Den 10. Juli dieses Jahres wird Christian Franckenstein so schnell nicht vergessen. Die Videoprogrammkonferenz der ARD-Anstalten fasste an diesem Sommertag einen Beschluss, der seiner Bavaria Film nächstes und übernächstes Jahr jeweils sechs bis sieben Millionen Euro mehr in die Konzernkasse spülen wird als vor dem 10. Juli angenommen. Das liegt daran, dass "Sturm der Liebe" seine bisherige Sendelänge von 48 Minuten pro Episode bis 2027 behalten darf. Die ARD-Granden kassierten damit ihre eigene Entscheidung aus dem Mai, die Episodenlänge der Daily Soap zu halbieren, und bescherten Franckenstein eine enorme Erleichterung.

Hinter den Kulissen hatte sich das Zittern um die Zukunft der langlebigen Produktion zuletzt ähnlich emotional gestaltet wie die Schicksalsschläge aus dem Drehbuch. In puncto Umsatz und Planungssicherheit sind Daily Soaps für Produktionsfirmen wie ein Sechser im Lotto. Das Joint Venture Bavaria Fiction, das die Bavaria Film zusammen mit ZDF Studios betreibt, setzt knapp 16 Millionen Euro jährlich mit "Sturm der Liebe" um. Doch in den vergangenen vier Monaten standen radikale Szenarien von Halbierung bis Absetzung im Raum. Der Grund: Allzu gern würde ARD-Programmdirektorin Christine Strobl den Nachmittag mit billigerem Programm bespielen.

Was der Bavaria – und ebenso Studio Hamburg bei "Rote Rosen" – in die Karten spielte, war der Umstand, dass keines der zwischenzeitlich auf ihren Sendeplätzen ausprobierten Magazin-, Quiz- oder Doku-Soap-Formaten auch nur annähernd an den Erfolg der gewohnten täglichen Herzschmerz-Dosis heranreichen konnte. "Sturm der Liebe" ist zudem eine der am meisten abgerufenen Sendungen in der ARD-Mediathek. Während im Mai zunächst die Freude, dass es überhaupt weitergeht, ebenso groß war wie das Kopfzerbrechen über die anstehende Umstellung des Produktionsprozesses auf Halbstünder, schwante den Auftraggebern langsam, dass eine Halbierung der Minutenzahl keineswegs eine Halbierung des Budgets bedeuten würde. Warum also nicht gleich bei der vollen Soap-Dosis bleiben?

Ein Schlüssel zur Lösung fand sich in Strobls Aussage, der Fortbestand werde durch "Optimierung der Produktionsabläufe und Umschichtungen im Etat" gesichert. Übersetzt heißt das: Der Druck auf die Margen nimmt weiter zu und die Bavaria muss ihre ausgefeilte Logistik noch weiter rationalisieren. Seit "Sturm der Liebe" 2005 erstmals auf Sendung ging, wurde diese Schraube kontinuierlich angezogen. Freilich erlauben technische Innovationen immer wieder Effizienzsprünge. Künstliche Intelligenz dürfte die Workflows in Entwicklung, Dreh und Postproduktion in den kommenden Jahren noch beschleunigen.

Bavaria Film auf einen Blick

  • Umsatz 2023/24: 311,4 Millionen Euro (Platz 4 der DWDL.de-Produktionsriesen)

  • Gesellschafter: WDR Mediagroup (33,35%), SWR Media Services (16,67%), Bavaria Filmkunst (16,67%), LfA Gesellschaft für Vermögensverwaltung (16,67%), MDR Media (16,64%)

  • Geschäftsführung: Christian Franckenstein (CEO), Julia Reuter (CFO)

  • Produktionsfirmen: Bavaria Entertainment; Bavaria Fiction; Satel Film; Saxonia Media; Story House Pictures; Story House Productions

  • Produktionen 2024 (Auswahl): Bella Italia (RTLzwei); Die Camper Schmiede (DMAX); Die Giovanni Zarrella Show (ZDF); Die Rosenheim-Cops (ZDF); Für alle Fälle Familie (Sat.1); Für immer Sommer (ARD); In aller Freundschaft (ARD); Inga Lindström (ZDF); Karten der Macht (ZDFinfo); Sisi (RTL+); SOKO Stuttgart (ZDF); Sturm der Liebe (ARD); Tatort (ARD); Vienna Game (Disney+)

