Manchmal bekommt man die Wichtigkeit von Etabliertem erst vor Augen geführt, wenn es in seiner Existenz bedroht ist. Das ist im alltäglichen Leben nicht anders als im Fernsehen. Mit der "SOKO Stuttgart", den "Rosenheim-Cops" (beides für das ZDF) und "Sturm der Liebe" (Das Erste) stellt die Bavaria Fiction gleich drei langlaufende Serien her. Die ARD-Dailynovela, die kommendes Jahr 20 wird und auf die 5000. Folge zugeht, stand zuletzt aber auf der Kippe. Nachdem eine Fortsetzung der Produktion über dieses Jahr hinaus zunächst gänzlich unsicher war, entschied sich die ARD zunächst, die Länge der Episoden zu halbieren, nahm diese Entscheidung letztlich aber zurück und sicherte den Fortbestand der Wohlfühl-Serie bis rein ins Jahr 2027, in TV-Zyklen gesprochen also sehr langfristig. Diese Entscheidung steht, das gehört zur ganz korrekten Darstellung dazu, aber noch unter Vorbehalt, da weitere Gremien zustimmen müssen.



Marcus Ammon © Bavaria Fiction Marcus Ammon
"Ich bin immer optimistisch, auch wenn es manchmal durchaus schwer fiel. Schon in den ersten Gesprächen haben wir die ARD gebeten, von einer Halbierung der Sendezeit abzusehen", erinnert sich Marcus Ammon. Ammon war einst Boss bei MGM Deutschland, ehe er zu Sky wechselte und dort unter anderem für die Originals verantwortlich zeichnete – und für "Das Boot" auch mit der Bavaria zusammenarbeitete. Seit 2021 ist er nun Geschäftsführer Content der Bavaria Fiction, seit 2023 wird die Wichtigkeit von "Sturm der Liebe" auch dadurch unterstrichen, dass der Chef selbst Produzent der täglichen Serie ist.

"Natürlich ist die Produktion einer Daily teurer als ein Quiz oder ein Magazin, aber wir liefern eine hohe Qualität – und eine starke Brand. Das Werthaltigste für einen Sender oder Streamer sind etablierte Marken. Und diese müssen gepflegt werden. Die Verlängerung des Formats bis 2027 nennt Ammon nun einen "gemeinsamen Kraftakt". Die ARD musste Budget umschichten und auch für die Bavaria wird das zur Verfügung stehende Geld in den kommenden Monaten sicher nicht mehr. Gemeinsam mit dem ausführenden Produzenten Peter Proske-Clayton werde nun ganz genau auf das Produktionskonzept geschaut. "An welchen Stellen gibt es Möglichkeiten für Effizienzsteigerungen? Das fängt bei der Technik an. Arbeiten wir mit dem passendsten Kamerasystem? Haben wir den bestmöglichen Lichtapparat? Können wir theoretisch auf die eine oder andere kurze Gastrolle verzichten, ohne dass die erzählerische Qualität leidet? Unter anderem diese Kostenblöcke gehen wir derzeit durch."

"Sturm der Liebe": Produktion legt Winterpause ein

Schon bald ist dafür übrigens noch mehr Zeit als sonst. In diesem Herbst und Winter wird es beim "Sturm" eine besonders lange Produktionspause geben. Weil die ARD die tägliche Serie zuletzt oft pausieren hat lassen – in diesem Sommer gab es etwa rund drei Monate lang keine neue Folge und auch abseits der Sommerpause mussten die Fürstenhof-Geschichten immer mal wieder Sportübertragungen oder anderem weichen – ist die Situation eingetreten, dass die kommende Staffel vollständig produziert sein wird bevor sie im TV überhaupt begonnen hat.

 

Wenn ich im August verschneite Landschaften sehe, dann stoße ich mich daran. 

 

Aus dem eigentlich üblichen Vorlauf von acht bis zehn Wochen ist im Fall von "SdL" rund ein Dreivierteljahr geworden. "Ich bin mit dem großen zeitlichen Abstand zwischen Produktion und Ausstrahlung derzeit nicht happy. Wenn ich im August verschneite Landschaften sehe, dann stoße ich mich daran. In diesem Sportsommer hatten wir eine dreimonatige Sendepause – und wir tun uns aktuell noch schwer, nach dieser Unterbrechung wieder auf das vorherige Quotenniveau zu kommen."

