Wenn Ende dieser Woche die Ministerpräsidentinnen und -präsidenten der Länder tagen, dann soll dort auch die Reform von ARD und ZDF beschlossen werden, die die Rundfunkkommission in den letzten Monaten mit ziemlich heißer Nadel gestrickt hat. Neben der Frage, wie viel Text die Öffentlich-Rechtlichen künftig noch im Internet anbieten dürfen und Beschränkungen bei der Zahl der Radiosender wirft dabei vor allem ein Punkt Diskussionen auf: die Reduzierung der Spartensender.

Für den größten öffentlichen Aufschrei sorgte dabei der Anstoß, die Inhalte von 3sat bei Arte zu integrieren. Dabei steht eine kurzfristige Abschaffung von 3sat ja schon deswegen nicht zur Debatte, weil an dem Sender auch ORF und SRG beteiligt sind. Schon im Entwurf betont man daher, dass es gar keine Verpflichtung zu einem solchen Schritt gebe und dass man eine Integration lediglich „ermöglichen“ wolle. Wenn nun aus den Sendern also Appelle zum Erhalt von 3sat zu hören sind, dann müssten die sich vor allem an sich selbst richten.

Viel größeres Kopfzerbrechen bereiten den Verantwortlichen bei ARD und ZDF daher derzeit auch die geplanten Regelungen für die übrigen Spartensender. Die Medienpolitik drückt sich hier ein Stück weit um eine starre Vorgabe und gibt den Sendern Gestaltungsspielraum – denn im Entwurf des Reformstaatsvertrags ist nur noch die Rede von „Körben“ und einer Maximal-Anzahl an künftig gemeinsam von ARD und ZDF veranstalteten Sendern. Doch was aus dem derzeitigen Angebot übrig bleibt und wer bei welchem Angebot das Sagen hat, das sollen die Intendantinnen und Intendanten selbst regeln. Es droht also ein zermürbender Verteilungskampf, bei dem der zu verlieren droht, der sich zuerst bewegt.

Dabei gibt die Medienpolitik die Marschroute bei genauerem Hinsehen ja schon ziemlich genau vor. Und wenn man nüchtern auf die Stärken und Schwächen der Angebote schaut, dann ergibt sich auch schnell eine sinnvolle Aufteilung.

Körbe Spartensender © Rundfunkkommission So skizziert die Rundfunkkommission der Länder schon recht klar die künftige Aufteilung der Spartensender

One kann buchstäblich in Neo aufgehen

Blicken wir zunächst auf die „jüngeren Angebote“. Sowohl für den Kika als auch für das an junge Menschen gerichtete (und ohnehin nicht linear verbreitete) Funk gibt es keinen Anlass zu grundsätzlichen Veränderungen, sie können auch nach den Regeln des Reform-Staatsvertrags weiter so betrieben werden, lediglich eine „abgestimmte Strategie“, um die älter werdenden Nutzerinnen und Nutzer an das nachfolgende Angebot zu übergeben, wird benötigt – und erscheint ja ohnehin schon immer sinnvoll.

Zur Debatte steht also nur das Angebot für „jüngere Erwachsene ab 30 Jahren“. Hier existieren bislang ZDFneo und One. Während das ZDF seit Jahren viel Geld in Produktionen für ZDFneo investiert – sowohl fiktional in die „Neoriginals“, als auch in non-fiktionale Formate – wird das beim WDR angesiedelte One schon immer stiefmütterlich behandelt und ist daher auch wesentlich erfolgloser. One erreichte 2023 in der Altersgruppe 14-49 0,6 Prozent Marktanteil, ZDFneo 2,0 Prozent.

Dass One überhaupt noch existiert, ist ohnehin einzig und allein dem durchsichtigen Manöver der ARD zu verdanken, den Sender als eine Art Verhandlungsmasse in der Hinterhand zu behalten. Zur Erinnerung: Die ARD hat jahrelang behauptet, sie würde ja einen Spartenkanal abschaffen, dürfe das aber nicht. Dann bekam sie die Möglichkeit, verzögerte die Entscheidung aber ein ums andere Mal, bis man zuletzt behauptete, dass man der geplanten Reform nicht vorgreifen wolle. Wenn selbst WDR-Programmdirektor Jörg Schönenborn findet, dass man deswegen „ziemlich dumm dasteht“, dann ist klar, dass sogar die meisten in der ARD eingesehen haben, dass das Angebot so schon lange keinen Sinn mehr ergibt.