Das kann die Bavaria Fiction gleich noch bei einer weiteren Daily trainieren, die seit Ende Juli gedreht wird. Bis Anfang November entstehen an der Mosel 80 Folgen der neuen Sat.1-Vorabendserie "Für alle Fälle Familie". Auf dem 18-Uhr-Sendeplatz will Sat.1-Chef Marc Rasmus ab 7. Oktober Soaps mit einer Stunde Bruttolänge etablieren, was ein erhebliches Produktionsvolumen nach sich zieht. Entsprechend euphorisch umschreibt Bavaria-CEO Franckenstein gegenüber DWDL.de das vorläufige Happy End: "So ist es gelungen, aus einer schwierigen Situation heraus, die durch die geplante Kürzung von 'Sturm der Liebe' entstanden wäre, nun im Herbst mit zwei Dailys stattzufinden. Hier zeigt sich insbesondere eine über viele Jahre etablierte Stärke der Bavaria: die Kompetenz, hochfrequent, seriell und langlaufend zu erzählen. Die aktuelle Nachfrage hält uns optimistisch, perspektivisch vielleicht sogar mit drei täglichen Serien im TV bzw. Streaming präsent zu sein."

 

Die aktuelle Nachfrage hält uns optimistisch, perspektivisch vielleicht sogar mit drei täglichen Serien im TV bzw. Streaming präsent zu sein.
Christian Franckenstein, CEO der Bavaria Film

 

Ansonsten bietet die wirtschaftliche Lage wenig Anlass zur Euphorie. Zwar konnte der Bavaria-Film-Konzern seine Umsatzerlöse im Geschäftsjahr 2023/24 nach eigenen Angaben geringfügig von 305,9 auf 311,4 Millionen Euro steigern. Allerdings führten höhere Kosten und einmalige Restrukturierungsaufwendungen, vor allem bei der Tochter Bavaria Studios, zu einem weiteren Absinken des operativen Betriebsergebnisses von 13 auf 12,3 Millionen Euro. Die EBITDA-Marge liegt mit 3,9 Prozent auf Dauer zu niedrig. Fürs laufende Geschäftsjahr rechnet Franckenstein mit einer "leicht rückläufigen Umsatzentwicklung". Immerhin: "Aufgrund der vorgenommenen Einsparungen und einer hohen Kostendisziplin in allen Unternehmensbereichen erwarten wir im Vergleich zum Vorjahr ein verbessertes operatives EBITDA, das aber immer noch deutlich hinter unserer eigenen Zielmarke von acht Prozent liegen wird. Daher werden wir unsere Anstrengungen zur Effizienzsteigerung fortsetzen."

Die rückläufige Umsatzprognose rührt daher, dass Franckenstein in diesem Jahr nicht mehr von einer nachhaltigen Belebung des Produktionssektors ausgeht. "Unsere Auftraggeber stehen selbst vor Herausforderungen und verfügen nach eigenen Angaben über wenig bis gar keinen Spielraum für die aus Sicht der Produktionsbranche notwendigen Preiserhöhungen", so der Bavaria-Chef. Die Öffentlich-Rechtlichen seien mit steigenden Kosten bei stagnierenden Einnahmen konfrontiert, die Privaten mit einem schwierigen Werbemarkt. Und die Streaming-Dienste haben ihr Geschäftsmodell laut Franckenstein "deutlich auf Profitabilität umgestellt und werden ihren Programmeinkauf entsprechend ausrichten". Gleichzeitig spüre man ein weiteres Ansteigen der Produktionskosten, ganz besonders bei den Lohnerhöhungen, die sich "in unserer Kalkulation bemerkbar machen".

Da das Bavaria-Geschäft nicht nur Produktion, sondern – zu rund zehn Prozent – auch Studiobetrieb und Immobilienmanagement auf dem Studiogelände in Geiselgasteig umfasst, kommt die Gruppe dort um einstellige Millioneninvestitionen nicht herum. Bereits der letztjährige Geschäftsbericht hatte eine "Eintrübung der Nachfrage nach Büroräumlichkeiten" und einen "leichten Anstieg des Leerstandes" in Aussicht gestellt. Vor allem Neuvermietungen älterer Gebäude seien rückläufig. Daher versuche man, "den Leerstand mit der Zielsetzung der Entmietung für alters- und substanzbedingten Abriss oder Renovierung für Drittvermietung neu zu organisieren".

Die Visionen fürs Bavaria-Gelände reichen allerdings viel weiter: Ende Juni wurde durch einen Bericht der "Süddeutschen Zeitung" bekannt, dass Franckenstein und sein Studiochef Friedhelm Bixschlag konkrete Ausbaupläne in der Schublade haben. Von derzeit elf auf 14 Studios und von 135.000 auf bis zu 240.000 Quadratmeter Bruttogrundfläche könnte Geiselgasteig demnach wachsen. Kostenpunkt: rund 500 Millionen Euro. Die Aufsichtsgremien der Bavaria werden darüber wohl nicht vor Mitte bis Ende 2025 entscheiden. Bis dahin gilt: Man wird ja noch träumen dürfen.

Produktionsriesen im Umbruch – bisher erschienen