Mit anderen Worten: „House of Cards“ hat sich in Deutschland schon Sky gesichert, die Deutschland-Rechte an weiteren Netflix-Serien sind auch schon vergeben. Die Netflix-Serie „Hemlock Grove“ läuft in Deutschland beispielsweise ausgerechnet beim Wettbewerber Amazon. Es würde also zunächst einmal ein Ende des Rechte-Ausverkaufs seitens Netflix benötigen, damit der Anbieter in Deutschland künftig auch eigene Serien exklusiv anbieten kann. Netflix in Deutschland ist nicht gleich Netflix in den USA. Das Angebot wird zum Deutschland-Start trotzdem enorm groß sein. Mehrere Rechte-Inhaber haben uns in den vergangenen Wochen schon von Verträgen mit Netflix berichtet. Ob Dokus, Kinderprogramme oder Comedy - Netflix kauft fast alles. Doch ob Masse statt Klasse ein erfolgsversprechender Weg ist, bleibt noch abzuwarten. Erst recht wenn Netflix tatsächlich so großzügig zahlt, wie berichtet wird. Demnach schmeißt der US-Streaminganbieter im Vorfeld seines spekulierten Deutschland-Starts mit Geld regelrecht um sich. Nachhaltig wirtschaftlich könne das kaum sein, beurteilen manche deutschen Vertragspartner, die sich jedoch erst einmal über den Geldsegen freuen.



Kurios ist in dem Zusammenhang auch, wie über bereits aktive VoD-Anbieter auf dem deutschen Markt geschwärmt wird. Watchever preist beispielsweise die Verfügbarkeit von HBO-Klassikern an - und zahlreiche Berichte über Watchever auch. Sky Snap wiederum wirbt aktuell mit alten „24“-Staffeln. Wie kurios das ist, wird deutlich, wenn man sich vorstellt, ein größerer deutscher Fernsehsender würde die Ausstrahlung dieser Serien ankündigen. Man würde ihm vorwerfen, alte Hüte zu zeigen. Bei VoD hingegen werden sie gefeiert. Es ist die neue Freiheit im Konsum der Inhalte, doch den gibt es bei anderen VoD-Anbietern schon seit acht Jahren. Was macht VoD dann gerade jetzt zum Hype? Warum ausgerechnet Netflix? Wir übernehmen hier offenbar einfach die Begeisterung aus den USA.

Maxdome und Videoload waren Netflix mal voraus

Doch wie wir schon gelernt haben, sollte man die Rezeption von Netflix differenzieren. In den USA ist das lineare Fernsehen weitaus fiktionaler geprägt als in Deutschland. Entsprechend mehr einheimische Ware existiert und wird durch Netflix attraktiv gebündelt. Noch dazu kommt, dass die großen US-Sender schlicht keine Kinofilme zeigen. Ein Wiedersehen über Hollywood-Blockbuster geschah in den USA traditionell über Kaufmedien (VHS, DVD oder Bluray). Netflix war in den USA also in zweierlei Hinsicht eine Erlösung, die es in Deutschland so nicht sein kann: Wir haben nicht so viel eigenproduzierte Serienware, die durch ein deutsches Netflix endlich zugänglich würde. Und Hollywood-Filme haben bei uns einen festen Platz im Programm-Mix der großen Fernsehsendern.

Auch in einem weiteren Punkt muss man Netflix einordnen. In Deutschland gibt es Video-on-Demand-Portale im Regelbetrieb schon seit 2006 - und damit sogar länger als es VoD von Netflix gibt. Lässt man sich diese Tatsache durch den Kopf gehen, versteht man die Begeisterung für Netflix schon besser. Netflix muss nicht außergewöhnlich gut sein, um die erschreckende Tatenlosigkeit deutscher Anbieter zu überbieten. Die waren mal führend, haben dann aber geschlafen, weil Video-on-Demand entweder nicht das Kerngeschäft war (Telekom) oder man eigentlich nur das lineare FreeTV absichern wollte (ProSiebenSat.1). Und dann kommt noch ein Kartellamt dazu, das zwei firmenübergreifende Lösungen, die Projekte Amazonas und Germanys Gold, verhinderte. Während also Netflix in den USA der Inbegriff für etwas Neues ist, fungiert Netflix in  Deutschland in erster Linie als Spiegel, der den deutschen TV-Anbietern ihre langjährige Untätigkeit vor Augen führt. Wir kommen damit dem Kern der Faszination Netflix immer näher. Oder formulieren wir es konkreter: Der deutschen Faszination für Netflix, denn die liegt im Kulturpessimismus und einem immer anspruchsloseren Free-TV begründet.

