Nach spätestens 20 Minuten dämmerte den vier Kanzlerkandidaten plötzlich, bei welchem Sender sie gerade zu Gast waren. Was denn schlimmer für sie sei, wollte Moderatorin Pinar Atalay in einer Schnellfragerunde wissen: Opposition oder Dschungelcamp? Für einen kurzen Moment herrschte Verwunderung, dann traute sich Friedrich Merz aus der Deckung. "Ich wundere mich über die Frage", sagte der CDU-Chef mit einer Mischung aus Erstaunen und Empörung in der Stimme, ehe Atalay ihm klarmachte: "Wir sind bei RTL, Herr Merz!"

Gegen dieses Argument konnte sich Merz freilich nicht wehren und zeigte sich dann doch noch schlagfertig. "Lieber Jahrzehnte in der Opposition als zehn Tage im Dschungelcamp!", antwortete er, ehe Kanzler Olaf Scholz wenig später ausrichten ließ, nicht ins Dschungelcamp zu wollen, aber zumindest schon mal reingeschaut zu haben. Wenn das mal keine Erkenntnis ist!

Man kann die Frage freilich belächeln, doch in zwei Stunden des intensiven politischen Streits einen amüsanten Moment einzubauen, muss selbst in ernsten Zeiten wie diesen erlaubt sein. Zumal RTL in diesem ersten "TV-Quadrell", wie der Sender das Aufeinandertreffen von Scholz, Merz, Robert Habeck und Alice Weidel taufte, über weite Strecken des Abends unter Beweis stellte, dass der laute Privatsender auch seriös sein kann – und im Übrigen während der Debatte sogar gänzlich auf Werbeunterbrechungen und damit auf bares Geld verzichtete.

Gleichwohl sind Fragen wie jene zum Dschungelcamp freilich eine Gratwanderung in einer viel beachteten Sendung, wie sie das "Quadrell" ist. Dass man es nicht übertreiben sollte, zeigte sich im weiteren Verlauf des Abends, als Atalays Moderationskollege Günther Jauch Friedrich Merz fragte, was ihn denn mehr ärgere: "Dass Olaf Scholz immer sagt, Sie lügen, oder dass sogar der Bundeskanzler besser bei jungen Frauen ankommt als Sie?" Diesmal war es Robert Habeck, der über die ungeschickte Formulierung stutzte. "Was sind das für Fragen?", entfuhr es ihm. "Ich darf ja nicht Sendekritik machen, aber ich wundere mich." Viel Zeit zur Verwunderung blieb dem Vizekanzler jedoch nicht, weil Pinar Atalay mit der nächsten Frage an ihn selbst um die Ecke kam. "Was ärgert Sie mehr: Dass Sie als Wirtschaftsminister im Fernsehen nicht erklären konnten, was eine Insolvenz ist, oder dass Friedrich Merz Sie als Wuschelbär bezeichnet hat?"

Doch so sehr man sich streiten mag über Dschungelcamp- oder Wuschelbär-Fragen – ärgerlicher war da schon so mancher journalistische Elfmeter, den insbesondere Günther Jauch an diesem Abend nicht verwandelte. Eigentlich wollte er den Kanzler mit einer Anspielung auf dessen vermeintliche Erinnerungslücken und die "Cum-Ex-Prozesse" nur kurz ärgern, da schlug dieser mühelos zurück: "Es gab keine Cum-Ex-Prozesse." Wie schade, Frage verpufft. Ebenfalls gut gemeint, aber ähnlich verschenkt war eine Frage, die Jauch im "Wer wird Millionär?"-Stil stellte. Deren Auflösung – dass gerade einmal 20 Prozent der Beamten tatsächlich bis zur gesetzlichen Altersgrenze arbeiten – hätte spannenden Stoff für eine Diskussion geboten. Die aber wurde leider unmittelbar im Keim erstickt. Und jene über das Klima oder die Pflege übrigens gar nicht erst begonnen.

Ein guter Abend für die Demokratie

Dazu kommt, dass auch das Zusammenspiel zwischen Jauch und Atalay nicht immer reibungslos funktionierte. Gleich mehrfach fielen sich die beiden Fragensteller ins Wort; selbst die Verabschiedung brachten sie nicht fehlerfrei über die Bühne. Da wäre gewiss mehr möglich gewesen – etwa durch eine klare Aufteilung der Themengebiete, wie es die öffentlich-rechtlichen Kolleginnen Sandra Maischberger und Maybrit Illner eine Woche zuvor beim "TV-Duell" vorgemacht hatten.

Trotz dieser Schwachstellen konnte sich das erste "TV-Quadrell" der deutschen Fernsehgeschichte - ein echter Coup für RTL - sehen lassen, weil abseits besagter Cringe-Momente dann doch ein guter Schlagabtausch zwischen den vier Kandidaten zustande kam, der die Unterschiede der Parteien deutlich machte. So gesehen war es ein guter Abend für die Demokratie, den RTL eine Woche vor dem Wahltag in Berlin auf die Beine stellte.

Nach dem Ende des Vierkampfs fand der Sender allerdings schnell wieder zurück in sein gewohntes Fahrwasser und bot ein krasses Kontrastprogramm zur vorherigen Diskussion. Wo gerade noch der Kanzler und seine Herausforderer über Migration, Sicherheit und Rente stritten, übernahmen plötzlich Ruth Moschner und Joachim Llambi neben Frauke Ludowig die Analyse des zuvor Gesehenen; selbst Julian F.M. Stoekel durfte zusammen mit der früheren "Super Nanny" seinen Senf zum "Quadrell" abgeben. Von ihnen, so darf am Ende dieses langen Abends gemutmaßt werden, hätte sich vermutlich niemand über eine Frage zum Dschungelcamp gewundert.