Medienmanager vom Schlage eines Johannes Züll bringt so leicht nichts aus der Ruhe. Der Mann hat einst den Nachrichtensender ntv saniert und für RTL das Kroatien-Geschäft gesteuert. Das härtet ab und lehrt einen, Zwischenfälle aller Art mit Galgenhumor zu nehmen. Eine ordentliche Portion davon hatte der Studio-Hamburg-Chef parat, als das Medienmagazin DWDL.de ihn Mitte August erreichte. "Ich hoffe, das wiederholt sich nun nicht jedes Jahr, dass es rund um die Produktionsriesen-Reihe hier zu Katastrophen kommt", schmunzelte Züll. War sein Studiogelände im Hamburger Nordosten vor einem Jahr wegen einer Bedrohungslage vom SEK evakuiert worden, so stand es diesmal infolge von Starkregen einen Tag unter Wasser. "Die Feuerwehr musste an andere Orte, so dass unsere Mitarbeitenden in Eigenregie fast bis Mitternacht die Lage wieder unter Kontrolle gebracht haben." Wie gut, wenn man sich auf ein vielseitiges Team verlassen kann.

Auch in wirtschaftlicher Hinsicht konnte Züll die erwartete Beinahe-Katastrophe vorerst abwenden. Im vorigen Jahr hatte er für die Studio-Hamburg-Gruppe nicht nur einen Umsatz- und Ergebnisückgang in Aussicht gestellt, sondern auch vor einer "mittelfristig bedrohlichen" Entwicklung im Produktionssektor gewarnt. Es kam dann doch anders, weil besonders im vierten Quartal das Geschäft überraschend stark anzog. Für 2023 konnte Züll letztlich einen neuen Umsatzrekord ausweisen: 336,5 Millionen Euro oder 11,2 Prozent mehr als im bisherigen Rekordjahr 2022.

Dass die Alarmsignale dennoch nicht aus der Luft gegriffen waren, zeigt sich an zwei anderen Werten: Die Gesamtleistung des Konzerns, die neben den Umsatzerlösen auch die Bestandsveränderungen enthält, stieg auf 344,4 Millionen Euro und damit lediglich um 4,3 Prozent. Das heißt: Der Bestand an abgeschlossenen und nicht abgeschlossenen Produktionen hat sich deutlich reduziert – typisches Anzeichen für eine beginnende Abkühlung des Geschäfts. "Ergebnisseitig konnten wir sogar das Niveau von 2022 halten", fügt Züll hinzu, "was damit eine Margenreduktion impliziert und klar zeigt, dass die Kosten schneller steigen als der Umsatz." Laut NDR-Media-Geschäftsbericht lag der Jahresüberschuss von Studio Hamburg bei 8,1 Millionen Euro.

Studio Hamburg auf einen Blick

  • Umsatz 2023: 336,5 Millionen Euro (Platz 3 der DWDL.de-Produktionsriesen)

  • Gesellschafter: NDR Media

  • Geschäftsführer: Johannes Züll

  • Produktionsfirmen: 307 Production, AlwaysOn Production, Amalia Film, Doclights, Letterbox Filmproduktion, Nordfilm, Polyphon, Real Film Berlin, Riverside Entertainment, Studio Hamburg Serienwerft, Studio Hamburg UK

  • Produktionen 2024 (Auswahl): Das Traumschiff (ZDF); Der Quiz Champion 2024 (ZDF); Die große Terra X Show (ZDF); Finsteres Herz – Die Toten von Marnow 2 (ARD); Großstadtrevier (ARD); Hameln – Die Rückkehr des Rattenfängers (ZDFneo); Krank Berlin (Apple TV+/ZDFneo); Neuer Wind im Alten Land (ZDF); Notruf Hafenkante (ZDF); Praxis mit Meerblick (ARD); SOKO Wismar (ZDF); Stubbe 2024 (ZDF); The Next Level (ARD); Tod am Rennsteig (ARD)

Im laufenden Geschäftsjahr war der Serien-Gott nun schon zweimal gnädig mit Zülls Truppen. Im Juli entschied die Videoprogrammkonferenz der ARD, dass "Rote Rosen", die von der Studio Hamburg Serienwerft produzierte Telenovela, doch nicht von 48 auf 24 Sendeminuten pro Episode halbiert wird. Der Beschluss wirkt sich – wie gestern schon für die Bavaria-Daily "Sturm der Liebe" erläutert – mit rund sechs bis sieben Millionen Euro jährlichem Mehrumsatz aus. Im Juni verkündete Apple TV+, dass es bei der Krankenhausserie "Krank Berlin" der Studio-Hamburg-Tochter Real Film Berlin einsteigt. Das ist nicht nur deshalb bemerkenswert, weil Apple zuvor erst eine einzige deutsche Serie finanziert hatte. Die Produktion war vor einem Jahr nach dem Fiction-Aus beim ursprünglichen Auftraggeber Sky Deutschland abgebrochen und wenig später durch eine Beauftragung von ZDFneo gerettet worden. Diese allein hätte für das ambitionierte achtteilige Medical Drama freilich nicht ausgereicht. Das zwölfmonatige Exklusivfenster im deutschsprachigen Raum und die weltweite Streaming-Auswertung durch Apple katapultieren "Krank Berlin", in dem allein knapp drei Millionen Euro an Fördergeldern stecken, nun in eine andere Größenordnung.

