Mit ihrer enormen Reichweite sind Social Networks in den vergangenen 15 Jahren nicht nur für Medienhäuser und Creator attraktiv geworden. Auch Werbekunden bzw. Media-Agenturen sind der Faszination der Größe, verknüpft mit einem nie zuvor gekannten Targeting, erlegen. Allein im deutschsprachigen Markt wurden Werbegelder in Milliardenhöhe verschoben - von Medienhäusern, wo sie zur Refinanzierung von Journalismus, aber auch Entertainment und Kultur vor Ort genutzt wurden, hin zu den Tech Companys im Silicon Valley oder China. Im Geschäft mit der Werbung, in dem Preis und Performance noch immer über alles geht, spielt Verantwortung selten eine Rolle. 

Nun schütten inzwischen auch Social Networks Bruchteile ihrer Budgets an Creator aus, doch diese mittelbare Wertschöpfung hat einen Haken: Wo Medienhäuser Verantwortung übernehmen müssen für die Inhalte, die sie verbreiten, ist diese Sorgfaltspflicht bei Social Networks so ernst zu nehmen wie ein Dry January bei Claudia Obert. Denn in der Kontrolle dessen, was verbreitet oder gar finanziert wird, haben alle Social Networks versagt. Es ist ein Geburtsfehler: Der Faszination des enormen Wachstums stand immer schon ein fehlendes Bewusstsein für Verantwortung und Kontrolle gegenüber. Wobei es wichtig ist zu differenzieren: Regulierung bzw. Kontrolle ist ungleich Zensur, auch wenn Mark Zuckerberg jetzt schockierenderweise dieses Framing von Donald Trump und Elon Musk übernimmt. Spielregeln gelten in jeder Gesellschaft. 

Hass und Fake News sind keine Meinungsfreiheit 

Das als Zensur zu bezeichnen, ist brandgefährlich, weil es an den Grundfesten eines zivilisierten Miteinanders rüttelt. Trump und Musk gefällt das, Zuckerberg scheinbar auch. Aber Hass und Fake News sind keine Meinungsfreiheit. Es braucht ein verantwortungsvolles Sendungsbewusstsein. Eloquente Lobbyisten, schicke Kampagnen und dreckig verdiente Charity-Millionen, die öffentlichkeitswirksam gespendet werden, ändern nichts an dem Fakt: Social Networks haben das nicht. Um es klipp und klar zu formulieren: Das waren nie anständige Geschäftsmodelle. Weder wurde Verantwortung übernommen für das, was veröffentlicht wurde. Noch war jemals umfassend im Nachgang kontrollierbar, was verbreitet wurde.

Und jetzt der Kniefall vor den Extremisten Trump und Musk. Wie pervers manche Formulierungen in Zuckerbergs Video sind, wurde schon hinreichend kommentiert. Die Konsequenz ist ein Mehr an Desinformation und ein Freifahrtsschein für Hate Speech, wenn Meinungsfreiheit falsch verstanden wird. Mal ganz konkret: Die neuen Hate Speech Guidelines von Facebook erlauben es ausgerechnet in Zeiten von zunehmendem Hass auf der globalen Plattform wieder, Menschen der LGBTIQ-Community als psychisch krank zu bezeichnen. Und das ist nur ein sehr persönlicher Blick darauf. Wie eine Plattform in Hass und Hetze versinken kann, lässt sich schon länger bei X beobachten - und genau deren Verantwortungslosigkeit erklärt Zuckerberg zum Vorbild?