Daher wurde entschieden, nach Abschluss der Arbeiten an der sich derzeit noch im Dreh befindlichen Staffel eine etwa dreimonatige Pause einzulegen. Während dieser Produktionspause wird im TV dann die nächste Staffel anlaufen – dazu verrät Ammon schon mal, dass man sich nach der jetzigen Dreieicks-Story wieder auf eine etwas klassischere Liebesgeschichte geeinigt hat. "In der kommenden Staffel zeigen wir in der Hauptstory wieder eine spannende Zweierkonstellation.“ In der aktuellen Staffel habe man jüngere Figuren mit aktuellen, zeitgeistigen Themen im Fokus, "wenn ich etwa an die Geschichte rund um den an ADHS erkrankten Theo oder unsere Sport-Influencerin Lale denke. Wir werden die aktuelle Dreier-Liebes-Konstellation rund um die Hauptfigur auflösen, Ana wird einen der beiden Männer heiraten."

Auch generell läuft bei "Sturm der Liebe" aktuell ein Fresh-Up. "Wir diskutieren die Erneuerung der Serie regelmäßig. Ein Beispiel: In der Vergangenheit war die Serie konservativer erzählt als heute – so durfte zum Beispiel keine der Hauptfiguren ein Tattoo haben. Aktuell hat unser Love Interest Vincent ein Tattoo auf der Brust, das wir nicht überschminken. Früher haben sich auch junge Figuren jenseits ihrer Position am Fürstenhof gesiezt. Auch das passen wir mehr und mehr dem Zeitgeist an. Und wir entrümpeln die Faxgeräte in den Fürstenhof-Büros", sagt Ammon schmunzelnd - es seien also viele kleine Stellhebel, die aktuell bedient werden.

Bavaria-Serien © ZDF/Linda Gschwentner / ARD/Christof Arnold / Sat.1/Joyn/Willi Weber "Rosenheim-Cops", "Sturm der Liebe" und "Für alle Fälle Familie": Drei wichtige Serien für Bavaria

Und die wohl auch bedient werden müssen, da sich die Serie optisch im vergangenen Jahrzehnt eben nicht sonderlich verändert hat, genau das aber tun muss, um am Puls der Zeit zu bleiben und über Jahre hinweg eine Säule in der Bavaria-Strategie zu bleiben. Im besten Fall soll das auch "Für alle Fälle Familie" gelingen. Die Serie ist die zweite derzeit von der Bavaria gedrehte Daily und ab Montag in Sat.1 zu sehen. Sie eröffnet den neuen Fiction-Slot um 18 Uhr – mit zunächst 80 Folgen, wobei es das klare Ziel ist, darüber hinaus noch viel mehr zu liefern. Jonas Baur, einst Producer von "Verbotene Liebe" und Autor von "Verliebt in Berlin" ist Produzent der neuen Familien-Daily, Nina Blum ("Alles was zählt") arbeitet als Head of Script, Thomas Franke als Head of Story.

Ihre Herkunft wird "Für alle Fälle Familie" übrigens kaum verleugnen können, denn allein im Hauptcast wird rund eine Handvoll Darsteller auftauchen, die früher für "Sturm der Liebe" gedreht haben: Stefan Hartmann, Kai Albrecht, Arne Löber und Hauptfigur Anna Angelina Wolfers. "Für Sat.1 erzählen wir eine warmherzige Geschichte, die Familien in den Vordergrund stellt", erklärt Ammon den Plan und fährt fort: "Wir haben einerseits die Konstellation aus Mutter-Tochter-Enkel, aber auch die berufliche Familie. Es geht um eine Frau, Jule, die in ihre Heimat zurückkehrt. Die Mosel-Gegend, in der wir drehen, ist für viele ein bezaubernder Sehnsuchtsort. Es ist ein Traum, in diesen Weinbergen zu drehen." Eine "Helferfigur", also eine Richterin, in den Fokus zu stellen, sei eine ganz bewusste Entscheidung von Produzent Jonas Baur gewesen, berichtet Ammon.  

Der Gerichtssaal ist daher ein zentraler Schauplatz des neuen Formats. In jeder Episode wird ein Fall am Familiengericht erzählt und etwa die Hälfte der Sendezeit einnehmen. Auch abseits dessen verspricht die neue Serie Familienthemen und natürlich eine Liebesgeschichte rund um Jule. Deren Darstellerin Anna Wolfers, zuletzt in fiktionalen Projekten nur selten zu sehen, bringe die für das Format "nötige Wärme" mit, findet Ammon.