Wieder einmal unterscheidet sich also die Betrachtung von Netflix zwischen der US-Perspektive und der deutschen Sichtweise. Denn während parallel zum Netflix-Aufstieg in den USA ohnehin schon dank der Kabelsender und ihrer Serien („Mad Men“, „Breaking bad“) von einem „New Golden Age of Television“ die Rede war, sind wir in Deutschland weit davon entfernt. Oder anders ausgedrückt: Netflix ist in den USA gerade dank des linearen Fernsehens zum Erfolg geworden. „Breaking Bad“ war im vergangenen Jahr ein massiver Erfolg für Netflix, aber eigentlich eben eine vom Kabelsender AMC ausgestrahlte Kultserie. In Deutschland aber wird man kaum jemanden mit der VoD-Verfügbarkeit von deutschen Serien begeistern können. Und bei amerikanischen Serien oder Spielfilmen muss sich Netflix um die Rechte für den deutschen Markt ebenso bemühen wie andere Anbieter.

Die deutsche Hoffnung auf Netflix ist ein Hilfeschrei

Wunder vollbringen kann auch Netflix nicht. Je intensiver man sich auf diese Spurensuche einlässt, desto deutlicher wird am Ende: Die deutsche Hoffnung auf Netflix ist ein Hilfeschrei. Nicht Netflix ist so unglaublich gut — das deutsche Fernsehen nur oft so unfassbar schlecht. Deswegen lebt mit den hohen Erwartungen an das deutsche Netflix die Hoffnung auf Besserung, weil viele der genannten Stolpersteine und Haken oft nicht berücksichtigt werden. Weil viele Berichte über Netflix von einer schönen neuen Fernsehwelt sprechen und meist einige wenn nicht alle der genannten Probleme übersehen. Eine Frage ist allerdings noch offen: Warum also wird acht Jahre nach dem Deutschland-Start von VoD-Angeboten derzeit so getan als reden wir über etwas Neues? Das hat doch zweifelsohne mit Netflix zu tun, oder nicht?

Ja, hat es. Netflix hat uns die Augen geöffnet, aber ganz anders als oft berichtet wird. Nicht das ominöse Bingewatching, also das Gucken von mehreren Folgen oder ganzen Staffeln am Stück, ist so revolutionär. Es ist ein schöner Nebeneffekt, aber schlechte Serien will schließlich niemand am Stück sehen. Am Ende des Tages und dieser Spurensuche ist die Antwort stattdessen so einfach wie hoffnungsvoll: Es kommt auf gute Geschichten an. Ohne „House of Cards“ wäre Netflix nur halb so sexy geworden. Über „Lilyhammer“ beispielsweise - das war übrigens die erste Netflix-Serie - sprach schließlich (leider) kaum jemand. Eine deutsche Antwort auf den Netflix-Erfolg ist also keine technische Frage. Es ist eine Frage des Storytellings.

Von Netflix lernen heißt also nicht Bingeviewing lernen, sondern gute Serien produzieren

Darauf sollten sich die Anstrengungen konzentrieren. Eigene serielle Produktionen sind der Schlüssel zum Erfolg des Fernsehens dieser Tage. Wir hatten ein Jahrzehnt der Casting- und Realityshows - jetzt aber wird über nichts so viel gesprochen wie über eine Kultserie nach der anderen. Das begreift der deutsche Fernsehmarkt nur langsam. Dabei hätte er mit erfolgreichen Eigenproduktionen alle Joker in der Hand. Schließlich hat der unfassbare Erfolg der finalen „Breaking Bad“-Staffel vergangenes Jahr in den USA gezeigt, wie VoD-Nutzung das oft tot gesagte lineare Fernsehen befeuern kann - wenn es eben begehrenswerte Inhalte hat. Von Netflix lernen heißt also nicht Bingeviewing lernen, sondern gute Serien produzieren. Und wie wir festgestellt haben, hat Netflix dafür kein Patentrezept. Das ist erfreulich für alle anderen Marktteilnehmer - solange bis Amazon es vielleicht doch noch findet.

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