Sonntagabend, 20.15 Uhr. Kopfschütteln in Deutschland, betretenes Schweigen. Warum nur? Warum? Es war doch so eine schöne Stunde an diesem frühen Sonntagabend. Familien saßen gemeinsam beim Essen. Oder freuten sich auf einen schönen Abend auf der Couch. Aber dann trauerten Millionen RTL-Zuschauer. Um eine verlorene Stunde, nach der so mancher sprachlos angesichts der verschenkten Zeit gedacht haben mag: "Was zum Henker war denn das?" Nun, es war "Das Medium". Der Versuch von RTL - im Rausch immer neuer Quoten-Rekorde offenbar inzwischen zu Inszenierungen jeder Art bereit - die absurde Alien-Suche von Uri Geller bei ProSieben noch zu unterbieten.
Und was soll man sagen: Das ist den Kölnern gelungen. Denn während die Aliens bei ProSieben den Anstand hatten, die Klappe zu halten, so könnte RTL mit seiner neuen Sendereihe künftig beliebig Tote sprechen lassen. Überprüfen kann es keiner. Glauben muss es niemand. Und erschreckenderweise stellt man an dieser Stelle fest: Auf diesem Prinzip basiert ein großer Teil des aktuellen Höhenflugs von RTL. Sicher, der Sender ist mehr als das und die Kritik trifft nur einen Teil des Programms. Aber bei Scripted Reality oder bewussten Inszenierungen etwa beim aktuellen Quotenhit "Das Supertalent" schafft es der deutsche TV-Marktführer das Publikum daran zu gewöhnen, nicht mehr zu fragen, was echt ist und was nicht. Was gestellt ist und was nicht. Ein echtes Erfolgsrezept. Der Nachteil: Inhaltliche Kritik perlt immer öfter mit dem Verweis auf die Quote ab. Fast so als sei alles recht, wenn die Quote stimmt.
Es ist das selbsterklärte Konzept von RTL, erfolgreiche Formate stetig zu optimieren. Und für den wirtschaftlichen Erfolg ist nichts wichtiger als verlässliche Quotenerfolge. Die machen alles kalkulierbarer - eine der wichtigsten Vokabeln die Kreative der Branche in den letzten Jahren lernen mussten. Es ist eben sicherer, wenn man sich nicht auf den Zufall verlässt. Dokusoaps, lange das denkbar günstigste Genre, lassen sich mit Scripted Reality noch unterbieten: Wozu denn lange warten, bis etwas passiert? Man dreht es günstiger nach Laien-Drehbuch. Und beim "Supertalent" kauft man sich Acts im Ausland ein, die als Futter für Boulevardmedien fungieren.
Aber Moment, es gibt einen Grund dafür, warum die Konkurrenz RTL um den Erfolg beneidet: Sie machen das was sie tun einfach sehr gut. Und man muss differenzieren: RTL ist mehr als "Das Medium". Nur zwischen dem ehrenwert klassischen Programm von preisgekrönter Fiction bis zu etablierten Unterhaltungs- und Informationsformaten und jenen verrückten Programmideen, bei denen man sich die Entstehung ohne exzessiven Alkoholkonsum kaum vorstellen kann, verschwimmen leider die Grenzen. Erst Anfang des Jahres flog Scripted Reality im Nachrichtenmagazin "Punkt 12" auf. Und die Steigerung von geskriptetem Unsinn ist zweifelsohne der, für den man sich nicht einmal rechtfertigen muss - weil er aus dem Jenseits kommt.
So müssen feuchte Träume von Fernsehredakteuren aussehen: Machen können, was immer man will. Erzählen können, was immer einem gefällt. Hauptsache man findet jemanden, der von sich und seiner Tätigkeit überzeugt ist (Kim-Anne Jannes) und eine Moderatorin, die in Ermangelung von Bildschirmpräsenz vermutlich für alles ihren Kopf hinhalten würde. Wobei das natürlich nicht heißen soll, dass "Das Medium" geskriptet sei. Nein, ganz und gar nicht. Das ist es ja eben das Geniale: Verantwortlich ist Frau Jannes. Heraus kommt: "Das Medium". Eine auch noch wirr zusammengeschnittene Sendung, die Millionen deutscher Fernsehzuschauer am Sonntagabend eine Stunde geraubt hat.
Wir trauern mit denen, die den Verlust im Nachhinein bedauern.