Wenn man Weltenwandler Schulz so durch die Flure der Justizvollzugsanstalt schlurfen sieht, fällt einem als Zuschauer zum ersten Mal auf: Wann sieht man eigentlich mal so ausführlich und unaufgeregt, so nüchtern und beobachtend hinter schwedische Gardinen? So gut wie nie. Schulz ist ein glaubwürdiger Stellvertreter des Zuschauers, der ohne direkten Ansprechpartner in diesem Format das Selbstgespräch kultiviert. Er sagt, was man sich selbst beim Zuschauen denkt. Er fragt, was man sich selbst fragen würde.
Etwas seltener wurde Olli Schulz diesmal wieder in die Box gesetzt, um das erlebte noch einmal zu kommentieren. Bessere Bilder; eine bessere Erzählung mit einem gewissen roten Faden macht diese nachträglichen Schnittbilder erfreulicherweise seltener nötig und lässt das Reportage-Format flüssiger laufen. Unterstützt durch wohl überlegten Musikeinsatz, der der Sendung einen Feinschliff gibt, die auch die 4. Folge einer Reihe so besonders machen kann, dass sie Beachtung verdient. Gerade kurz bevor die Einsamkeit in der Einzelzelle zu melancholisch wird, trifft Schulz dann doch echte Gefangene.
Und anders als noch beim Besuch bei „Fuckforforest“ in der Premierenfolge, redet Schulz auf Augenhöhe mit Häftling Torsten. Es gibt reale Antworten auf Fragen, die man aus Krimiserien oder Hollywood-Streifen kennt und die man sich vielleicht irgendwie auch schon genau so gedacht hat. Antworten auf Fragen über das Tauschen im Knast. Über Freundschaften. Über Geld verdienen und ein bisschen zusätzlichen Luxus in der Zelle. Aber eben nicht gegeben nach Drehbuch. Oder referiert vom JVA-Beamten.
„Ich war nicht da um zu urteilen - er ist sicher nicht umsonst da gewesen - aber ich wollte das Leben im Gefängnis verstehen“, sagt Olli Schulz kurz danach selbst über das Gespräch. Auf dem weiteren Programm: Auf einen Freigang im Hof, bei dem Musik und Bilder für den Zuschauer so wunderbar für sich stehen, folgen weitere Bekanntschaften mit anderen Häftlingen. Olli Schulz bleibt dabei Mensch, wird nicht Reporter. Ein Mensch, der sich selbst auch als früher cholerisch und der Gewalt nicht fremd, schildert. Keine Gespräche von oben herab.
Und das obwohl es um die Begegnung mit einem Menschen ging, der einen Menschen getötet hat. Ein extrem schwieriger Spagat, der Schulz gelingt und seine Haltung dazu erläutert. Man muss sich an dieser Stelle als Zuschauer selbst kneifen, um sich daran zu erinnern, dass man gerade nicht innovatives öffentlich-rechtliches sondern innovatives privates Fernsehen guckt und das alles noch dazu an einem Abend ausgestrahlt, der bei ProSieben davor und danach von amerikanischer Comedy dominiert wird. Aber selten war ein solch ungewohnter Fremdkörper im Programm-LineUp so willkommen wie „Schulz in the Box“.
Nach einer Nacht in der Zelle („geht an die Substanz“) ging es zur Arbeit („ganz froh, die Gedanken kurz wegschieben zu können“). Eine eher launig belanglose Sequenz, allerdings mit einer wunderbaren Unterhaltung. Als Olli Schulz die ihm gestellte Aufgabe nicht auf Anhieb meistert, ärgert er sich selbst: „Ich bin jahrelang aus allen Jobs rausgeschmissen worden.“ Vorarbeiter Christian kontert: „Und jetzt biste beim Fernsehen gelandet“ „Weil ich nichts anderes kann“, so Schulz. Wenn es so gutes Fernsehen ist, kann man als Zuschauer froh sein. Es folgt Sport und ein Besuch beim Leiter der JVA. Am Ende tritt Olli Schulz dann noch vor den Gefangenen auf, die er kennengelernt hat: Musik als Rausschmeißer. Letztlich ist es eben doch Unterhaltung - aber eine mit Haltung.
Und eine, die fortgesetzt wird. Auf Nachfrage des Medienmagazins DWDL.de bestätigt ProSieben noch am Montagabend, dass bereits weitere Folgen von „Schulz in the box“ gedreht werden. Sehr begrüßenswert.