Seinen Lebensabend hat sich Tim Mälzer anders vorgestellt. Da sitzt der Fernsehkoch nun in einem kleinen, tristen Zimmer eines Seniorenheims und gibt zu Protokoll, welches Frühstück er gerne hätte. Wurst, Käse: Ja. Graubrot: Ja, aber nur wenn es nicht das geschmacklose "Anti-Brot" ist. Saft: Gerne. Weil es den aber nicht frisch gepresst gibt, lehnt Mälzer dann aber doch dankend ab.

Glücklicherweise ist es nur eine Nacht, die der 53-Jährige in dem Heim verbringen muss. Aber die genügt schon, um ihm vor Augen zu führen, dass Freiheit und Selbstbestimmung kaum noch zählen, sobald der letzte Mietvertrag unterschrieben ist. Einige Tage später, als er mit dem Pflegeteam über seine Gefühle und Erfahrungen spricht, die er in den wenigen Stunden als Heimbewohner gemacht hat, wird Tim Mälzer im Rückblick einen wichtigen Satz sagen: "Ich habe meine Persönlichkeit verloren."

So wie Mälzer geht es vielen alten Menschen, die in einem Heim wie diesem im rheinland-pfälzischen Bernkastel-Kues untergebracht sind. Deutlich wird das in einem bewegenden Zusammenschnitt, in dem einige der Seniorinnen und Senioren über ihre Situation sprechen. "Einschlafen und nimmer wach werden", das wünschen sich gleich mehrere von ihnen. Eine andere erzählt, den Tränen nahe, sie sage sich ganz oft, dass das doch kein Leben mehr sei.

Entstanden sind die Aufnahmen nicht etwa bei Undercover-Einsätzen mit versteckter Kamera, wie man sie von Günter Wallraff kennt. Vielmehr stimmten alle Beteiligten, auch das Heim selbst, den Dreharbeiten von Vox zu. Es handelt sich auch nicht um Missstände im eigentlichen Sinne, die der Fernsehsender zeigt – aber doch um Momente, die zum Nachdenken darüber anregen, wie unsere alternde Gesellschaft eigentlich mit ihren Alten umgeht.

Herbstresidenz mit Tim Mälzer und André Dietz © RTL / Guido Engels Heimbewohnerin Ursula Schmitt und Azubi Alina.

Die neue Vox-Sendung "Herbstresidenz" will allerdings erkennbar den Finger nicht nur in die Wunde legen. Vielmehr haben es sich der Sender und die Produktionsfirma Vitamedia zur Aufgabe gemacht, einen Schritt weiterzugehen und zumindest auf einer Station dieses Seniorenheims Veränderungen anzustoßen, indem zehn Menschen mit kognitiven Beeinträchtigungen in der Altenpflege ausgebildet werden und, so die Hoffnung, den Alltag der Heimbewohner zum Positiven verändern sollen.

Herbstresidenz mit Tim Mälzer und André Dietz © RTL / Guido Engels André Dietz und Tim Mälzer
Das Vorgehen erinnert freilich an "Zum Schwarzwälder Hirsch" – was wenig überrascht, immerhin steht hinter "Herbstresidenz" jenes Team um den Produzenten Sascha Gröhl, das auch schon die bemerkenswerte Doku-Reihe machte, in der 13 Menschen mit Down-Syndrom, unterstützt von Tim Mälzer und dem Schauspieler André Dietz, einen Monat lang ein Restaurant betreiben sollten. In der "Herbstresidenz" hat Mälzer nun keine ganz so tragende Rolle wie damals, was auch daran liegt, dass diesmal deutlich weniger gekocht wird. Gleichwohl kommt Mälzer auch in der "Herbstresidenz" eine wichtige Aufgabe zu, fungiert er doch als Scharnier zwischen den Alten, dem Pflegeteam und den Auszubildenden, und gewährt einen Einblick in seine innere Zerrissenheit, wenn's darum geht, wie eigentlich das eigene Leben oder das der Mutter einmal enden sollen.

Die Herausforderung, das wird schnell deutlich, ist noch einmal um einiges größer als beim vorherigen Restaurant-Projekt, schließlich stehen sich hier plötzlich zwei völlig unterschiedliche Lebenswelten gegenüber, die sich im ersten Moment nur wenig zu sagen haben. Wie sie sich trotzdem annähern, immer wieder an Grenzen stoßen, sie überwinden, manchmal aber auch scheitern, geht ans Herz. Dazu kommen viele kleine, ebenso traurige wie rührende Geschichten, für die sich die Sendung Zeit nimmt. Ein Wechselbad der Gefühle – im besten Sinne. Und mindestens genauso sehenswert wie der "Schwarzwälder Hirsch".

"Herbstresidenz mit Tim Mälzer und André Dietz", mittwochs um 20:15 Uhr bei Vox