An einem eiskalten Dezembermorgen tun sich am Rande der Brüsseler Innenstadt merkwürdige Dinge. In einer Nebenstraße hinter der ehemaligen Gelddruckerei der belgischen Nationalbank fährt ein halbes Dutzend schwarzer S-Klasse-Limousinen vor und versetzt die Umgebung in eine Art Raum- und Zeittunnel: Alle Fahrzeuge tragen Frankfurter Kennzeichen und entstammen einem 1980er Baujahr, leicht erkennbar am kantigen Schnitt. Dass hier TV-Dreharbeiten stattfinden, wird erst drei Stunden später ersichtlich, als Oliver Masucci – von der Kamera verfolgt – auf die Straße stürmt, um in einen der Wagen zu steigen. Dank streng gescheiteltem Haarteil, steifem Zweireiher und betont gespannter Körperhaltug ist der deutsche Filmstar nicht auf Anhieb zu erkennen.

Mit jeder Faser verkörpert Masucci den legendären Deutsche-Bank-Chef Alfred Herrhausen, der hier gerade nach einem Talkshow-Auftritt aus dem TV-Studio eilt. Dass die Szene Anfang Dezember 2022 in Brüssel entsteht, grenzt an ein kleines Wunder, denn eigentlich sah der Drehplan für "Herrhausen – Der Herr des Geldes" ganz anders aus. Die Hälfte der 65 Drehtage sollte in Kapstadt über die Bühne gehen, doch enorme Preissteigerungen infolge des Ukraine-Kriegs und plötzliche Probleme mit dem südafrikanischen Steueranreiz machten den Plan drei Wochen vor Drehstart zunichte.

Ein logistischer Albtraum für Produzentin Gabriela Sperl, die zusammen mit Drehbuchautor Thomas Wendrich fünf Jahre an der Recherche des hochpolitischen Stoffs gesessen hatte. Für sie stand von Anfang an fest, dass sie Herrhausens Wirken und dessen vermeintliche Ermordung durch RAF-Terroristen drei Wochen nach dem Mauerfall 1989 als "ungelösten Kriminalfall" erzählen wollte. Schließlich habe die RAF damals schon nicht mehr die nötige Kraft gehabt und der Top-Banker mit CIA, KGB und Stasi auch andere mächtige Feinde gesammelt. Nun galt es jedoch erstmal das Drehortproblem zu lösen. Im August 2022 gewann Sperl die belgische Firma Beside Productions und mit ihr auch die Vergünstigungen des belgischen Tax Shelters als Helfer in der Not.

Fabrice Delville © Beside Productions Schnell geschaltet: Fabrice Delville holte "Herrhausen" nach Belgien
Der Mann, der "Herrhausen" kurzfristig nach Brüssel geholt hat, sitzt mit Anorak und Schal im Teamcatering, während draußen die Mercedes-Limousinen drapiert werden. Fabrice Delville, Gründer und Geschäftsführer von Beside, rekapituliert mit dezentem Stolz die ehrgeizige Timeline der vergangenen drei Monate: Anhand von Referenzfotos aus Südafrika habe man ein landesweites Location Scouting durchgeführt und fast alle benötigten Sets, die in Frankfurt, Essen, Washington oder Moskau spielen sollen, innerhalb Belgiens gefunden. Insgesamt 32 Drehorte für 25 Drehtage. Besonders vielseitig ist die "Imprimerie", die frühere Banknotendruckerei, wo heute gedreht wird. Der leerstehende Industriebau, der bald in Luxusapartments umgewandelt wird, beherbergt neben dem Talkshow-Studio auch den Sitzungssaal des Deutsche-Bank-Vorstands und Herrhausens Büro, hinter dem ein Foto-Backdrop der Frankfurter Skyline den Blick aus der 27. Etage vorgaukelt.