Drei Teams drehen parallel an einer Folge von "Für alle Fälle Familie"

Und natürlich Erfahrung, die immer von Vorteil ist – diesmal aber wohl ganz besonders. Mitte Juli begannen die Arbeiten an den 80 Episoden. Weil schon damals feststand, dass es Anfang Oktober mit der Ausstrahlung losgehen soll, sei effizientes Arbeiten wichtig gewesen. Dabei haben Kenner des seriellen Produzierens durchaus interessiert auf das Projekt geschaut, da drei parallel arbeitende Teams pro Tag etwas mehr als 40 Minuten drehen müssen. Das klappt gut, sagt Ammon nachdem rund zwei Drittel der Episoden im Kasten sind. "Es gibt ein Hauptmotiv, an dem fast alles stattfindet. In diesem sind der Gerichtssaal, aber auch die Wohnung von Jule, die Wohnung der Mutter, eine Weinbar und verschiedene Richterbüros untergebracht. An diesem Drehort drehen parallel zwei Teams. Das dritte Team dreht außen, zum Beispiel an der Mosel oder in den Weinbergen.“

Geht es nach seinen Vorstellungen, dann wird er bald neben "Sturm der Liebe" und hoffentlich weiteren Staffeln des Sat.1-Neustarts noch über weitere Dailys sprechen. Sehr stark glaube er an diese Farbe, auch für Streamingdienste. "Noch ist es uns nicht gelungen, dieses Format in Deutschland bei den Streamern unterzubringen. Disney+ probiert in Spanien gerade eine Daily. Wir alle sind gespannt auf die Ergebnisse. Meine Hoffnung ist, dass die Streamer-Verantwortlichen den Mehrwert von Dailys auch für ihr Portfolio erkennen."

Wieder aktiver werden will die Bavaria derweil auch bei High-End-Serien und internationalen Koproduktionen. "Daran arbeiten wir, trotz der allgemein bekannten herausfordernden Marktsituation." Und daran kann dieser Tage und Wochen auch gearbeitet werden, weil das Unternehmen neben den Dailys noch zwei weitere Säulen im Programm hat, deren frischeste Staffeln vorige Woche an den Start gegangen sind. "Die Rosenheim-Cops", deren laufende Staffel die 555. Folge enthält und die "SOKO Stuttgart", die im November 15 Jahre alt wird. "Mit der 'SOKO Stuttgart' haben wir den USP, dass sonst kaum Themen aus der Stuttgarter Gegend erzählt werden. Wir zeigen eine frische und moderne Metropole, abseits von Maultaschen und Kehrwoche. Thematisch sind wir zeitgeistiger und greifen Themen wie KI und andere Technik-Trends oder die Klimaleugnerszene auf. Wichtig ist unserer Produzentin Anna Oeller und Ausführenden Produzentin Nicole C. Buck, dass sich Diversität vor und hinter der Kamera wiederfindet, so hatten wir beispielsweise mit Anna Zander eine gehörlose Schauspielerin besetzt", berichtet Ammon. Und auch bei den "Rosenheim-Cops", sehr präsent im ZDF, gibt es klare Richtlinien.



"Kein Blut, keine Kinder, keine Verwandtschaft unter Opfer und Täter, eskapistische Drehorte. Schöne Häuser, schöner Ausblick. Krimispannung zum Miträtseln, bei dem am Ende die Welt wieder in Ordnung ist", sagt Ammon und lüftet noch ein Geheimnis aus dem Autoren-Büro. "Was mancher nicht weiß: Der zweite Erzählstrang muss stimmen. Und der ist für manche Autor*innen schwieriger als der Mordfall selbst. Die zweite Geschichte, die augenzwinkernd daherkommt, rund um Frau Stockl, Herrn Achtziger, die Musikakademie und so weiter, ist für die 'Krimi Light‘-Farbe unserer Serie essenziell. Unser Produzent Alexander Ollig achtet penibel drauf, dass all diese Kriterien eingehalten werden." Man muss Liebgewonnenes eben bewahren. Und das gehört augenscheinlich ganz fest zum Geschäftsmodell der Bavaria Fiction. Auch ohne Faxgerät im Fürstenhof-Büro.