In der Nacht zu Montag dokumentierte einer der Live-Streams aus „Newtopia“, wie beim vermeintlichen TV-Experiment in Königs-Wusterhausen sowohl Sender als auch Produktionsfirma längst Einfluss nehmen auf das Leben und Wirken der Kandidaten. Nach dem DWDL.de-Bericht über die Ereignisse in der Nacht zu Montag äußerten sich Sat.1 und Talpa Germany zunächst nur mit kurzen Stellungnahmen wie Facebook-Fanpage von „Newtopia“. DWDL.de-Anfragen bei Sat.1 sowie Talpa Germany blieben am Montag unbeantwortet. Hinter den Kulissen brodelt es.

Nach DWDL.de-Informationen hat Sat.1 bis zum frühen Montagabend keine zufriedenstellende Erklärung von Produzent Talpa Germany erhalten. Beim Sender baut man Distanz auf - und will angeblich nichts gewusst haben von Einflussnahme auf den Ablauf. Schwer zu glauben. Wenn also die im besagten Ausschnitt aus der „Newtopia“-Scheune zu sehende bzw. zu hörende Executive Producerin des Formats unterdessen beurlaubt wurde, ist das nur ein Bauernopfer in diesem grotesken Theater. Für die ganz besondere Fallhöhe dieser Demontage von „Newtopia“ haben im Vorfeld Sender und Produzent selbst gesorgt.

„Newtopia ist das größte TV-Experiment der letzten Jahre. 15 Menschen schaffen ihre eigene Gesellschaft. Niemand gibt ihnen Regeln vor“

Sat.1-Unterhaltungschef Taco Ketelaar bei DWDL.de, 13. Januar 2015


„Das ist wirklich eine ganz pure Form von Reality“

TV-Produzent John de Mol im Interview bei DWDL.de, 20. Februar 2015

 

„Newtopia ist ein klassisches Realityformat ohne Drehbuch. Es gibt keinerlei Einfluss von Seiten der Programmmacher.“

FAQ auf der Website von „Newtopia“, abgerufen am 13. April 2015

Man kommt angesichts dieser Aussagen nicht drum herum, auszusprechen, was seit den Enthüllungen in der Nacht zu Montag offensichtlich ist: Sat.1, immerhin der zweitgrößte deutsche Privatsender, und die Produktionsfirma Talpa Germany, haben das Publikum von "Newtopia" belogen und betrogen. Wenn das nicht zu berechtigter moralischer Empörung und einer umfassenden Aufarbeitung führt, dann wäre diese Branche an einem weiteren Tiefpunkt angelangt. Denn all das ist nicht die Verantwortung einer Executive Producerin. Da liegt der Fehler im System bzw. dem Format.

Dass es bei "Newtopia" notwendigerweise Kontakt zwischen Produktion und Kandidaten gibt, wurde immer schon offengelegt. Offiziell hieß es dazu von Sat.1 bislang: "Ein Kontakt zwischen der Produktionsfirma Talpa und den Pionieren findet unseres Wissens statt, allerdings nur sehr reduziert, beispielsweise bei Fragen der Sicherheit, Gesundheit, des Jugend- oder Persönlichkeitsschutzes und der Technik." Doch die Besprechung in der Nacht zum Montag ging weit darüber hinaus. Der Sender schiebt die Schuld bequemerweise zur Produktionsfirma - deren Stellungnahme bei Facebook eine Frechheit ist.

Sie beginnt mit den Worten: „Die 15 Pioniere in Newtopia sind vollständig selbst dafür verantwortlich, wie sie ihr Leben gestalten. Was wir als Zuschauer in den Live-Streams und in den täglichen Folgen auf den Bildschirmen sehen, ist echt.“ Während die Kandidaten in "Newtopia" einer neuen Gesellschaft also sehr fern sind und diese wohl kaum noch erreichen werden, hat Talpa Germany für sich eine neue Wirklichkeit entdeckt - eine in der genau das nicht wenige Stunden zuvor widerlegt wurde.

Dass eine Vielzahl an Zuschauern Sat.1 und Talpa Germany offenbar per se für nicht glaubwürdig hielten und vom Bekanntwerden der Absprachen bei der Realityshow deswegen wenig überrascht waren, kann wohl kein Trost sein. Die geschätzte Fernsehjournalistin Klaudia Wick brachte es in einem Facebook-Posting auf den Punkt: "Wenn die Reality-Show jetzt vor dem Aus steht, dann nicht, weil hinter den Kulissen Absprachen getroffen wurden. Sondern weil man sich IN den Kulissen selbst entzauberte. Kaninchen leben nicht in Hüten. Trotzdem möchte man als Zirkusbesucher über das Unglaubliche staunen und nicht den doppelten Boden sehen, unter dem der Magier den Rammler versteckt."

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