Also kann die Entscheidung hier nur heißen, dass die Federführung des Angebots für die Zielgruppe junger Erwachsener ab 30 ganz klar in den Händen des ZDF liegen muss. Das erscheint auch schon allein deswegen sinnvoll, weil das ZDF den Sender als lineare Experimentierfläche benötigt, während die ARD durch ihre (interessanterweise gar nicht infrage gestellten) Dritten über mehr als genug Programmplätze verfügt. Die wenigen Inhalte, die die ARD bislang auf One bereitgestellt hat, fänden auf dem gemeinsamen Kanal trotzdem Platz – und sogar noch einige mehr, wenn man sich entscheiden würde, manche Serie vielleicht besser dort als im Randprogramm des Ersten oder einem Dritten zu platzieren. Wenn man sich dafür die ein oder andere ZDF-Krimi-Wiederholung sparen würde, dann täte das dem Profil auch ganz gut.

Bleibt noch die Frage nach der Marke: „One“ scheidet schon allein deswegen aus, weil es gar keine Marke, sondern eine Zahl ist und zudem auch nur aufs Erste referenziert. Auf der Hand läge stattdessen „Neo“ – zumal „One“ darin buchstäblich aufgeht und in „Neoriginals“ der ZDF-Zusatz ja ohnehin auch schon fehlt. Das ZDF müsste lediglich schlucken, dass von der mühsam aufgebauten „ZDF-Programmfamilie“ dann namentlich ein Teil wegbrechen würde - die mögliche Stärkung des Profils sollte man trotzdem als Chance begreifen.

Sender für Tagesaktuelles: Ein aufgebohrtes Phoenix

Am deutlichsten fällt die von der Politik voraussichtlich angeordnete Reduktion interessanterweise im Informations-Bereich aus – also unbestritten einem Kerngebiet des öffentlich-rechtlichen Auftrags. Aus bislang vier sollen künftig zwei Sender werden – und auch hier gibt die Medienpolitik ja schon ziemlich genaue Vorstellungen vor. Die sinnvolle Aufteilung wäre: Ein Angebot für Tagesaktuelles und ein Angebot für alles Nicht-Tagesaktuelle, vorrangig also Dokumentationen und Reportagen.

Bei der Tagesaktualität gibt es neben dem lange etablierten Phoenix noch das in den letzten Jahren stetig ausgebaute Tagesschau24. Doch so sehr man sich bei ARD-aktuell auch bemüht: Bis heute wirkt das Angebot eher wie die Simulation eines öffentlich-rechtlichen Nachrichtensenders auf Sparflamme, auf dem aufgezeichnete und immer mal wieder aktualisierte Nachrichten in Dauerschleife laufen. Im Normalbetrieb würde es genauso reichen, diese News beispielsweise stündlich zu zeigen. Der größte Vorteil von Tagesschau24 – nämlich in Breaking-News-Situationen sofort „Live-fähig“ zu sein und das Signal bei Bedarf auch ins Erste durchschalten zu können – bliebe unverändert.

Dazwischen wäre Platz für das, was Phoenix ja bislang ausmacht: Die detaillierte Vor-Ort-Berichterstattung, auch stundenlange Übertragungen von Bundestags-Debatten bleiben möglich und können im Zweifel ohnehin auch online weitergeführt werden. Auch die ausgeruhten Gesprächsrunden von Phoenix könnten fortgeführt werden.

Auch wenn das ZDF weiter in geringerem Umfang als bislang bei Phoenix am Sender beteiligt sein könnte: Die klare Federführung müsste hier künftig bei der ARD oder genauer gesagt: ARD-aktuell liegen, die bisherige Doppelspitze könnte man sich sparen. Das ZDF hat ohnehin nie Ambitionen gezeigt, ein Vorhaben wie heute24 zu etablieren. Die engere Anbindung an ARD-aktuell würde zudem nahelegen, den Sender direkt dort anzusiedeln, anstatt ihn extern in Bonn zu betreiben. Auch das dürfte erhebliches Einsparpotential bergen, auch wenn es dem WDR nicht gefallen wird.

