Der Übernahmehunger war längst noch nicht gestillt, nachdem Mediawan im Frühjahr seinen bislang dicksten Brocken geschluckt hatte: die deutschen Leonine Studios. Damit der gemeinsame Kapitalgeber KKR seine Private-Equity-Fonds planmäßig umfinanzieren konnte, nahmen die Franzosen – beraten durch die US-Finanzanwälte von Kirkland & Ellis – 500 Millionen Euro als siebenjährigen Laufzeitkredit und zusätzlich 225 Millionen Euro als revolvierenden Kredit auf. Um die Neuverschuldung abzubauen, muss die Gruppe, die es nun auf etwas über eine Milliarde Euro Umsatz bringt, ein paar Jahre fleißig arbeiten.

Doch schon Ende August war der nächste prominente Zukauf zu vermelden: Mediawan übernahm eine Mehrheitsbeteiligung an der italienischen Produktionsfirma Our Films, der wohl heißesten Neugründung im dortigen Markt und weit darüber hinaus. Denn hinter Our Films stecken die langjährigen Fremantle-Manager Lorenzo Mieli und Mario Gianani, die als Produzenten von "The Young Pope", "My Brilliant Friend" oder "Supersex" schon so einige Welthits lieferten. Die beiden hatten die von ihnen geführten Fremantle-Firmen The Apartment und Wildside Anfang des Jahres verlassen, um sich selbstständig zu machen.

Gianani und Mieli wollen mit Our Films zwei bis drei Serien und vier bis fünf Spielfilme pro Jahr produzieren. Rund die Hälfte davon sollen große internationale, englischsprachige Projekte sein. Zwar hat die Firma auch noch eine Koproduktionsvereinarung mit Fremantle, der etwa die Sky-Serie "M. The Son of the Century" von Joe Wright oder das Netflix-Callas-Biopic "Maria" mit Angelina Jolie entstammen, doch für die Vertriebspipeline von Mediawan dürften genügend hochkarätige Stoffe übrig bleiben.

Die Freundschaft mit Mediawan-CEO Pierre-Antoine Capton und Mediawan-Pictures-Chefin Elisabeth d'Arvieu reiche sechs bis sieben Jahre zurück, sagte Mieli dem US-Fachblatt "Variety" im August. Sie seien die ersten gewesen, die sich gemeldet hätten, als Gianani und er den Ausstieg bei Fremantle ankündigten. "Mediawan wird von Europäern geführt", so Mieli weiter. "Das ist uns wichtig, und wir teilen die gleiche DNA hinsichtlich unseres Ziels, ein Kreativ- und Produktions-Hub in Europa für Filmemacher von überall auf der Welt zu schaffen, ausgerichtet auf originäre, unabhängige Filme und Serien, die für ein internationales Publikum funktionieren."

Mediawan auf einen Blick

  • Umsatz 2023: 1,1 Milliarden Euro (Mediawan + Leonine)

  • Gesellschafter: TopCo Breteuil (Pierre-Antoine Capton, Xavier Niel, Matthieu Pigasse / 50,01%), Show TopCo (KKR / 41,5%)

  • Geschäftsführung: Jean-Pierre Capton (CEO), Delphine Cazaux (COO), Guillaume Izabel (CFO)

  • Produktionsfirmen: Atlantique Productions, Beetz Brothers, Chapter 2, Chi-Fou-Mi Productions, Drama Republic, GMT Productions, Good Mood, i&u TV, Mediawan Kids & Family, Misfits Entertainment, Mon Voisin Productions, Odeon Fiction, On Entertainment, Our Films, Palomar, Plan B Entertainment, SEO Entertainment, Storia Television, W&B Television, Wiedemann & Berg Film

D'Arvieu ihrerseits unterstrich die Konzernstrategie, "mehr und mehr ambitionierte englischsprachige Projekte auf den Weltmarkt" zu bringen. Die meisten Produzenten innerhalb der Mediawan-Gruppe wollten ein globales Publikum ansprechen, so d'Arvieu. Daher werde es in erster Linie darum gehen, europäische Stoffe und Talente zu internationalisieren. Das sind Töne, die in der Vergangenheit gerade von Produzenten aus Frankreich oder Italien eher selten zu hören waren. Den Anspruch, bis ins Herz von Hollywood vorzustoßen, markierte Mediawan Ende 2022 mit dem 300 Millionen Dollar schweren Einstieg bei Brad Pitts Produktionsfirma Plan B Entertainment, die seither Filme wie "Beetlejuice Beetlejuice", "Wolfs" oder "Bob Marley: One Love" und Streaming-Serien wie "3 Body Problem" oder "Outer Range" hervorgebracht hat.

Call My Agent © France 2 Remake-Motor angeworfen: "Call My Agent" wird gern adaptiert
Wie Mediawan-Boss Capton seine mittlerweile 85 Produktionsfirmen in 13 Ländern zu vernetzen gedenkt, zeigt am besten das Beispiel "Call My Agent". Die französische Dramedy-Serie rund um das dysfunktionale Personal einer Pariser Schauspielagentur, produziert von der Mediawan-Tochter Mon Voisin Productions, ging 2015 im öffentlich-rechtlichen France 2 auf Sendung und wurde alsbald auf Netflix zum internationalen Erfolg. Mit all seinen lokalen Eigenheiten im Umgang zwischen Stars und deren Agenten drängt sich das Format förmlich für Adaptionen auf. Spätestens in den letzten zwei Jahren hat Mediawan den Remake-Motor so richtig angeworfen, nachdem zuvor bereits lokale Versionen in Indien, Kanada und der Türkei entstanden waren.

Ende Oktober beginnen in Madrid die Dreharbeiten für die spanische Variante unter dem Titel "La Agencia", die der zu Mediaset España gehörende Sender Telecinco bei der Mediawan-Tochter Good Mood ("The Barrier") in Auftrag gegeben hat. Parallel ist eine lateinamerikanische Adaption in der Mache, die Mediawan zusammen mit Eva Longoria als Koproduzentin und Regisseurin entwickelt. Bei Sky in Italien ist dieses Jahr bereits die zweite Staffel von "Call My Agent – Italia" gelaufen, produziert von der Mediawan-Tochter Palomar ("Der Name der Rose"). In Deutschland freilich kommt Leonine nicht zum Zuge, weil Formatinhaber France Télévision Distribution die Remake-Rechte an die Studio Hamburg Production Group vergeben hat.

Wäre das französische Original nicht nach vier Staffeln zu Ende gegangen, dann würde auch eine illustre Persönlichkeit wie Pierre-Antoine Capton eine gute Episodenfigur für die Serie abgeben. Der Mitgründer und CEO von Mediawan, der voriges Jahr von Frankreichs Präsident Emmanuel Macron in die Ehrenlegion aufgenommen wurde, stammt aus einfachen Verhältnissen und konnte nach eigenen Angaben weder Englisch sprechen noch komplexe Finanzierungen aufstellen, als er 2015 zusammen mit Internet-Milliardär Xavier Niel und Investmentbanker Matthieu Pigasse den Grundstein für die heutige Gruppe legte. Ein bisschen Zeit für Nebenaktivitäten scheint ihm trotz Expansionskurs zu bleiben: Capton besitzt ein Hotel und einen Fußballverein in der Normandie und betreibt das Pariser Promi-Restaurant Loulou direkt neben dem Louvre.

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