Im März vergangenen Jahres übernahm Inga Leschek die Programmgeschäftsführung von RTL und RTL+, die nun zu Ende gehende Saison war also die erste komplett unter ihrer Leitung. Und wenn man auf die Zahlen blickt, dann kann man schon verstehen, wieso sie sich binnen kurzer Zeit schon für den nächsten Karriereschritt, der Ernennung zur Chief Content Officer von ganz RTL Deutschland, empfahl. Denn nach der Stabilisierung in der Vorsaison kehrte der Sender nun zurück auf den Wachstumskurs.
In acht von neun Monaten zwischen September 2023 und Mai 2024 lag RTL beim Gesamtmarktanteil über den Vergleichswerten des Vorjahres. Seit Januar gelang es durchgehend, sowohl in der klassischen Zielgruppe wie auch in der erweiterten Zielgruppe der 14- bis 59-Jährigen wieder zweistellige Marktanteil einzufahren. Zu verdanken ist das der Tatsache, dass man sich an vielen Stellen schon aufs älter werdende lineare TV-Publikum eingestellt hat. Und dass man den zwischenzeitlichen Versuch, dem Dauer-Marktführer ein anderes Image zu verpassen, zu den Akten gelegt hat.
Stattdessen darf RTL inzwischen wieder ganz das RTL sein, das das Publikum erwartet – trotzdem um die schlimmsten zwischenzeitlichen Auswüchse bereinigt, aber ohne den Eifer, das Programm zwanghaft umzukrempeln. Vom Ziel, der "Innovationsführer" im deutschen Fernsehen zu werden, hat man sich jedenfalls lang verabschiedet. Stattdessen fährt man gut damit, weiter auf ein Grundgerüst aus viele Jahre bis Jahrzehnte erpobte Formate zu setzen - glücklich ist schließlich der, der sowas noch im Portfolio hat.
Zwei neue Spielshows zwischen viel Bewährtem
Und so darf Günther Jauch nun fast die ganze Saison über nahezu ununterbrochen montags mit "Wer wird Millionär?" ran, statt ihn ständig in neue, weniger erfolgreiche Formate zu setzen. Dazu kommen die erfolgreichen "3-Millionen-Euro-Wochen" und die gute Idee, mit ihm die Feiertage zu bestreiten. Auch "Let's Dance", "Bauer sucht Frau", "Ich bin ein Star - Holt mich hier raus", "Ninja Warrior Germany", die Mario-Barth-Shows und selbst das zurückgeholte "Supertalent" mit Dieter Bohlen in der Jury gehören zum jahrelangen Primetime-Inventar, das weiter für gute Quoten garantiert. Dazu kommen natürlich auch feste Standbeine wie "GZSZ" oder "RTL aktuell" am Vorabend.
Während man freitags auf wenige feste Formate setzt, war am Samstag aber auch Zeit, ein klein wenig im Unterhaltungsbereich zu experimentieren - auch weil beispielsweise "DSDS" letzte Saison durch die Verlegung vom Jahresanfang in den Herbst gar nicht lief und der Abend stattdessen kleinteiliger mit einem Mix aus "Denn sie wissen nicht, was passiert", "Supertalent", diversen Eventshows und Bühnenprogrammen, aber eben auch zwei neuen Spielshows gefüllt wurde.
Das von ProSieben rübergeholte und neu interpretierte "Schlag den Besten" lief dabei ebenso gut wie "Drei gegen Einen". Dass man ersteres trotzdem nicht fortsetzt, ist bemerkenswert - und dürfte wohl auch mit der offensichtlichen Partnerschaft mit Stefan Raab zu tun haben, von dem, so munkelt man, über Comeback-Boxkampf im Herbst und die tägliche EM-Show im Sommer hinaus wohl noch mehr zu erwarten ist. Vor allem wohl auch: Mehr mit Elton. Denn dass der mit "Schlag den Besten" und "Blamieren oder Kassieren" (das als Füller an Fußball-Abenden eingeschoben wurde und ebenfalls nicht fortgeführt wird) u.a. zwei ProSieben-Formate bei RTL moderiert hat, hat ihn schließlich bei seinem alten Sender den Job gekostet - was Inga Leschek postwendend für das Versprechen nutzte, gerne mehr mit ihm zu machen. Damit steht man gewissermaßen in der Pflicht, jetzt auch zu liefern.
In der Fiction fuhr man erneut recht gut mit seinem Versuch, mit dem "Tödlichen Dienst-Tag" das öffentlich-rechtliche Krimi-Publikum anzulocken - allerdings zeigte sich auch, dass der Erfolg nicht ganz so leicht auf Strecke zu bringen ist. Neben dem erfolgreich fortgesetzten "Dünentod" schaffte es auch der neue Bamberg-Krimi, über drei Millionen Leute vor den Fernseher zu holen - etwas, das kaum ein anderer Privatsender überhaupt noch schafft. "Die Neue und der Bulle" tat sich hingegen schon schwerer. RTL täte hier wohl gut daran, diese Farbe weiter auszubauen, um mehr Wochen damit füllen zu können - zumal die Krimis auch in Wiederholungen gut einsetzbar sind, wie sich schon zeigte, und man sonst mit eher für RTL+ produzierte Fiction im Linearen nichts reißen konnte, siehe "Club las Piranjas" oder "Sisi".