Delville ist darauf spezialisiert, europäische Serien und Filme als Koproduzent und Finanzierungspartner zu unterstützen. Er hat einen Fonds aufgelegt, in den rund 300 Privatinvestoren steuersparend einzahlen, so dass  um die 30 Millionen Euro jährlich für Produktionen zur Verfügung stehen. Wer mit Delville zusammenarbeitet, kann bis zu 44 Prozent der in Belgien anfallenden Dreh- und Postproduktionskosten von seiner Firma finanzieren lassen und das Line Producing vor Ort in seine Hände geben. Aus Deutschland haben das vor Gabriela Sperl schon Intaglio Films mit dem "Schwarm", Constantin Television mit der ARD-Serie "Haus aus Glas" oder Windlight Pictures mit der ursprünglich für Starzplay gedachten Serie "Nachts im Paradies" getan.

Herrhausen – Der Herr des Geldes © ARD Degeto/Sperl Film/Florian Emmerich Gelddruckerei als Vorstandssaal: In der Brüsseler "Imprimerie" entstanden etliche Szenen von "Herrhausen"

Es mag die jahrelange Produktionserfahrung sein oder auch das gute Branchennetzwerk in einem kleinen Land. Jedenfalls scheint Delville an diesem Dezembermorgen erstaunlich entspannt, wenn man bedenkt, dass ihm der geplante Drehort für den nächsten Tag gerade weggebrochen ist. Szenen in einem Wall-Street-Büro stehen an, doch der Motivgeber hat einen Rückzieher gemacht. Man werde bis zum Nachmittag schon eine Alternative finden, sagt Delville und entschuldigt sich zum Telefonieren.

Zwei Etagen tiefer lässt Regisseurin Pia Strietmann derweil die Szene proben, in der Herrhausen aus dem Talkshow-Studio kommt. Das Drehbuch sieht vor, dass der sowjetische Wissenschaftler und Gorbatschow-Vertraute Georgi Arbatow, gespielt von Ivan Shvedoff, ihm am Backstage-Eingang auflauert, um einen Aktenkoffer mit den geheimen Staatsfinanzen der UdSSR zu übergeben. In der Serie führt die Szene Herrhausens wichtigstes politisches Engagement ein: die Vermittlung eines deutschen Milliardenkredits für die verschuldete Sowjetunion, der Gorbatschows Reformagenda stützt und damit wohl auch die Wiedervereinigung Deutschlands beschleunigt – sehr zum Missfallen der amerikanischen Regierung und Geheimdienste.

Strietmann zeigt den Darstellern von Herrhausens Personenschützern, wie sie Arbatow zu Beginn der Szene abwimmeln sollen, damit ein bisschen Action aufkommt. Bei der Stellprobe und im ersten Durchlauf übernimmt ein Double den Part des Bankers. Masucci sitzt nebenan im Warmen und nippt an seinem Tee. Erst zur zweiten Probe greift er selbst ins Geschehen ein und führt der zufriedenen Regisseurin vor, mit welcher Verve er seine Sicherheitsleute zurückpfeifen und auf den russischen Botengänger zugehen will.

Gabriela Sperl © Robert Pupeter "Langer Weg": Gabriela Sperl hat "Herrhausen" ins Ziel gebracht
Nach drei Takes ist die Szene im Kasten. Was Masucci mit dem echten Herrhausen gemeinsam habe, scherzt Strietmann später, sei die Ungeduld. Deshalb sei er stets rastlos und in Bewegung, nicht nur im Kopf, sondern auch körperlich. "Oliver hat Jahre gewartet, denn es war ein langer Weg", wirft Gabriela Sperl ein. "Mit Herrhausen", so die Produzentin, "zerbrechen Gewissheiten einer bipolaren Welt: Er paktiert mit dem Erzfeind der USA, der Sowjetunion, in einer kurzen Phase der Friedenshoffnung unter Gorbatschow und bringt die DDR damit gegen sich in Stellung. Mit dem Kreditvertrag unterschreibt er, so seine Freunde, sein eigenes Todesurteil. Das macht den Film so spannend und modern für uns."

"Herrhausen – Der Herr des Geldes", als vierteilige Miniserie in der ARD-Mediathek. Als Zweiteiler am 1. Oktober ab 20:15 Uhr und am 3. Oktober ab 21:45 Uhr im Ersten.