Für investigativen Journalismus war RTL in den vergangenen Jahren eigentlich nicht bekannt. Viel mehr dominieren anspruchslose Scripted Realitys oder hämische Kommentare von Dieter Bohlen das öffentliche Bild des Senders. Umso ermutigender, dass Programmgeschäftsführer Frank Hoffmann zuletzt die Devise ausgab, den Montagabend künftig journalistischer gestalten zu wollen. "Bauer sucht Frau" kann er damit zwar nicht gemeint haben, doch die sehenswerte Zimmermädchen-Reportage des Wallraff-Teams oder Christian Rachs Lebensmittel-Reihe gaben im Sommer einen ersten Vorgeschmack, wohin die Reise gehen kann. Dass Christian Rach inzwischen in Richtung ZDF verloren gegangen ist, ist so gesehen ein schmerzhafter Verlust für RTL.
Seit dieser Woche nimmt nun aber Sina Trinkwalder in gewisser Weise Rachs Rolle ein. Nicht etwas als Restauranttester - dieser Job ist mittlerweile bereits an Steffen Henssler vergeben. Nein, in einem neuen Format, das den etwas sperrigen Titel "Made in Germany - Wir können's selbst am besten" trägt, gibt sich die 35-Jährige alle Mühe, vermeintlich hoffnungslose Fällen eine neue Perspektive zu bieten. Ziel ist es, Arbeitslose wieder in Lohn und Brot zu bringen. Ganz so, wie es Rach schon zwei Mal mit seiner "Restaurantschule" vorgemacht hat. Dass Trinkwalder weiß, wie so etwas geht, hat sie selbst schon einmal bewiesen, als sie vor einigen Jahren ihr gesamtes Vermögen in eine reichlich kühne Business-Idee investierte.
Quasi aus dem Nichts schuf sie in ihrer Heimatstadt Augsburg innerhalb von fünf Monaten ein Unternehmen, das Stofftaschen herstellt. Dadurch erhielten mehr als 80 Menschen, unter ihnen viele Langzeitarbeitslose, endlich wieder einen Job. Für die RTL-Dokusoap "Made in Germany" will Trinkwalder dieser Erfolg noch einmal wiederholen. Anstelle von Stofftaschen geht's jetzt jedoch um die Produktion von Unterwäsche. Und das gefällt nicht jedem der ungelernten Näher in ihrem Team. Ein junger Mann, der die Hauptschule mit einer Note von 5,5 verlassen hat und seinen Hemdknopf nur mit Sekundenkleber befestigen kann, hat Sorge, "ein bisschen schwul" rüberzukommen, wenn es sich herumspricht, dass er mit pinkfarbenen Fäden hantiert.
Doch Trinkwalder kann kaum glauben, was sie da hört, und gibt die Motivationskünstlerin: "Du brauchst Hirn und Verstand. Und das sind alles Dinge, die du hast", stellt sie klar und fordert ihn wenig später auf, sich gefälligst wieder an die Nähmaschine zu begeben. Der junge Mann zeigt sich einsichtig und tut, was ihm gesagt wird, doch spätestens in diesem Moment wird deutlich, dass Trinkwalder die bevorstehenden Wochen noch so manche Nerven rauben werden. Erst recht, weil sie es mit völligen Laien zu tun hat. Gerade diese echten Emotionen sind es aber, die "Made in Germany" zu einem sehenswerten Format machen. Weil diese überwiegen, verzeiht man den Machern der Sendung auch ein paar Dialoge, die nicht ganz so spontan daherkommen. So wie etwa den Moment, in dem Trinkwalder ihre engsten Mitarbeiterinnen in ihre Pläne einweiht.
Der Weg, den RTL mit "Made in Germany" eingeschlagen hat, ist jedenfalls der richtige. Es ist schönes Fernsehen, das gar nicht laut daherkommen muss, um die Zuschauer zu packen. Ganz nebenbei gibt's noch dazu Einblicke in eine Welt, die man sonst für gewöhnlich nicht allzu oft zu sehen bekommt. Ein Ausrutscher? Vielleicht nicht. Mit der anschließenden "Extra"-Reportage über zwei Frauen und ihr erstes Jahr nach einem Alkoholentzug hat RTL am Montagabend nämlich gleich noch eine weitere sehenswerte Sendung ausgestrahlt. Emotional erzählt, aber authentisch. 30 Jahre nach seinem Start zeigt das Privatfernsehen, dass es womöglich doch noch Hoffnung für den zwischenzeitlich schon verloren geglaubten Patienten gibt.