Auf den ersten Blick hatte Marcus Wolter seine Worte konziliant gewählt. "Mit knapp 60" ein Start-up zu gründen, verdiene "erst mal Respekt", und er sehe da "mit großer Sympathie rüber", sagte der Deutschland-Chef von Banijay in der jüngsten Ausgabe seines Podcasts "Wolter Talks", als die Sprache auf Stefan Raabs neue Produktionsfirma Raab Entertainment kam. Auf den zweiten Blick fragte man sich, ob es womöglich ein vergiftetes Kompliment ist, wenn ein 57-Jähriger das über einen 57-Jährigen sagt.

So oder so lässt sich der aktuelle Beziehungsstatus der langjährigen Weggefährten, die einst zusammen bei Viva anfingen, am besten mit "es ist kompliziert" umschreiben. Eigentlich sollte zum vergangenen Jahreswechsel ein klarer Schnitt vollzogen werden: Mit seinem Ausscheiden als Produzent der Tochterfirma Raab TV sollte Raab auch den Gesellschafterkreis von Banijay Germany verlassen. So hatten es die Partner im Oktober des Vorjahrs in Aussicht gestellt. Das wäre sinnvoll gewesen, denn immerhin agiert die Neugründung Raab Entertainment seit Monaten in direkter Konkurrenz zu Banijay.

Allerdings ist die geplante Trennung noch immer nicht vollzogen. Das Jahr 2024 ist fast acht Monate alt und Stefan Raab nach wie vor 10-Prozent-Gesellschafter der deutschen Banijay-Gruppe. Die Verhandlungen über den Anteilsverkauf ziehen sich, so berichten es mit den Gesprächen vertraute Personen, weil Raabs Preisvorstellungen weit über jenen von Banijay liegen. Weder Banijay noch Raab wollten sich auf Nachfrage dazu äußern. 

Um die Größe der Transaktion zu verstehen, muss man ins Jahr 2018 zurückgehen, als die französische Banijay Group einen Kaufvertrag mit Raab über dessen damaligen 12,5-Prozent-Anteil an der Produktionsfirma Brainpool schloss. Dass dieser mit einem zweistelligen Millionenbetrag bewertet wurde, war seit dem langwierigen Gerichtsstreit mit den anderen Brainpool-Gesellschaftern ein offenes Geheimnis. Anstelle eines All-Cash-Deals erhielt Raab zehn Prozent der Anteile am neuen Mutterkonzern Banijay Germany. Gut möglich, dass er die Summe von damals zuzüglich des zwischenzeitlichen Wachstums nun gern auf seinem Konto sähe.

Banijay Germany auf einen Blick

  • Umsatz 2023: ca. 310 Millionen Euro (Platz 5 der DWDL.de-Produktionsriesen)

  • Gesellschafter: Banijay Entertainment (80,22%); Stefan Raab (10%); Woltertainment / Marcus Wolter (9,78%)

  • Geschäftsführer: Marcus Wolter

  • Produktionsfirmen: Banijay Productions Germany; Brainpool TV; Endemol Shine Germany; Good Humor; MadeFor Film

  • Produktionen 2024 (Auswahl): Bratwurst & Baklava – Die Show (ProSieben); Die besten Comedians Deutschlands (Sat.1); Die Höhle der Löwen (Vox); Dinner Club (Prime Video); Dünentod (RTL); Hast du Töne? (Sat.1); Kampf der Realitystars (RTLzwei); Kitchen Impossible (Vox); Marie fängt Feuer (ZDF); Promi Big Brother (Sat.1); Promis unter Palmen (Sat.1); Schlag den Star (ProSieben); Temptation Island (RTL+); The Masked Singer (ProSieben); TV total (ProSieben); Wer wird Millionär? (RTL)

Bis es zu einer Einigung kommt, dauert die absurde Lage an: Die neue Firma, die Raab zu 90 Prozent gehört, kann die alte, an der er zehn Prozent hält, mit Konkurrenzformaten und dem entsprechenden Insiderwissen angreifen – auch wenn Raab Entertainment erst noch beweisen muss, das es an die Raab-TV-Erfolge der frühen 2000er anzuknüpfen vermag. Zumindest kartellrechtlich steht Banijay nichts mehr im Weg: Die Kontrollerwerbe über Brainpool Entertainment – so heißt das frühere Raab TV heute – und über Raabs ehemaliges Beteiligungsvehikel Entera hat das Bundeskartellamt Ende Juni freigegeben. Mit einem regelrechten Auskeimen des "TV total"-Universums – um Ableger wie den "Bundesvision Comedy Contest", das "Promi-Wrestling" oder die in diesen Tagen stattfindende XXL-Ausgabe in der Kölner Lanxess-Arena – spielt Brainpool Entertainment in letzter Zeit zudem wie entfesselt auf.