Reisen mit Muddi © NDR/ Boris Laewen Neue Serie: Polyphon liefert der ARD-Mediathek "Reisen mit Muddi"
Von den Chefs der Produktionstöchter, Beatrice Kramm bei der Polyphon und Michael Lehmann bei der Studio Hamburg Production Group, erreichten die Holding zuletzt weitere gute Nachrichten. So konnte die "Traumschiff"-Schmiede Polyphon mit der Krimikomödie "Reisen mit Muddi" einen neuen Sechsteiler für NDR und ARD-Mediathek landen und für die ARD Degeto sowohl die Erfolgsserie "Die Toten von Marnow" als auch die "Krimi vom Bodensee"-Reihe fortsetzen. Sämtliche Ausstrahlungen sollen noch vor Jahresende erfolgen. Die noch junge Kölner SHPG-Tochter 307 Production konnte bereits zwei Filmreihen an den Mann bringen: Die ersten beiden 90-Minüter der Degeto-Freitagabend-Reihe "Zwei Frauen für alle Felle" sind in der Postproduktion; Anfang September ist Drehstart für die neue RTL-Reihe "Morden auf Öd – ein Insel-Krimi", die 2025 den "Tödlichen Dienst-Tag" ergänzen soll. In Großbritannien laufen die Dreharbeiten zur dritten Staffel von "The Cleaner", der britischen Version des "Tatortreinigers", die Studio Hamburg UK für die BBC produziert.

 

Bei den Akquisitionsbemühungen für 2025 sieht man deutlich eine Zurückhaltung aller Nachfrager, also der Sender wie der Streamer.
Johannes Züll, CEO von Studio Hamburg

 

All das kann jedoch nicht verhindern, dass Züll fürs laufende Jahr nun wirklich einen deutlichen Rückgang von Gesamtleistung und Ergebnis erwartet. "Wir sind zwar weiterhin in allen Bereichen recht gut ausgelastet und haben sowohl bestehende Aufträge verlängert bekommen als auch neue Aufträge und Kunden hinzugewonnen", so der Studiochef. "Aber diese beiden Spitzenjahre 2022 und 2023 werden wir in 2024 nicht übertreffen können." Ein starkes Sportjahr wie dieses sei für die Gruppe wegen der einseitigeren Allokation der Senderbudgets von Nachteil – mit Ausnahme des durchaus erfolgreichen "Sportschau EM-Kneipenquiz", das an ARD-Spieltagen von der SHPG-Tochter Riverside Entertainment produziert wurde.

Auch die Prognose fällt nicht allzu rosig aus: "Bei den Akquisitionsbemühungen für das Jahr 2025 sieht man deutlich eine Zurückhaltung aller Nachfrager, also der Sender wie der Streamer", sagt Züll. "Parallel werden Entscheidungen immer kurzfristiger getroffen, was die Planungen nicht gerade vereinfacht." Immerhin konstatiert Züll eine spürbare Entspannung auf dem Arbeitsmarkt. Es sei wieder leicht geworden, freie Mitarbeiter für Produktionen zu finden. In der Postproduktion und im Synchronbetrieb gebe es nun sogar "erhebliche Überkapazitäten".

Zwei Anliegen, die dem Studio-Hamburg-Geschäftsführer derzeit besonders unter den Nägeln brennen, richten sich an die Politik. Der heiß diskutierte Umbau der Filmförderung sei von "herausragender Bedeutung für die Zukunft des mittelständisch geprägten Filmproduktionsstandorts Deutschland". In seinem Hause, so Züll, sei man stolz darauf, einen "starken Fokus auf Beschäftigung im Inland" zu legen. Damit das weiterhin möglich sei, brauche es eine international wettbewerbsfähige Förderung, einschließlich einer "Neuordnung der Terms of Trade mit Rechterückbehalten" für Produktionsfirmen.

Worüber Produzenten nicht so oft sprechen, ist der wachsende Bürokratiedschungel, mit dem Unternehmen sämtlicher Branchen konfrontiert sind. Züll ärgert sich besonders über die neuen Anforderungen durch das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz (LkSG) der Bundesregierung und die EU-Richtlinie zur Nachhaltigkeitsberichterstattung (CSRD). "Viele dieser gut gemeinten Gesetzesinitiativen bringen operativ und strategisch keinen Nutzen, aber erfordern einen kaum zu bewältigenden bürokratischen Aufwand." Auch bei den Branchendiskussionen im Arbeitskreis "Green Shooting" und dem 2022 eingeführten Label "Green Motion" für klima- und ressourcenschonende Produktionen werde diskutiert, wie man effektiver und unbürokratischer werden könne. "Green Production ist gut und wichtig", so Züll, "aber wir dürfen nicht ein neues bürokratisches Monstrum erschaffen."

Produktionsriesen im Umbruch – bisher erschienen