"Krise kann auch geil sein", schrieb Fynn Kliemann vor ein paar Jahren – nicht ahnend, dass seine ganz persönliche Krise erst noch folgen würde, ausgelöst durch Enthüllungen über seine dubiosen Geschäfte mit Corona-Masken, die Jan Böhmermann 2022 in seiner ZDF-Sendung öffentlich machte. Die Folge: Aus dem freigeistigen Weltverbesserer und gefragten Influencer, der mit Musik und DIY-Videos zu bemerkenswerter Bekanntheit reifte, wurde in der öffentlichen Wahrnehmung ein Betrüger, mit dem seine Partner und viele Fans plötzlich nichts mehr zu tun haben wollten.
"Du sitzt da gefangen in so einer Welt und du siehst einfach nur alles einstürzen", fasst Kliemann heute seine Situation von damals zusammen und spricht in einer jetzt erschienenen ARD-Dokumentation von Panikattacken und davon, tagelang nicht geschlafen zu haben. "Ich hab' das Problem initial erzeugt und dann hab' ich's auch noch selber richtig groß gemacht." Tatsächlich sah er einst vor allem sich selbst als Opfer, schimpfte auf die "woke-linke Szene" und verwunderte damit auch enge Freude wie den TV-Koch Tim Mälzer, der in das "Kliemannsland" investierte, Kliemanns Gelände im niedersächsischen Rüspel, das vor einigen Jahren sogar im Mittelpunkt einer Webserie des öffentlich-rechtlichen Jugendnetzwerks funk stand.
Besagtes "Kliemannsland" steht mit all seinem Krimskrams noch immer und es ist vermutlich kein Zufall, dass Kliemann ausgerechnet jetzt, rechtzeitig zur Veröffentlichung der Doku, neue YouTube-Videos angekündigt hat, "irgendwo zwischen Wahn & Sinn, Expansion & Insolvenz", wie er schreibt. Drei Jahre nach seinem Absturz ist Kliemann dabei, den Weg zurück in die Öffentlichkeit zu suchen. Ein Nummer-Eins-Album hat er zu Jahresbeginn bereits auf den Markt gebracht und in Hamburg stellte er seine Kunst aus. The show must go on.
Doch hat sich Fynn Kliemann wirklich verändert? Die ARD-Dokumentation von Mariska Lief, von der Kliemann hofft, sie werde "keine emotionale Tränen-Familiengeschichte-RTLzwei-Story", lässt Zweifel daran aufkommen. Zwar gibt sich Kliemann nachdenklich und geläutert, sagt immer wieder schlau klingende Sätze; der Film zeichnet aber auch das Bild eines Mannes, der immerzu unter Strom steht – und offensichtlich nicht ohne Aufmerksamkeit leben kann. "Ich weiß auch nicht, aber irgendwie sehne ich mich danach, wieder gehört zu werden", sagt Kliemann. Und: "Mir ist so wichtig, was Leute von mir denken."
Ungeduldig und unsicher
Bemerkenswert ist, dass es selbst seinem engsten Umfeld nicht zu gelingen scheint, ihn zu bremsen. "Einfach richtig dumm" sei es, dass er all die an ihn gerichteten Hassnachrichten in den sozialen Netzwerken gelesen habe, sagt Fynn Kliemanns langjährige Freundin und fragt ihn ganz direkt: "Was hat dir das gebracht, außer, dass es dir richtig, richtig schlecht ging? Gar nichts!" Auch seine Mutter ist von den Comeback-Versuchen offenkundig wenig angetan: "Ich könnte gut drauf verzichten, dass er in den Medien irgendwo auftaucht", sagt sie, lässt es sich gleichzeitig aber nicht nehmen, sich beim gemeinsamen Schwimmen im See mit ihrem Sohn von der Kamera begleiten zu lassen.
Die große Stärke der Dokumentation, die passenderweise den Titel "Ich hoffe, ihr vermisst mich" trägt, liegt in ihrer ruhigen Erzählung, die Fynn Kliemanns ständige Getriebenheit mit jedem Moment noch ein wenig stärker herausarbeitet. Besonders erkennbar wird das in einer Szene, die ihn bei einem Promo-Termin zeigt. Auf Instagram lädt er seine Fans zur Fahrt in einem alten Leichenwagen ein, um gemeinsam die Songs seines Albums "Tod" zu hören. Zu sehen ist ein junger Mann, der ungeduldig und unsicher darauf wartet, dass jemand kommt. Angst vor schlechten Kritiken habe er nicht, sagt er. "Ich hab Angst davor, dass es niemand hört."
Ob das Comeback gelingt? Möglich, auch wenn man Kliemann nach Ansicht des Films eigentlich wünschen würde, endlich zur Ruhe zu kommen. Die jüngste Chartplatzierung dürfte er allerdings als Bestätigung sehen, und noch immer folgen ihm Hunderttausende auf seinen Kanälen. Gleichzeitig legt die ARD-Dokumentation nahe, dass sich inzwischen neue Partner gefunden haben, die an den selbsternannten "Heimwerker-König" glauben.
Der Webvideoproduzent Alexander Prinz, besser bekannt als "Der Dunkle Parabelritter", gibt sich gleichwohl kritisch. "Es hat sich nichts geändert und dementsprechend glaube ich auch nicht, dass er sich geändert hat", sagt er in dem Film über Kliemann. Der Anwalt Christian Solmecke, der in dem einstündigen Film ebenfalls zu Wort kommt, hält Kliemann allerdings nicht für einen Betrüger. "Ich glaube einfach, dass er ein kreativer, sehr schusseliger Kopf ist." Nicht zu Wort kommen übrigens Jan Böhmermann und seine ZDF-Redaktion. Die lässt am Ende bloß ausrichten, die Recherche von damals stehe für sich - und: "Seit ihrer Veröffentlichung haben sich die Fakten leider nicht verändert."
"Fynn Kliemann - Ich hoffe, ihr vermisst mich", in der ARD-Mediathek