Als der Italien-Hammer erneut zuschlug, befand Medien-Deutschland sich gerade im Nationalfeiertag, weshalb der große Aufschrei diesmal ausblieb. Die Börsen reagierten dennoch und schickten den Kurs von ProSiebenSat.1 zwischenzeitlich um 7,2 Prozent nach oben, den von MFE MediaForEurope um 3,4 Prozent abwärts. Die Nachricht, die für die plötzliche Bewegung sorgte, hatte Bloomberg aus dem Umfeld des Berlusconi-Clans erfahren: Bereits im November könnten die Italiener ihre Beteiligung an der deutschen Sendergruppe aufstocken.

MFE-CEO Pier Silvio Berlusconi, der Sohn des 2023 verstorbenen Ex-Ministerpräsidenten, erwägt demnach, bis zum 14. November abzuwarten, wenn ProSiebenSat.1 seine Ergebnisse fürs dritte Quartal veröffentlicht, und danach eine Entscheidung zu treffen. Sollten die Zahlen keinen ausreichend deutlichen Fortschritt zeigen, wäre Berlusconi laut Bloomberg geneigt, rasch weitere Anteile zuzukaufen und bei Überschreiten der 30-Prozent-Schwelle das verpflichtende Übernahmeangebot an die übrigen Aktionäre abzugeben. Bislang operiert MFE einschließlich seiner Optionen knapp unter 30 Prozent.

Die Regeln für ein Pflichtangebot sind klar: Laut deutschem Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetz (WpÜG) liegt der Mindestwert, der nicht unterschritten werden darf, beim umsatzgewichteten Durchschnittskurs der vorangegangenen drei Monate. Bei ProSiebenSat.1 wären das aktuell um die sechs Euro pro Aktie. Dass MFE wesentlich mehr bietet, ist nicht zu erwarten. Ein alternatives Szenario, das offenbar in Mailand kursiert, wäre ein freiwilliges Übernahmeangebot aus dem derzeitigen Stand und ein sogenannter Aktientausch, bei dem Anteilseigner ihre ProSiebenSat.1-Papiere direkt gegen MFE-Aktien eintauschen können. Schon vor Monaten war bekannt geworden, dass ein mögliches Konsortium aus Bank of America, Deutscher Bank und Unicredit der MFE bis zu vier Milliarden Euro an Kreditmitteln zur Verfügung stellen könnte.

MFE auf einen Blick

  • Umsatz 2023: 2,8 Milliarden Euro

  • Gesellschafter: Fininvest (49%), Streubesitz (26%), Treuhänder (19%), Vivendi (4,4%)

  • Geschäftsführung: Pier Silvio Berlusconi (CEO), Marco Giordani (CFO), Gina Nieri (Legal), Niccolò Querci (HR & Operations), Stefano Sala (Vermarktung)

  • Produktionsfirmen: Alea Media, Bulldog TV, La Fábrica de la Tele, Fénix Media, Medset Film, Medusa Film, Producciones Mandarina, Taodue Film, Telecinco Cinema, Unicorn Content

Seit dem Frühjahr ließ Berlusconi seine deutsche Beteiligung eine Taktik der Nadelstiche spüren. In die Hauptversammlung Ende April gingen seine Vertreter gar mit einem Aufspaltungsantrag, der ProSiebenSat.1 in zwei Teile zerschlagen sollte: das Kerngeschäft Entertainment auf der einen, die E-Commerce- und Online-Dating-Beteiligungen auf der anderen Seite. Zwar verfehlte der Antrag knapp die nötige Dreiviertelmehrheit, doch mit allen anderen Anträgen kam MFE durch, etwa bei der Neubesetzung von Aufsichtsratsposten und dem Absenken der Aufgreifschwelle des Aufsichtsrats für künftige Investitionen. Im Juni gab Berlusconi zu Protokoll, ProSiebenSat.1 stecke in einer "heiklen Situation" und das Management müsse sich beim Schuldenabbau "ranhalten". Im September wiederum schrieb MFE, man erwarte fürs laufende Jahr eine Verbesserung von "Nettoergebnis, Cash-Erlösen und Schuldenreduktion" gegenüber 2023.

