Geld, geht ein kapitalismuskritisches Sprichwort, macht nicht satt, sondern hungrig. Wer sich in der Besitzmaximierungskonsumgesellschaft von heute aufhält, dürfte ihm kaum widersprechen. Wer „Die Affäre Cum-Ex“ im ZDF sieht, dürfte es sogar noch zuspitzen. Geld, das lehren ihre acht Folgen, macht den Homo Oeconomicus ja nicht hungrig, sondern verfressen. Und ein besonders gefräßiges Exemplar fasst den Appetit kurz vorm Finale kurz zusammen.
„Es gibt nur zwei Dinge, die einen wirklich frei machen“, sagt der betrugsverdächtige Investmentbanker Dr. Bernd Hausner bei Trüffelpasta zur ermittelnden Staatsanwältin Lena Birkwald: „Alles zu haben oder nichts.“ Denn so lange man danach strebe, irgendetwas zu besitzen, „sind Sie ein Sklave Ihres Begehrens“. Ob 20 Euro oder 20 Millionen. Wobei es in seinem Fall das Siebentausendfünfhundertfache ist.
Um 150 Milliarden Euro hat ein Netz internationaler Banken nämlich Staaten wie die USA oder Deutschland ab 2007 geprellt. Mindestens. Das Prinzip dahinter: Aktien mit (cum) oder ohne (ex) Dividendenanspruch so zu verschieben, bis einmal – zuweilen sogar keinmal – entrichtete Kapitalertragssteuer doppelt zurückverlangt werden kann. Klingt kompliziert? Ist kompliziert! Und zwar derart, dass trotz aller Versuche, Licht ins Dunkel der nimmersatten Finanzindustrie zu bringen, nur Fachleute verstehen, was genau CumEx bedeutet.
Wenn Showrunner Jan Schomburg Steuerkassen in aller Welt plündern lässt, verwendet sein Writers Room deshalb viel Mühe darauf, das Unerklärliche verständlich zu machen. Vorweg: es bleibt das Einzige, woran „Die Affäre Cum-Ex“ in der ZDF-Mediathek scheitert. So oft Jäger wie Gejagte versuchen, das titelgebende Selbstbereicherungsprinzip mit Kindergeld, Flaschenpfand oder Flüssigkeiten plausibel zu machen – für eine Unterhaltungsserie ist die Materie einfach viel zu abstrakt. Umso beachtlicher, dass X-Filme und Beta im Auftrag des Ersten Dänischen und Zweiten Deutschen Fernsehens ebenso amüsantes wie relevantes Historytainment kreiert haben.
Kurz vorm Brexit baut der promovierte Jurist Hausner (Justus von Dohnányi) mit dem jungen Steueranwalt Sven Lebert (Nils Strunk) ein scheinlegales Profitmaximierungssystem auf, das Tausende Millionäre reicher macht und Dutzende Staatskassen ärmer – bis die Kölner Staatsanwältin Birkwald (Lisa Wagner) und die Kopenhagener Finanzbeamtin Brøgger (Karen-Lise Mynster) Wind davon kriegen. Als sich ihre Ermittlungen kreuzen, fragt sich kurz, ob es mehr als die üblichen sechsmal 45 Minuten braucht, um diese Wirklichkeit zu fiktionalisieren.
Antwort: unbedingt! Auf Grundlage der Recherchen eines europäischen Presse-Pools unter Leitung des Correctiv-Reporters Oliver Schröm alias Schromm (Fabian Hinrichs) hat Jan Schomburg Writers Room schließlich einen Wirtschaftsthriller der besonderen Art kreiert. Ästhetisch zwischen Philipp Käßbohrers Wirecard-Groteske „King of Stonks“ und Raymond Leys Dokudrama „Der große Fake“, füllt das Regieduo Dustin Loose und Kaspar Munk neueren Wein mit einer Spur „Ocean’s Eleven“ in ältere Schläuche.
Anders als beim „Wall Street“-Gangster Gordon Gecko beginnt das glitzernde Kartenhaus angeblich guter Gier ja bereits nach einer von sechs Stunden zu kollabieren. Und anders als in Lisa Blumenbergs Geniestreich „Bad Banks“ malt Schomberg kein Sittengemälde hessischer Hochhausschluchten, sondern der ganzen Marktwirtschaft im Börsenrausch. Während Brokerserien oft der Faszination des Bösen erliegen, heftet sich das ZDF an die Fersen seiner exekutiven Feinde und geleitet sie durchs Wechselbad der Gefühle machtloser Institutionen.
Dank deutscher Beteiligung gerät dabei auch dieses internationale Reenactment mitunter arg didaktisch. Birkwalds Funktionsjacke zur Illustrierung ihrer Bodenständigkeit kramen bloß hiesige Kostümbildner noch aus dem Fundus. Und dass der neureiche Lebert nicht nur proletarische Eltern (klassenbewusst wie immer: Thorsten Merten) hat, sondern beim Erstbezug seines Luxusbüros über Mainhattan auf Obdachlose blickt, unterstellt seinem Publikum, für Understatement ungeeignet zu sein. Vieles leicht überinszeniert, alles kein Problem.
Denn Lisa Wagner dabei zu beobachten, wie sie Justiz, Behörden, Politik per Standleitung Belege strafbarer Umtriebe liefert und bestenfalls Ignoranz, schlimmstenfalls Widerstand erntet – das allein ist den doppelten Rundfunkbeitrag pro Stream wert. Birkwalds entgeistertes, aber zielstrebiges Gesicht verkörpert geradezu gespenstisch plausibel die Akribie ihrer realen Vorbilder. „Es sind mehr Menschen käuflich, als man denkt“, stellt eine Kollegin mal ernüchtert fest. „Sie nicht?“, fragt Birkwald. „Nö“, lautet die Antwort. Punkt.
Die Würze der Serie liegt also in ihrer kommunikativen Kürze. Etwa, wenn sich skrupellose Banker nach Hausdurchsuchungen über Rücksichtslosigkeit beklagen. Oder Birkwald vorm EU-Gremium für Justizkooperation 3:10 Minuten lang beteiligte Banken vorliest. Echte Banken von A wie ABN Amro bis W wie West LB, deren Manager mithilfe willfähriger Politiker – fast allesamt Männer – am größten Steuerraub der Geschichte beteiligt waren. Schade, dass die ZDF-Justiziare nur einen Klarnamen gebilligt haben: Olaf Scholz.
Dessen Karriere, sagt der Investigativ-Journalist Schromm vorm Erscheinen eines entlarvenden Artikels im Staffelfinale, sei damit vorbei. Na ja. Kurz darauf wird der vergessliche Banker-Buddy Bundeskanzler. Auch das erzählt „Die Affäre Cum-Ex“ – und ist bei allem Fatalismus doch ein humorvolles Plädoyer für Fernsehen mit Haltung über Themen mit Bedeutung voller Menschen mit Prinzipien. Es macht von der ersten Serienminute an hungrig auf mehr.
Alle acht Folgen von "Die Affäre Cum-Ex" stehen seit Samstag, 22.3. beim ZDF zum Streamen bereit. Die lineare Ausstrahlung erfolgt im ZDF am 13. und 14. April ab 22:15 Uhr in Viererpacks.