Ein gemeinsamer Doku-Kanal von ARD und ZDF

Bliebe noch der Bereich abseits der Tagesaktualität. Man kann sich natürlich die Frage stellen, ob es einen Dokusender überhaupt braucht – schließlich ginge es hier (von einigen Zukäufen abgesehen) vor allem auch um das Kuratieren bereits vorhandener Inhalte, die man bei Bedarf auch in den Mediatheken abrufen kann. Doch das ZDF beweist seit über einem Jahrzehnt bei ZDFinfo, wie man durch die Zusammenstellung aufeinander aufbauender Doku-Strecken ganz erhebliche Reichweiten aufbauen und bemerkenswerte Erfolge feiern kann. Warum sollte man auf diese optimale Ausnutzung des Programmvermögens also verzichten?

Und warum sollte das Angebot nicht noch deutlich besser werden, wenn die Verantwortlichen für die Zusammenstellung sogar auf den Fundus von ARD und ZDF zugreifen könnten? Die Programmzulieferung sollte also idealerweise zu gleichen Teilen von ARD und ZDF kommen, die Federführung aber dem ZDF obliegen. Dort hat man wie erwähnt seit vielen Jahren das Know-How aufgebaut, wie man erfolgreich einen Dokusender betreibt – die ARD kann nichts Vergleichbares vorweisen.

Übrig ist nun noch ARD-alpha. Haben Sie noch nie gesehen? Da geht es Ihnen wie den meisten, der Sender fristet mit einem Marktanteil von 0,2 Prozent ein absolutes Nischendasein, hieß früher BR-alpha und hat sich auf Bildungsinhalte spezialisiert. Es sind keine Inhalte, in die man sich wie in Doku-Strecken beim Drüberzappen reinziehen lässt, es sind Inhalte, nach denen man gezielt sucht. Schon 2021 sagte BR-Intendantin Katja Wildermuth, dass man ARD-alpha zu einem „multimedialen Bildungs- und Wissensangebot weiterentwickeln“ wolle. Als solches ist es online bestens aufgehoben, die lineare Verbreitung auch mit Blick auf den seit Jahren stabil kaum messbaren Marktanteil offensichtlich verzichtbar.

Ach ja, 3sat…

Wie eingangs schon erwähnt: 3sat steht gar nicht akut zur Debatte. ARD und ZDF haben schon Solidaritätsadressen gesendet, auch der ORF hat sich öffentlich zu dem Drei-Länder-Sender bekannt. Ob das dauerhaft so bleibt, steht aber auf einem anderen Blatt, in Österreich und der Schweiz steht der öffentlich-rechtliche Rundfunk sicher nicht weniger unter Beschuss und Spardruck als hierzulande. Dass sich die Inhalte einfach in Arte überführen ließen, ist in den meisten Fällen aber kaum zu erwarten.

In der neuen Struktur könnten sie aber durchaus auch anderswo unterkommen. Wer sagt, dass „Kulturzeit“ oder „Nano“ nicht auch in die Hauptprogramme von ARD und ZDF integriert werden können? Den dann mutmaßlich schwächeren Quoten stünde eine klare Image-Aufwertung gegenüber – und würde vielen Kritikern einigen Wind aus den Segeln nehmen. Lange Dokumentarfilme? Wir erinnern uns: Es gibt einen gemeinsamen Doku-Kanal, Budgets ließen sich hierher umschichten. Kabarett? Kann genauso auf Neo oder einem der Hauptprogramme laufen. Und mal ganz abgesehen davon: In den letzten Jahren wurden ARDkultur und ZDFkultur online so auf- und ausgebaut, dass auch dort zunehmend mehr Kulturinhalte ihren Platz finden können.

Natürlich würden all diese Entscheidungen von den ARD-Anstalten wie auch dem ZDF Zugeständnisse abverlangen, keiner gibt gern Sender und Einfluss ab. Letztlich ergäbe sich aber so eine ausgewogene Aufteilung der Federführungen: Die ARD bei Kika und einem aufgebohrten Phoenix, das ZDF bei Neo und einem neuen Dokukanal - und alles spielt den bisherigen Stärken in die Karten. Vor allem ist es aber jetzt an den Intendantinnen und Intendanten, mal nicht aus Anbieter-, sondern aus Publikumssicht zu überlegen: Würde in dieser neuen Aufstellung den Zuschauerinnen und Zuschauern wirklich etwas Wichtiges fehlen? Wenn man diese Brille aufsetzt, dann erscheint es gar nicht so kompliziert, zu guten Lösungen zu kommen. Also reißt euch zusammen und geht's an.