Wer, wenn nicht die ProSieben-Produktionsfirma Red Seven Entertainment, wüsste besser, dass man im Fernsehen nicht jeden Tag das Rad neu erfinden kann? Vielleicht reicht's ja auch schon, ihm einen anderen Namen zu geben. "Reinlegen" heißt in Unterföhring deshalb jetzt "pranken", und Sender-Neuzugang Lena Gercke war am Samstagabend weitgehend ausgelastet damit, das so oft zu wiederholen, bis die Jury fürs Unwort des Jahres die weiße Fahne schwenkte und versprach, dieses Jahr keine weiteren Bewerber anzunehmen.
"Prankenstein" heißt Gerckes erste eigene Show, für die ProSieben die älteste aller "Germany's Next Topmodel"-Gewinnerinnen aus den Fängen von RTL und Dieter Bohlen befreit hat, um sie eine Sendung moderieren zu lassen, in der eine ahnungslose Lena Meyer-Landrut für einen Moment annehmen musste, dass vor ihren Augen gerade ein Mensch ertrunken ist.
Oder wie Gercke sagt: "Geiler Prank!"
"Prank" ist englisch und bedeutet "Scherz" oder "Schabernack", und "drei Stunden" ist deutsch und bedeutet, dass es ein verdammt langer Samstagabend war, bis alle zehn vorab gedrehten Versteckte-Kamera-Gags im Ranking-Stil runtergezählt und ausgestrahlt waren. Wenigstens kann sich ProSieben jetzt mit der Behauptung schmücken, seine Zielgruppe gleich scheiße zu behandeln wie seine Stars. Denn außer ein paar Promis waren auch ganz normale Leute Ziel der aufwändig vorbereiteten, ähm, "Pranks", die vorher ordnungsgemäß "gefaked" werden mussten, um sie zu testen.
Dafür stand Gercke nicht nur "Tech-Nick" und "Ein Fall für zwei"-Darsteller Antoine Monot Jr. Doubles zur Verfügung. Sondern auch Doubles von Joko Winterscheidt und Jan Köppen die sich irritierenderweise "Jan Stremmel" und "Daniel Wiemer" nannten und mit großem Enthusiasmus am eigenen Leib ausprobierten, wie das ist, wenn man sich einen Hundehalsband-Elektroschocker an die Wade schnallt, um beim Fußballspielen mal so richtig eine gewischt zu kriegen. Monot Jr. ließ sich stattdessen in der präparierten "Höllentoilette" testweise einnässen, einschäumen und einpudern. Anschließend wurden dann die Normalos mit denselben Maßnahmen verarscht.
"Bei 'Prankenstein' dreht sich alles um die Vorbereitungen vor dem eigentlichen Prank", hatte Gercke vor der Ausstrahlung den Show-Inhalt zusammengefasst und kaum treffender umschreiben können, wie sich eine Sendung, die in unter drei Minuten erledigt gewesen wäre, über einen ganzen Abend strecken lässt.
Gut, ein größerer Aufwand ist im Fernsehen selten betrieben worden, um jemanden reinzulegen. ProSieben-Moderator Thore Schölermann bekam beim Besuch seiner Ferienbutze im Sauerland vorgegaukelt, er habe einen in einer unter der Erde wohnenden Stalker, der seit Jahren Zeitungsausschnitte von ihm sammelt und seiner (eingeweihten) Freundin gerne die Augen auskratzen würde. Komisch, dass Schölermann nur mäßig begeistert reagierte, als er in der für den Gag in der aufwändig im Waldboden versenkten Stalker-Kiste stand und von oben das Kamerateam auf ihn losstürmte, um die Situation aufzulösen ("Seid ihr bescheuert, oder was?").
Bescheuert nicht, aber blind vielleicht. Sonst wäre in der Redaktion vielleicht irgendwem aufgefallen, dass "Pranks" nur mäßig funktionieren, wenn sie bloß auf ein bis drei Schrecksekunden ausgelegt sind, nach denen sofort jemand dem Opfer erklären muss, dass es nicht die Polizei rufen muss.
Eine junge Frau wurde damit geschockt, dass ihr auf dem Jahrmarkt gewonnener Riesenteddy daheim in der Wohnung plötzlich aufstand und mit ihr redete. "Ich sage, sie springt in die Ecke", meinte Gercke vorher am Ort des Geschehens, und Monot hielt "'n Fünfer" dagegen: "Ich sage, sie schreit." Ja, und was soll man sagen? Beide hatten irgendwie Recht: "Ich hab mich voll erschrocken!", gab die Erschrockene nachher zu Protokoll, und der gefühlt stundenlang vorbereitete Gag war so schnell erledigt, dass die Szenen extra noch mal in Slowmotion gezeigt werden mussten, weil man sonst nix gesehen hätte.
Jana Ina Zarrella musste sich im Kölner Restaurant der Familie ihres Gatten Giovanni von einem Vielfraß mit künstlichem Magenschleim anexplodieren lassen (obwohl jeder weiß, dass sich im "Natuzzi" nach dem fantastischen Essen bloß das angenehme Gefühl gesättigter Zufriedenheit einstellt); und ein reingelegter Typ, den das "Prankenstein" mit absurdem Aufwand in einen asiatischen Erotik-Werbeclip reinmontiert hatte, erklärte nach der Auflösung eingeschränkt enthusiastisch: "Da hat man mal was zu erzählen."
Nun schafft's ProSieben ja immerhin, uralte Fernsehideen modern aussehen zu lassen. Also erschien Gercke inmitten jedes Pranks vor einem kirmesmäßig beleuchteten Hintergrund, um mit Zwischenkommentaren ihr vermutetes Moderationstalent unter Beweis zu stellen: "Sooo, es war angerichtet!", "Das lief ja wie am Schnürchen!", "So richtig glauben kann ich das alles nicht!", "Und schon war der nächste Prank geboren!", "Mittlerweile hab ich so'n schlechtes Gewissen!", "Feuer frei!", "Ist Rache nicht süß?", "Hihi, was war das für ein Höllenritt?", "Fremde Männer auf dem Klo pranken? Mega!", "Und – Bäm! – hatten wir genau das, was wir wollten!", "Das Werk war vollbracht!", "Ja, ich würd sagen, das ist'n Knaller, oder?"
Joah, geht so. Da Gercke sich für jeden "Prank" aber extra wieder in eine völlig neue Klamotte geschmissen hat, ist ihr zumindest ein Spitzenplatz auf der offiziellen Helene-Fischer-Umziehskala sicher. Ob das reicht, um Gercke als neuen Star aufzubauen, der samstagabends zumindest ein paar der künftig fehlenden Stefan-Raab-Spektakel erstezen könnte, entscheiden allein die Zuschauer.
Die behauptete Besonderheit der Show, das Ausprobieren der gezeigten "Pranks" durch die Verursacher, überließ die Dame allerdings weitgehend ihren zu Dekorationszwecken beigestellten Herren. Und wenn Sie sich jetzt fragen: Moment mal, ich hab auf diesen Text geklickt, um zu erfahren, wie sich die Ersatzheidi da oben auf dem Foto so irre eingesaut hat, muss ich Sie enttäuschen. Die Szene oben kam gar nicht in der Sendung vor. Bloß in der ProSieben-Presselounge. Bis hierhin gelesen haben Sie ja trotzdem.
Bäm! Genau, was ich wollte.