen!“, befindet Jennifers resolute Großmutter, „Nie essen sie auf! Da stimmt auch was nicht!“
Die Sprache ist vom norddeutschen Munde abgelauscht, realistisch genau in den verwandten Wendungen. „Pass auf, Folgendes“ – mit dieser Floskel werden die Argumente zu Recht gelegt. Und aberwitzige logische Verbindungen läutet man mit einem „Von demher…“ ein. So ist der Satz fest verankert, selbst wenn er später dann im logischen Nirwana endet, etwa wenn unsere Helden über die schwierige Frage räsonieren, wie das Licht in die beleuchteten Flaschen kommt, die der biederen Disco einen Hauch von Las Vegas geben sollen.
Das Ziel ist im Weg.
Gibt es also „seelische Flüge“ im norddeutschen Humor? Ein Schweben über dem Marschenboden, ein Lachen an der Leiche, das nicht nüchtern und deprimierend ist? In einer der neuen Büttenwarder-Folgen, in der es auch um die Frage geht, ob sich Büttenwarder um die olympischen Spiele bewerben soll, umkreist Onkel Krischan, der 100-Jährige, der noch längst nicht reif ist für den Sarg, das Dorf mit seinem Gehwagen, ein Rekordversuch in Entschleunigung und Langsamkeit, dem sich sogleich eine ganze Kohorte von sinnsuchenden Großstädtern anschließt: Der Weg ist das Ziel, oder wie es im „Tatortreiniger“ einmal heißt: Das Ziel ist im Weg. Diese grandiose Völkerwanderung, angeführt von einem zahnlosen Greis, schafft einen hintersinnigen Moment der Verkehrung: Der alte Knackenpietz wird zum Guru für die urbane Mittelschicht.
Es wird auch nicht zu viel verraten, wenn man erzählt, dass in einer der neuen Folge des „Tatortreiniger“ jemand auftritt, den man als die „Antithese“ eines unverwüstlichen Realismus betrachten könnte: der liebe Gott persönlich. Genauer, der Fußballgott, genauer, Uwe Seeler himself. Aber wie er da einfach so durchs Bild geht – am Ende einer Geschichte, in der es um Religion geht und darum, dass Schotty seiner großen Liebe endlich seine große Liebe erklärt –, das schafft einen Moment von Innigkeit, norddeutsch: von Pietät. Und nach der Pietät wird zwar in dem bekannten Klein Erna Witz gestreut, hier aber sind wir einen Moment – gerührt.
Bernhard Gleim ist Stellvertretender Leiter der NDR Abteilung Film, Familie und Serie.
Das NDR Fernsehen zeigt den "Tatortreiniger" ab heute wieder um 22:00 Uhr. "Neues aus Büttenwarder" meldet sich am 23. Dezember um 22:00 Uhr zurück, im Anschluss startet die neue Serie "Jennifer - Sehnsucht nach was Besseres".