Pier Silvio Berlusconi © MFE Operative Stärke: Pier Silvio Berlusconi verzeichnet Wachstum
Aufs eigene Geschäft in Italien und Spanien kann Berlusconi im Jahr eins nach dem Tod seines Vaters aus einer Position der operativen Stärke blicken. Der Konzernumsatz kletterte im ersten Halbjahr 2024 um 7,8 Prozent auf 1,48 Milliarden Euro, das Betriebsergebnis um 12,7 Prozent auf 136,3 Millionen Euro und der Nettogewinn um 20,2 Prozent auf 104,7 Millionen Euro. Seine Nettoverschuldung konnte MFE zwischen Januar und Juni um 27 Prozent auf 662 Millionen Euro zurückführen. Man habe Ergebnisse "oberhalb aller Erwartungen" abgeliefert, frohlockte Berlusconi, und das in einem Zeitraum, in dem ansonsten die Ergebnisse "quer durch den gesamten internationalen Mediensektor" rückläufig seien. Vor allem in Italien, wo die Ursprungsgesellschaft Mediaset haushoher TV-Marktführer mit 39,8 Prozent bei den 15- bis 64-Jährigen ist, scheint die Werbekonjunktur schon wieder deutlich stärker angesprungen zu sein. Die Folge: ein stolzes Plus von 53,5 Prozent beim italienischen Betriebsergebnis im ersten Halbjahr.

Bei solchen Zahlen kann man durchaus mal etwas tiefer in die Tasche greifen – um der "Mamma" ein Geschenk zu machen. Weil türkische TV-Serien eine Leidenschaft seiner Mutter Carla Dall'Oglio seien, habe er seinen Mitarbeitern gesagt: "Kauft alle türkischen Serien, die es gibt", verriet Berlusconi der Zeitung "Italia Oggi". Auf der konzerneigenen Streaming-Plattform Mediaset Infinity steht nun seit kurzem eine wahre Flut neuer und alter türkischer Produktionen von "Terra Amara" über "The Family" bis zu "My Name is Farah" für die rund 30 Millionen registrierten Nutzer bereit – mutmaßlich die größte Kollektion außerhalb der Türkei.

Widersprüchliche Signale kommen vom Sohn des verstorbenen "Cavaliere" derweil, wenn es um politische Ambitionen geht. Bisher hatte Pier Silvio Berlusconi stets betont, kein gesteigertes Interesse an aktiver Politik zu haben und sich aufs Business konzentrieren zu wollen. So machte er im Juli öffentlich, dass er bereits vor zehn Jahren den Wunsch seines Vaters, er möge dessen Partei Forza Italia beitreten, abgelehnt habe. Berlusconi junior widersprach auch vehement dem Gerücht, er habe eine Meinungsumfrage in Auftrag gegeben, um seine potenziellen Zustimmungswerte auszuloten.

Allerdings häufen sich seit Anfang Oktober die Medienberichte, nach denen Marina und Pier Silvio Berlusconi – die beiden ältesten Nachkommen, die qua Testament die Mehrheit an der Familienholding Fininvest übernommen haben – mehr und mehr auch politische Nachlasspflege betreiben. Demnach sollen sie den Forza-Italia-Vorsitzenden, Italiens Außenminister Antonio Tajani, hinter den Kulissen dabei unterstützen, die gealterte Parteiführung zu verjüngen, um bei den nächsten Parlamentswahlen 2027 nicht mehr nur als Junior-Koaltionspartner abzuschneiden. Dass diese Familie Freund und Feind immer wieder zu überraschen weiß, wäre keine neue Erkenntnis.

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