Kleider machen Leute, schon klar. Aber was Leute fast ebenso sichtbar macht, sind Getränke. Wenn die zugezogene Immobilienbesitzerin Frau Gröner ständig mit Macha Latte in der Hand aus ihrem SUV springt und vier, fünf eingeborene Biertrinker plus Bedienung vorm Berliner "Späti" mit ihrem Gentrifizierungsgefasel drangsaliert, ahnen achtsame Zuschauer der gleichnamigen ZDF-Serie früh, wer hier die guten Leute sind und wer die schlechten. Kleiner Spoiler: Hakans Stammkundschaft ist definitiv ersteres.
Sie mag ihre Zeit zwar Tag für Tag, Folge für Folge, Pils für Pils an seiner schäbigen Trinkhalle verbringen. Dafür sind es immerhin keine Gehetzten der hochtourigen Selbstoptimierungsgesellschaft wie Frau Gröner (Isabell Polak), die ihre Galerie nebenan auf den Späti ausdehnen will, weil – tja… So sind Hipsterzicken mit Hipstergetränken in Hipsterkisten und Hipsterklamotten halt, die aus Arbeitervierteln Hipsterviertel machen, wogegen sich die Arbeiterviertelbewohner wehren, soweit es ihr Alkoholpegel eben erlaubt.
Den Plot hat das älteste Ochsenknecht-Franchise Wilson Gonzalez ersonnen, „weil ich oft an Spätis abhing und dort so viele Geschichten passiert sind“, sagt der Creative Producer über sein erstes Serienprojekt, „dass man sie einfach erzählen musste“. Da hat er einen Punkt. Die Geschichte des sackfaulen Tunichtguts Fred nämlich, der reihenweise Jobs verliert, bis er in Hakans Kiez-Kiosk seine Berufung findet, ist in der Tat einer heiteren Serie wert.
Das soziale Abseits beherbergt zwar massenhaft eigensinnige, buchstäblich lustige Gestalten. Weil das deutsche Befindlichkeitsfernsehen oft zu falscher Rücksichtnahme neigt, waren Unterschichtskomödien von Ken Loach, Mike Leigh oder Danny Boyle hierzulande jahrzehntelang Ausnahmen, die allenfalls Detlev Buck gelegentlich bestätigen half. Bis Olli „Dittsche“ Dittrich das Prekariat aus der Tristesse sozialkritischer Dramen ins Licht der Selbstironie zog. Seither zieht es fröhlich durch die Mikrokosmen verkrachter Existenzen.
Mit Halt in Supermärkten („Die Discounter“), Friseursalons („Jennifer“), Landbäckereien („Tina Mobil“), Eckkneipen („Nix Festes“), Bowlingbahnen („Gerry Star“), Parallelgesellschaften („Lamia“) oder zuletzt Nagelstudios („Marzahn Mon Amour“), grasen die Mediatheken mittlerweile Mikrokosmen ab, an denen sich die soziale Marktwirtschaft humorvoll hinterfragen darf. Ein schwieriges Unterfangen. Mit großer Fallhöhe. Nachdem sie zuvor nur Werbe- und Kurzfilme gedreht hatten, war es somit ein Wagnis der bildundtonfabrik, die Regie-Rookies Marleen Valien und Joseph Strauch mit ihrer Sitcom zu beauftragen.
Es hat sich gelohnt. Dank viele ihrer hingebungsvollen Darsteller sind die vier Stammgäste um Konnopke (Alexander Finkwirth) und Helmut (Thorsten Michaelis) absolut authentische Berliner Originale, deren Running Gags plausibel mit dem Trott ritualisierter Tagesabläufe korrespondieren. Wenn Rashid (Falilou Seck) aus dem Nichts „der Buchstabe x ist doch eigentlich total unnütz“ sagt und Marianne (Eva Weißenborn) darauf tonlos „eenmal’n Tach in deinem Kopf verbringen“ antwortet, erwacht ihr Späti jedenfalls wirklich kurz zum Leben.
Erzählerisch zeigt sich der achtköpfige Writers Room von Headautor Patrick Stenzel („Maithink X“) zwar mitunter völlig ambitionslos. Das billige Bashing klischeehafter Knalltüten von Influencern (Snobs) über Künstler (Spinner) bis Vermieterinnen (Schweine) läuft daher ebenso ins Leere einer wohlfeilen Nummernrevue wie die unterschwellige Gentrifizierungskritik mit vorhersehbarem Happyend. Das aber machen leisere Zwischentöne einer resilienten Nachbarschaft wett.
Wäre da nicht der Hauptdarsteller. Wilson Gonzalez Ochsenknecht ist nicht nur ein mäßiger Komödiant, dem dringend mal jemand vom Fach erklären sollte, dass man Begriffsstutzigkeit 2025 nicht mehr wie Didi Hallervorden spielt, Tollpatschigkeit anders als Stan Laurel und auf keinen Fall Heinz Strunk kopieren sollte, um mangelndes Timing durch Aberwitz zu ersetzen. Weit schlimmer als sein hölzerner Fred ist allerdings Wilson Gonzalez' Eitelkeit, den Cast schubkarrenweise mit Cameos befreundeter Stars zu füllen.
Ohne der Story abseits ihrer Popularität etwas hinzuzufügen, kauft Sophie Passmann bei Fred also Kippen und Ski Aggu Brillenputztücher. Bill Kaulitz hinterlegt Heidis Haustürschlüssel und Mark Hosemann seinen S/M-Fetisch. Jasna Fritzi Bauer isst Currywurst, Maximilian Mundt grinst grundlos auf einer Party und wer das Dutzend TikTokInstaYoutube-Gewächse mit Pop-up-Auftritten nicht kennt, ist vermutlich Generation X abwärts. Dieses sinnentleerte Namedropping ist auf so prahlerische Art selbstverliebt, dass es die vielen Lichtblicke unnötig verschattet.
Freds Freundin Maya (Zeynep Bozbay) zum Beispiel und Hakans Tochter Aylin (Gülseren Erkut), die ihrer unbeugsamen Verzweiflung am vermeintlich starken Geschlecht mit so großer Würde Ausdruck verleihen, als wäre „Späti“ ein feministisches Projekt. Das ist es trotz weiblicher Deutungshoheit aller relevanten Handlungsstränge nicht. Stattdessen bietet die Serie achtmal 22 Minuten kurzweiliges Entertainment zum Bingen mit schöner Musik von Hildegard Knef bis Ton Steine Scherben. Man sollte es daher keinesfalls ernster nehmen als Wilson Gonzalez Ochsenknecht. Das tut er selber schon genug.
"Späti" steht ab sofort auf ZDF.de zum Streamen bereit, ZDFneo zeigt die Serie ab 8. April, dienstags um 21:45 Uhr in Doppelfolgen