Sollte es mit der Kanzlerschaft nichts werden, dann kann sich Robert Habeck vielleicht eine Zweitkarriere als Fernsehkritiker einschlagen. Als solchen hat sich der Wirtschaftsminister am Ende der ersten Folge von "Hart aber fair 360" probiert – und in wenigen Sätzen ziemlich gut auf den Punkt gebracht, woran es dem neuen Ableger von Louis Klamroths Polittalkshow mangelt. "Muss im Fernsehen halt immer schnell sein, oder? Zack, zack, zack! Sonst schalten die Leute weiter", sagte Habeck zu Klamroth, der in den vorangegangenen 40 Minuten nur wenig Arbeit hatte und immer nur dann in Erscheinung trat, um den Grünen-Politiker mit einer neuen These zu konfrontieren.

Die Debatte führten stattdessen einige der 25 Personen, die um Habeck in einem Stuhlkreis platziert wurden. Sie eint, dass sich der Politik des Kanzlerkandidaten kritisch gegenüberstehen und ihn hart angehen. Der Vorwurf der Einseitigkeit zielt in diesem Fall also ins Leere, weil genau dieser Wettstreit "Einer gegen alle" zum erklärten Konzept gehört - was sich dann auch als große Stärke erweist. Und weil sich der Moderator zu keinem Zeitpunkt in das Gespräch einmischt, bekommt das Publikum vor dem Fernseher einen ziemlich ungefilterten Eindruck davon, wie überzeugungsstark Habeck argumentiert, wenn er es mit jenen zu tun bekommt, die sich in ihrem Arbeitsalltag über die Bürokratie aufregen oder, solchen, die sich nicht vorschreiben lassen wollen, wie schnell sie auf der Autobahn zu fahren haben.

"Wenn Politik auf Wirklichkeit trifft", das langjährige Versprechen von "Hart aber fair", es wird hier zuweilen besser eingelöst als im Original. Mit dem hat "Hart aber fair 360" viel mehr als den Titel und den stichwortgebenden Gastgeber allerdings kaum gemein. Viel mehr erinnert das dunkle Studio, in dem die Gespräche stattfinden, in seiner Reduziertheit an einige der "15 Minuten"-Folgen von Joko und Klaas, in denen schon eine Seenotretterin und ein Obdachloser, aber vor einiger Zeit auch der Bundeskanzler sagen durften, was ihnen wichtig ist.

In hartem Kontrast zum zurückhaltenden Design steht jedoch das Tempo, mit dem "Hart aber fair 360" durch die Themen brettert - zurückzuführen auf eine Art Spielshow-Prinzip, das den Gesprächen zugrunde liegt. Drückt mehr als die Hälfte der 25 Personen einen Buzzer, dann wird Habecks Gegenüber ausgetauscht – was meist dazu führt, dass das gerade angerissene Thema ein abruptes Ende erfährt. Manchmal erkennbar zum Unmut des Gastes. "Gerade wenn's spannend wurde, brach's ganz häufig ab", fasste Habeck das Geschehen am Ende zusammen und ließ Louis Klamroths Einwand, seine Aussagen könnten die Menschen gelangweilt haben, nur bedingt gelten. "Manche haben schon gebuzzert, bevor ich überhaupt antworten konnte."

Ungefilterter Schlagabtausch und heftiger Widerspruch

Gleichwohl hat es dieser erste von mehreren für dieses Jahr geplanten Ablegern von "Hart aber fair", die insbesondere in der Mediathek ein jüngeres Publikum ansprechen sollen, verdient, weiterentwickelt zu werden. Der Versuch, Augenhöhe zwischen Politikern und Bürgern herzustellen, mag zwar nicht immer aufgehen, doch in seinen besseren Momenten zeigt "Hart aber fair 360", wie es gelingen kann, vor der Kamera respektvoll Argumente auszutauschen. Wer sich in die Mitte wagt, muss allerdings mit heftigem Widerspruch rechnen. So wie auch AfD-Chef Tino Chrupalla, der es in der zweiten Ausgabe mit einer Jury-Studentin zu tun bekommt, die der Familienpolitik seiner Partei nicht viel abgewinnen kann. "Sie und Ihre Partei haben viel vor mit meinem Uterus und den Fähigkeiten, die dieser Uterus hat", sagt sie und führt aus, dass im Parteiprogramm der AfD ein Bild gezeichnet werde "von einem Land und einer Zukunft, in der ich kein Kind gebären möchte". Was folgt, ist ein ungefilterter Schlagabtausch, der tatsächlich eine Erkenntnisse bringt.

Insbesondere die Ausgabe mit Chrupalla zeigt außerdem, dass "Hart aber fair 360" ungeachtet aller Spielshow-Elemente einen entscheidenden Vorteil gegenüber vielen anderen politischen Talkshows hat - und diesen auch für sich zu nutzen weiß: Weil die Sendung voraufgezeichnet ist, erfolgt der Faktencheck unmittelbar auf das Gesagte. Wer Mist erzählt, wird also im besten Falle direkt entlarvt.

Und so macht der neue Polittalk, der ganz offensichtlich stark inspiriert ist vom amerikanischen YouTube-Format "Surrounded", auf Anhieb vieles richtig. Ein bisschen weniger "Zack, zack, zack", wie es TV-Kritiker Habeck ausdrückt, täte dem Format, so es denn weitergeht, in Zukunft allerdings nicht schlecht.

"Hart aber fair 360", in der ARD-Mediathek