Es gibt einen wirksamen Hebel dagegen. Wenn Werbekunden und Media-Agenturen zur Abwechslung mal Verantwortung übernehmen würden, denn Metas Angebote sind werbefinanziert. Bevor sich die träge Masse von Nutzerinnen und Nutzern von im Alltag gewohnten Plattformen trennt, liegt es an denen, die Werbe-Milliarden verwalten, jetzt umzudenken. Und das geht Markt für Markt, Land für Land. Mit dem Wissen um Metas Verantwortungslosigkeit ist die Konsequenz glasklar: Werbekunden und Agenturen, die weiter Werbegelder in jene Social Networks pumpen, welche ihrer Verantwortung für die dort verbreiteten Inhalte nicht nachkommen, finanzieren die Verbreitung von Hass und Hetze. Nach Zuckerbergs Ankündigungen kann sich niemand mehr rausreden oder selbst belügen, was die Umfelder in Metas Netzwerken angeht.

Wollt ihr weiter Hass und Hetze finanzieren?

Große Medienhäuser versuchen es Agenturen und Werbekunden seit Jahren schon durch die Blume mitzuteilen, nennen es vornehm "Brand Safety". Man will ja die Hand, die einen füttert, nicht zu hart kritisieren, also heben Medienhäuser - und bei den meisten stimmt es auch - bislang lieber die eigene Qualitätskontrolle und Sicherung von Standards hervor. Unausgesprochen bleibt die Kehrseite: Dass Social Networks das eben nicht gewährleisten. Doch die Zeit für vorsichtige Höflichkeiten ist vorbei, weil wir es uns als Gesellschaft nicht länger leisten können, dass über unkontrollierte Social Networks der Bereich des Sagbaren im öffentlichen Diskurs immer weiter verschoben wird.

Deshalb gilt es den Media-Agenturen und Werbekunden eine einfache, klare Frage zu stellen: Wollt ihr mit euren Marken und Produkten weiter Hass und Hetze finanzieren? Eine Frage des Anstands. Sind Medienhäuser als Alternative etwa frei von Fehlern und manchmal zweifelhafter Berichterstattung? Nein, aber sie sind eingebunden in ein wesentlich komplexeres Netz von Kontrolle und Konkurrenz. Kein Vergleich mit der Verantwortungslosigkeit und Unkontrollierbarkeit globaler Anbieter. Jede Werbekampagne bei X und Meta macht sich mitschuldig. Die Kapitulation von Meta vor Donald Trumps Fake-News-Amerika muss deshalb ein Weckruf sein, der mittelbar zum Vorteil von Medienhäusern werden kann.

Die Argumentationen von Media-Agenturen und Werbekunden kann man erahnen: Anders als über soziale Netzwerke würden sich gewisse Zielgruppen, gerade jüngere, kaum noch erreichen lassen! Und das ist nicht falsch, aber eben auch eine selbstverschuldete Konsequenz von jenen Werbe-Milliarden, die über Jahre in unkontrollierbare Social Networks geflossen sind statt in mediale Angebote egal welcher Art, die sich verantwortungsbewusst an Regeln und Gesetze gehalten haben. Probiert haben es Verlage wie Sender und eigenständige Online-Angebote oft genug.

Vielleicht kann uns dieser Weckruf jetzt nebenbei noch etwas lehren, was man vielleicht ein bisschen besser versteht, wenn man auch schon vor 20 oder 25 Jahren online war: Das Internet ist so viel mehr als Social Networks. Die Faszination des World Wide Web war (und ist) die Vielfalt von Angeboten a.k.a. Websites, die entdeckt werden wollen. Das dauert zugegebenermaßen länger als beim Doomscrolling den Empfehlungen undurchsichtiger Algorithmen zu folgen.

Creator und Firmen haben sich oft abhängig gemacht von Konzernen, deren ständig wechselnden Regeln und Algorithmen immer wieder zu Aufschreien geführt haben. „The Homepage is dead“ war vor genau zehn Jahren mal ein Schlagwort, das von Social-Media-Evangelisten propagiert wurde. Doch während die sozialen Netzwerke inzwischen drohen, unkontrolliert zum toxischen Sumpf zu verkommen, können verantwortungsvolle Angebote - ob im Netz, gedruckt oder gesendet - gerade jetzt besonders wichtige Inseln sein. Für Creator, Medienhäuser und Werbekunden gleichermaßen.