Absehbare Wellen der Aufregung können auch ermüdend sein. Als vergangene Woche bekannt wurde, dass YouTuber LeFloid alias Florian Mundt ein Interview mit Bundeskanzlerin Angela Merkel führen würde, drehten die deutschen Medien das erste Mal durch. Die Ankündigung eines Interview wurde zum Ereignis hochgeschrieben und damit eine Erwartungshaltung inszeniert, die wie gemacht war dafür, sie mit Erscheinen des Interviews voller Vorfreude zu demontieren. Anders lassen sich die hohen Wellen eines netten aber belanglosen Gesprächs zwischen zwei Menschen, die sich vielleicht besser aufeinander hätten vorbereiten können, nicht erklären.
Statt sich im Detail mit dem Gespräch selbst zu befassen, fasziniert aus Sicht der Medienkritik viel mehr der Umgang mit dem Interview. Warum schlägt ein YouTube-Gespräch mit der Kanzlerin bloß so hohe Wellen? Etwa weil die Bundeskanzlerin spricht? Mitnichten. Oder erinnern Sie sich etwa an Sommer-Interviews mit Angela Merkel, die ähnliche Aufregung im Blätterwald erzielt haben? Jene Interviews, die bei ARD und ZDF zu prominenter Sendezeit, bei RTL und Sat.1 hingegen gerne mal versteckt mitten in der Nacht versendet werden? Liegt es also an LeFloid? Ohne die Erfolge und das Talent des 27-Jährigen in irgendeiner Weise schmälern zu wollen: Nein, auch das nicht.
Es ist nicht die Person des Florian Mundt, die das Interesse an diesem Interview so in die Höhe hat schnellen lassen. Die meisten Journalisten im Berliner Politikbetrieb haben doch vorher allenfalls mal seinen Namen irgendwo gehört und als zweite Information irgendwo aufgeschnappt, er habe viele Fans auf YouTube. Und im Nachhinein betrachtet, ließ das geführte Gespräch letztlich keine so unverwechselbare Handschrift erkennen, dass man LeFloid in irgendeiner Form als unverwechselbar bezeichnen könnte. Die große Aufmerksamkeit für dieses Interview hat also weder etwas mit Angela Merkel noch LeFloid zu tun. Die Besonderheit dieses Gesprächs liegt woanders.
Erinnern Sie sich an Rob Savelberg? Im Herbst 2009 fragte der niederländische Journalist in der sonst so routiniert ablaufenden, gut geölten Bundespressekonferenz Kanzlerin Angela Merkel, wie sie ausgerechnet Wolfgang Schäuble, der mal 100.000 Mark in seiner Schublade vergessen habe, das Bundesfinanzministerium überlassen könne - und blieb hartnäckig. Das Video wurde auf YouTube und in den sozialen Netzwerken ein Hit. Eine auf dem Papier so naheliegende Frage wirkte im Rahmen der Bundespressekonferenz beinahe unpassend. Das Video dokumentiert auch die irritierten Gesichter der Hauptstadt-Journalisten bei dieser Frage. Rob Savelberg war eine Störung im Betriebsablauf.
Erinnern Sie sich an „Absolute Mehrheit“? Der werbefinanzierte Privatsender ProSieben probierte einen Polittalk mit Stefan Raab. Die Ankündigung dieser Sendung bei einer Pressekonferenz in Hamburg konnte oder wollte so mancher Journalist gar nicht glauben. Stefan Raab macht einen Polittalk? Und dann auch noch mit Preisgeld? Bei ProSieben? Noch bevor die erste Sendung gelaufen ist, war das Internet und die gedruckten Zeitungen schon voll mit Kritik. Als dann bei der Gäste-Akquise am Anfang einige Fehler gemacht wurden, gab es für Raab Hohn und Spott aus dem Berliner Politbetrieb. Stefan Raab war eine Störung im Betriebsablauf.
Eine Störung, die sich nochmal wiederholte als ProSiebenSat.1 den Entertainer ins Moderationsteam des letzten Kanzlerduells schickte. Da fühlten sich ARD und ZDF dazu verpflichtet, Raab zu Ernsthaftigkeit zu ermahnen. Aus der Politik kam Kritik, die sich in erster Linie aus der Sorge speiste, dass einer wie Raab bloß Unruhe stiften könnte. Politische Kommunikation und Berichterstattung wird schließlich allzu gerne auf Wiedervorlage gelegt und einfach wiederholt. Wieder einmal stört Raab - und wird dafür nach dem „Kanzlerduell“ gefeiert. Sein Beitrag beim „Kanzlerduell“ wurde sogar für den Grimme-Preis nominiert.
Kennen Sie Tilo Jung? Der 29-Jährige hat sich mit seinem Talkformat „Jung & Naiv“ einen Namen gemacht, das er seit Anfang 2013 ins Netz stellt und zwischenzeitlich auch beim Jugendsender joiz zu sehen war. Jung erhielt den Grimme Online Award 2014 und eine Nominierung zum Deutschen Fernsehpreis im selben Jahr. Seit gut einem Jahr ist er auch Mitglied der Bundespressekonferenz. Mit ungewöhnlichen und unbequemen Fragen reizt und nervt er den Hauptstadtjournalismus. Es sind dabei weniger seine konkreten Fragen, die polarisieren als der offene und transparente Umgang mit seinem Zugang zur Bundespressekonferenz.
Savelberg, Raab, Jung und LeFloid - eine sicher unvollständige Liste von Personen, die eins gemeinsam haben: Sie sind jeweils für sich eine Störung im Betriebsablauf. Aus meiner Sicht eine willkommene Störung. Welche Erkenntnisse lassen sich nun daraus gewinnen? Immer wenn die Politik ihre Routine durchbricht oder sie von außen durchbrochen wird, wird es spannend. So ein Gespräch auf YouTube hat Bundeskanzlerin Angela Merkel zuvor noch nicht geführt. Es ist das Ungewohnte, das gereizt hat. Das Ungewohnte hat diesem Interview seine Aufmerksamkeit gegeben. Hätte Merkel zur besten Sendezeit um 20.15 Uhr bei ProSieben mit Stefan Raab gesprochen, es wäre genauso groß behandelt worden.
Deswegen muss die Erregung über das LeFloid-Interview mit der Bundeskanzlerin nicht in die ermüdenden, ewig gleichen Kriegsgräben zwischen Print, Online und Fernsehen führen. Es ist kein Sieg von YouTube über den Journalismus in Print und TV. Es ist der Sieg des Unerwarteten; des Ausprobierens. Eben eine Störung des immer gleichen Betriebsablaufs. Das ist eine Qualität, die wiederum derzeit tatsächlich eher im Netz zuhause als bei Printmedien oder dem Fernsehen. Doch daran könnte man ja etwas ändern, wenn man es denn wollen würde.