 

Die größte Herausforderung? Unsere Strategie langfristig anzulegen, während der Markt auf sichere und kurzfristige Wetten setzt.
Marcus Wolter, CEO von Banijay Germany

 

Der Trend zu mehr verkauften Formaten dürfte gelegen kommen. Wie für die gesamte Produktionswirtschaft war das vergangene Geschäftsjahr auch für Banijay kein ganz leichtes. Die Umsätze der Gruppe stagnierten 2023 nach DWDL.de-Informationen auf Vorjahresniveau – bei rund 310 Millionen Euro. Fürs laufende Jahr ist dem Vernehmen nach ein kleines Plus zwischen ein und zwei Prozent zu erwarten. International wuchs die Banijay Group im vorigen Jahr um 5,7 Prozent. Das deutsche Geschäft trägt knapp zehn Prozent zum weltweiten Umsatz bei. Ohne auf konkrete Zahlen einzugehen, nennt Wolter es auf DWDL.de-Nachfrage die größte Herausforderung im laufenden Geschäftsjahr, die "Balance zwischen Investments in neue Firmen und Talents und den sicheren, bewährten Marken zu halten". Die eigene Unternehmensstrategie "langfristig anzulegen, während der Markt auf sichere und kurzfristige Wetten" setze, sei nicht immer einfach.

Kampf der Realitystars © RTLzwei Organisches Wachstum mit Reality: Banijay inszeniert den "Kampf der Realitystars" für RTLzwei
Spürbares organisches Wachstum verzeichnet die Gruppe neben dem Portfolio von Brainpool Entertainment derzeit vor allem im Reality-Sektor, wo die Töchter Banijay Productions und Endemol Shine mit Formaten wie "Kampf der Realitystars", "Promi Big Brother", "Temptation Island" oder dem unlängst bekannt gewordenen Comeback von "Promis unter Palmen" bei Sat.1 aufwarten können. Die im vorigen Jahr neu aufgestellte Brainpool Live Entertainment geht mit einer Vielzahl von Comedy-Events in den Herbst, darunter das "Cologne Comedy Festival", fünf "1Live Comedy-Nächte XXL" oder eine Arenatournee unter der Marke "Die besten Comedians Deutschlands", die für Sat.1 aufgezeichnet wird.

In der Fiction ist es der Berliner Tochter MadeFor Film gelungen, das Geschäft mit TV-Movie-Reihen zu verstetigen: Fürs ZDF laufen aktuell die Dreharbeiten zum 25. und 26. Teil von "Marie fängt Feuer", für RTL sind zwei weitere "Dünentod"-Krimis entstanden, für die ARD zwei Dresden-"Tatorte". Mit der Ende Juli abgedrehten belgisch-deutschen Koproduktion "How to Kill Your Sister" für ZDFneo oder dem in Vorbereitung befindlichen Doku-Drama "Herbertstraße" fürs ZDF unternimmt MadeFor wohl dosierte Ausflüge ins Serielle. Mit einer 33-Prozent-Beteiligung an der Berliner Produktionsfirma Dynamic Ally Pictures, die im Juni vollzogen wurde, hält Banijay nun noch einen weiteren kleinen Zeh ins Wasser des abgeebbten Serienbooms. Die Ex-UFA-Produzenten Veronica Priefer und Johannes Kunkel hatten sich damit im Frühjahr 2023 während der laufenden Postproduktion ihrer Sky-Serie "Helgoland 513" selbstständig gemacht.

Zu einer Firmenauflösung und Entlassungen kommt es hingegen anderswo im Portfolio, wie vorige Woche bekannt geworden war (DWDL.de berichtete), nämlich bei der Good Times Fernsehproduktion, die Banijay 2019 von deren Gründerin Sylvia Fahrenkrog-Petersen übernommen hatte. Die unschöne Wahrheit hinter der bevorstehenden Schließung: In wirtschaftlich angespannten Zeiten trimmen die Sender ihre Daytime- und Doku-Soap-Formate auf noch mehr Effizienz – und die ohnehin schon knapperen Margen schmelzen vollends dahin. Bereits 2021, Fahrenkrogs letztem vollem Jahr als Geschäftsführerin, war die Gewinnmarge laut Jahresabschluss von 16,0 auf 5,3 Prozent in den Keller gekracht. 2022 rutschte Good Times dann in die roten Zahlen. Bei der Schwester Banijay Productions, wohin "Armes Deutschland" oder "Der Trödeltrupp" nun wechseln, lässt sich das mit prestigeträchtigeren, ergo margenstärkeren Formaten wie "Kampf der Realitystars" verrechnen – bei gleichzeitiger Einsparung von Overhead.

Ein Schicksal, das der 2021 gegründeten Banijay-Tochter Good Humor vorerst erspart bleibt – obwohl sie nach drei Jahren noch immer keine Sendung auf den Bildschirm gebracht hat. Das vom früheren ZDF-Comedychef Stephan Denzer geleitete Label ist auf die Entwicklung von Comedy-Fiction spezialisiert und hat im Geschäftsjahr 2022 knapp eine Million Euro Verlust geschrieben. Für die Geduld des Konzerns gibt es zwei Gründe: Banijay hat seine ursprüngliche 85-Prozent-Beteiligung Anfang 2022 auf 49 Prozent reduziert und muss Good Humor in seiner Bilanz nun nicht mehr vollkonsolidieren. Und: Dem Vernehmen nach hat die Comedy-Schmiede unlängst einen Auftraggeber für ihre erste achtteilige Serie gefunden.