Reality sollte erwachsener werden
Auch Dating-Reality ist - von einem Format wie "Bauer sucht Frau" mal abgesehen - inzwischen angesichts des angestrebten älteren Publikums von RTL inzwischen wohl besser auf Abruf bei RTL+ zuhause (wo man die Formate geradezu im Dutzend raushaut) als im linearen Programm. Das bekommt auch eine langjährige RTL-Marke wie "Der Bachelor" zu spüren, wo auch der neue Kniff, auf "Die Bachelors" zu setzen, nicht die Rettung war. Womöglich bringt ja der "Golden Bachelor" mit älterem Personal hier - ähnlich wie auch schon in den USA - die Wende.
Ansonsten ist RTL gut beraten, das Reality-Genre zu weiten und auch "erwachsenere" Formate auszuprobieren - so wie "Die Verräter". Der Mix aus Strategie-Gameshow und Reality tat sich bei der linearen Ausstrahlung in Staffel 1 zwar noch schwerer als befürchtet, es gibt aber durchaus begründete Hoffnung, dass das Format wie auch in anderen Ländern auch hierzulande durch Mundpropaganda noch eine größere Fangemeinde findet.
Und wo wir gerade beim Älterwerden des RTL-Programms sind: Sehr gut funktioniert hat das schon am Nachmittag, wo man mit Gerichtsshows und neuerdings sogar wieder dem "Blaulicht-Report" zwar in der Altersgruppe 14-49 nur mau abschneidet, doch die sitzt um diese Uhrzeit ohnehin kaum vor dem Fernseher. Dafür erreicht man viele Ältere, schneidet in der erweiterten Zielgruppe deutlich besser ab und erreicht häufig auch insgesamt mehr als eine Million Menschen - wichtig, um in dieser Zeitschiene überhaupt relevant zu bleiben. Weitere gute Nachricht: Auch die Magazine am Morgen und "Punkt 12" haben zuletzt zulegen können.
Die NFL hat noch Luft nach oben
Nicht so recht in die ältere Ausrichtung des Programms passt freilich ein anderes Großprojekt: Die NFL-Übertragungen am Sonntag. Bei RTL freut man sich, dass man damit ein jüngeres, männliches Publikum anspricht, das man sonst kaum noch erreicht – was vor allem den Vermarkter glücklich macht. Rein mit Blick auf die Reichweiten ist die Bilanz abseits des Super Bowls und der Frankfurt Games aber durchwachsen: Zwar sahen mehr zu als bei ProSieben, für RTL-Verhältnisse sind die Gesamt-Reichweiten sonntags aber über viele Stunden äußerst mau.
Hier dürfte man hoffen, dass es über die kommende Zeit gelingt, noch mehr Deutsche zu Football-Fans zu machen. In der letzten Saison schoss man dafür aus allen Rohren – Versuche, mit Shows wie "Promi Touchdown" und "American Ice Football" neue Zielgruppen zu erschließen, gingen allerdings nicht auf: Wer sich nicht für Football interessierte, schaute nicht zu – und viele Football-Fans zeigten sich vom Klamauk eher abgeschreckt. Man darf also gespannt sein, wie man sich hier in der nächsten Saison aufstellen wird.
Doch nicht nur in die NFL-Rechte hat RTL investiert, auch für Fußball-Rechte griff man tief in die Tasche – und wurde dafür aus Reichweiten-Sicht belohnt. Das Länderspiel zwischen Deutschland und Holland etwa lockte vor einigen Monaten über elf Millionen Zuschauerinnen und Zuschauer zu RTL. Und dass Bayer Leverkusen sich nicht nur in der Bundesliga gut schlug, sondern in der Europa League bis ins Finale vordrang, bescherte RTL auch mehrere abendliche Fußball-Feste.
Auch wenn der Fußball-Gott ansonsten in dieser Saison ja kein Kölner war: In Deutz dürfte man angesichts dessen gleich mehrere Dankesgebete nach oben schicken. Auch wegen des Ausgangs des Champions-League-Finales - denn hätte der BVB gewonnen, wäre Eintracht Frankfurt auch noch in die Champions League gerutscht. So aber verbleiben sie in der Europa League und sind somit bei RTL zu sehen - und mit der Eintracht hat man ja auch einige viele erfolgreiche Fußball-Abende bei RTL gefeiert. Die Aussicht auf die kommende TV-Saison ist also auch in dieser Hinsicht nicht die Schlechteste.