Seit drei Monaten ist Stefan Raab aus der Fernsehrente zurück, doch langsam aber sicher scheint der Moment gekommen, an dem hochoffiziell festgehalten werden muss, dass sein Ruf als genialer Show-Entwickler der Vergangenheit angehört. Denn anstatt sich selbst nach seiner langen TV-Abstinenz noch einmal neu zu erfinden, macht Raab bei seinem neuen Heimatsender RTL einfach das, was er auch schon in all den Jahren bei ProSieben gemacht hat.
Nach dem neuerlichen Boxkampf gegen Regina Halmich, einem "TV total"-Verschnitt im Streaming und seinen Plänen für den Eurovision Song Contest, den er bekanntlich zur "Chefsache" machen möchte, ist seit diesem Wochenende nun also auch "Schlag den Raab" endgültig zurück. Jene Show, mit der Stefan Raab jahrelang ein Millionenpublikum um den Schlaf brachte, weil absurde Spiele im gefühlten Morgengrauen darüber entschieden, ob seine Gegner im Idealfall als Millionär nach Hause gingen oder eben nicht. Na gut, ganz streng genommen handelt es sich bei der neuen Show, die am Samstagabend bei RTL zu sehen war, gar nicht um "Schlag den Raab", sondern, freundlich formuliert, um eine zaghafte Weiterentwicklung, deren größter Unterschied darin liegt, dass es Raabs Gegner neuerdings zwar nicht nur mit ihm aufnehmen müssen, sondern auch mit Michael Bully Herbig, dafür aber nur noch halb so viel Geld gewinnen können wie früher.
Offiziell hört die Sendung auf den Namen "Stefan und Bully gegen irgendson Schnulli", doch bei deren Premiere machten sich die Beteiligten gar nicht erst die Mühe, so zu tun, als sei man gerade Zeuge der Neuerfindung des Fernsehens. Daran ändert auch die Tatsache nichts, dass Raab und Bully zu Beginn der Show beinahe gottgleich von der Studiodecke auf die Bühne schweben.
Nein, auch wenn das Punktesystem leicht modifiziert und dem eigentlichen Wettbewerb zunächst noch ein Vierkampf der potenziellen "Schnullis" vorgeschaltet wurde, so sind die Parallelen zu "Schlag den Raab" unverkennbar. Lange Umziehpausen, ein immerzu nachfragender Raab und ein Punkte-Tortediagramm inklusive. Und Elton ist, natürlich, auch wieder mit dabei. Nur folgerichtig, dass die Entscheidung über Sieg und Niederlage erst irgendwann weit nach 1 Uhr fällt, weil sich "Schnulli" Marc, ein junger Arzt, dessen Tag angesichts all seiner sportlichen Freizeitaktivitäten aus mindestens 29 Stunden bestehen muss, ziemlich gut gegen das prominente, aber eben auch ein wenig in die Jahre gekommene Duo behauptet.
Und Raab? Seine Motivation scheint noch immer ungebrochen – selbst als er nach Mitternacht im strömenden Hürther Regen Weihnachtsbäume in einen im Kreis fahrenden Lkw werfen muss. Allein seine Dominanz von einst scheint anfangs etwas auf der Strecke geblieben zu sein, wie nach einiger Zeit dann auch Frank Buschmann in seiner Kommentatorenbox feststellt. "Isser alt geworden?", fragt er während eines Spiels, bei dem Raab ein motorisiertes Gefährt durch schlammige Gefilde bugsieren muss und nicht die erwartetete Spitzenleistung abliefert. Wenig später folgt die nächste Spitze – diesmal, als sich Raab beim Wiegen von Tannenzapfen und Apfelsinen schwer tut. "Orientierungslos und ideenlos, fast ein bisschen lost" sei er, ätzt Buschmann, und wollte man gehässig sein, dann ließe sich diese Aussage auch auf Raabs jüngste Show-Erfindungen münzen.
Dass "Stefan und Bully gegen irgendson Schnulli" letztlich jedoch trotz einiger Längen für einen guten Fernsehabend sorgt, mag insbesondere am Tag nach dem schrecklichen Anschlag in Magdeburg auch mit einem Gefühl der Vertrautheit zu tun haben – und ja, vielleicht auch mit der Sehnsucht nach einer Zeit, in der die Welt noch etwas weniger komplex schien. Es hängt aber auch mit Bully Herbig zusammen, der dem verbissenen Altmeister mit unterhaltsamer Gelassenheit zumindest stellenweise die Show stiehlt.
Zu fortgeschrittener Stunde ist es aber dann doch wieder Stefan Raab höchstpersönlich, der mit bemerkenswertem Ehrgeiz dafür sorgt, dass der zwischenzeitlich aussichtslos scheinende Wettkampf noch einmal spannend wird. Weil er auf einem Rollbrett angegurtet zum Erstaunen aller einen Parcours schneller bewältigt als der über 20 Jahre jüngere Herausforderer, tobt nicht nur Raab, sondern auch die Menge im Studio. Und dass es einem vermeintlich simplen Frisbee-Spiel mit einem erbitterten Herzschlag-Finish gelingt, den Puls nach mehr als fünf Stunden Wettkampf abermals ganz nach oben zu treiben, spricht letztlich auch 18 Jahre nach der ersten Ausgabe für das großartige Konzept – ganz gleich, ob die Show nun "Schlag den Raab" heißt oder nicht.
Gleichwohl sei die Frage erlaubt, weshalb Stefan Raab mit seinen immerhin 58 Lenzen nun eigentlich in gleich zwei Shows gegen Kandidaten in Sport-, Wissens- und Geschicklichkeitsspielen antritt, immerhin weist "Du gewinnst hier nicht die Million", seine wöchentliche RTL+-Show, nicht nur eine kaum zu leugnende Nähe zu "TV total" auf, sondern eben auch zu "Schlag den Raab" beziehungsweise "Stefan und Bully gegen irgendson Schnulli". Gerade vor dem Hintergrund seiner neuesten Sendung täte Raab gut daran, das Konzept seiner Weekly noch einmal neu zu justieren. Doch so gut es auch ist, dass sich Stefan Raab neuerdings wieder auf der Samstagabendbühne austoben darf – vielleicht schafft er es zur Abwechslung ja doch irgendwann noch einmal, etwas wirklich Neues zu erfinden. Eine Vivasion könnte möglicherweise helfen.