Seine zweite Amtszeit hatte Bob Iger sich bestimmt anders vorgestellt. Eigentlich hatte er sich selbst als eine Art Retter der Walt Disney Company nach dem glücklosen Interregnum seines Nachfolger-Vorgängers Bob Chapek gesehen. Doch dann verhakte er sich im monatelangen Zwist mit dem aktivistischen Investor Nelson Peltz, der Disney öffentlichkeitswirksam ein schlechtes Führungszeugnis ausstellte und Sitze im Aufsichtsrat anstrebte. Immerhin konnte Iger die Schlacht Anfang April für sich entscheiden, nachdem sie reichlich Zeit und Energie gekostet hatte.
Was genau der 81-jährige Peltz, unterstützt vom früheren Marvel-Chef Ike Perlmutter und vom früheren Disney-CFO Jay Rasulo, anders gemacht hätte, wenn er das Mehrheitsvotum der Aktionäre gewonnen hätte, war nie so ganz klar. Vor allem schimpfte er über die missglückte Nachfolgeregelung an der Konzernspitze, die hohen Verluste im Streaming und über Disneys vermeintlich zu große "Wokeness". Der anzeigengespickte Wahlkampf, der die Investoren dazu bringen sollte, gegen Peltz zu stimmen, kostete den Konzern nach eigenen Angaben stolze 40 Millionen Dollar.
Auch wenn die Mehrheit am Ende auf Igers Seite stand, hatten er und der Disney-Aufsichtsrat sich die Auseinandersetzung wohl selbst eingehandelt – mit ihrer verpfuschten Kür eines neuen CEOs, der Igers Erbe 2020 übernehmen sollte. "Entscheidende Fehltritte und schwerwiegende Folgen der gescheiterten Nachfolge" nannte etwa die Aktionärsberatung ISS als Grund, warum sie neue Köpfe für den Aufsichtsrat befürwortete. So oft wie Iger seinen geplanten Rückzug in den Ruhestand schon während der ersten Amtszeit hinauszögerte und schließlich auf den falschen Mann setzte, mag es gute Gründe geben zu zweifeln, wenn er heute, mit 73, verspricht, nun sei Disney aber wirklich darauf konzentriert, seine Nachfolge bis 2026 zu regeln.
Was die dringend notwendige Schärfung der Streaming-Strategie angeht, so hat Iger in den vergangenen Monaten geliefert – sei es als Antwort auf Peltz oder weil er es ohnehin vorhatte. Die amerikanische Streaming-Plattform Hulu, deren restliche Anteile Disney von Comcast übernimmt, wurde im März weitgehend mit dem bislang getrennt operierenden Disney+ fusioniert. Beide Angebote sind für US-Kunden nun über ein und dieselbe App abrufbar – aus Konsumentensicht eine wesentliche Vereinfachung, die zu verstärkter Nutzung beitragen könnte. Disney+ hat nämlich das Problem, dass nach jüngsten Erhebungen des Marktforschers Digital I nur 41 Prozent der zahlenden Abonnenten die Plattform jeden Monat aktiv nutzen, während es bei Netflix 72, bei Prime Video 77 Prozent sind. Je niedriger der Wert, desto wahrscheinlicher die Abo-Kündigung.
Disney sei "auf dem besten Weg", in der zweiten Jahreshälfte die Profitabilität im gesamten Streaming-Geschäft zu erreichen, so Iger.
Die erheblichen Einsparungen bei Programm und Personal, die im Laufe des vorigen Jahres rund 7.000 Angestellte ihren Job und etliche geplante Disney+-Projekte ihre Realisierung kosteten, haben sich unterdessen wirtschaftlich ausgezahlt: Fürs erste Quartal 2024 konnte Iger am Dienstag zum allerersten Mal ein profitables Entertainment-Streaming-Geschäft vermelden. Disney+ und Hulu brachten es von Januar bis März auf ein operatives Betriebsergebnis von 47 Millionen Dollar, nachdem sie ein Jahr zuvor noch 587 Millionen Dollar verloren hatten. Da zur Streaming-Sparte freilich auch das immer noch unprofitable ESPN+ gehört, verzeichnete das Segment unterm Strich einen operativen Verlust von 65 Millionen Dollar. Bei der Abonnentenzahl konnte Disney+ um sechs Prozent – und damit etwas stärker als erwartet – auf 117,6 Millionen zulegen. Der durchschnittliche Monatsumsatz pro Abonnent stieg weltweit um sechs Prozent auf 7,28 Dollar, während er in Nordamerika um zwei Prozent auf acht Dollar zurückfiel.
Disney sei "auf dem besten Weg", in der zweiten Jahreshälfte die Profitabilität im gesamten Streaming-Geschäft zu erreichen, sagte Iger. Bis Jahresende werde Disney+ um eine eigene ESPN-Kachel ergänzt, die US-Abonnenten eine "geringe Menge" an Live-Sport zugänglich machen soll – "der erste Schritt, um ESPN zu den Disney+-Zuschauern zu bringen", ehe dann 2025 ein eigenständiger ESPN-Streaming-Dienst eingeführt wird. Zudem kündigte Iger an, dass Disney ab Juni in einigen Ländern damit beginnen wird, gegen Account-Sharing vorzugehen, gefolgt von einer breiteren Umsetzung des entsprechenden Netflix-Playbooks ab September.
Während die Gewinne aus dem linearen TV-Geschäft um 22 Prozent einbrachen, kletterten jene aus dem Freizeitpark- und Erlebnis-Business um zwölf Prozent in die Höhe. Längst ist das "Experiences" genannte, von D'Amaro geleitete Geschäftsfeld das mit Abstand profitabelste im gesamten Konzern. Disneyland und Co. werden nach der Pandemie wieder von Touristen überrannt. Diese Stärke will Disney noch erheblich ausbauen. Über die nächsten zehn Jahre darf D'Amaro stolze 60 Milliarden Dollar investieren. Davon sollen 70 Prozent in neue Attraktionen für Parks und Kreuzfahrtschiffe fließen, der Rest in Technologie und Renovierungen. Im kalifornischen Anaheim etwa sind Erweiterungen geplant, die eine üppige "Avatar"-Landschaft umfassen sollen. "Wir werden genug Platz haben, um so viel wie ein weiteres Disneyland zu bauen", erklärte D'Amaro Ende April im "Hollywood Reporter". "Dann fragt man sich natürlich: Was können wir hier machen? Wir haben noch keine Erlebnisse, keine Geschichten rund um Wakanda erzählt. Und auch keine rund um 'Frozen', obwohl das ein zehn Jahre altes Franchise ist."
Schon ausgemachte Sache ist, dass die "World of Frozen", die im November im Disneyland Hong Kong eröffnet wurde, bald auch nach Paris kommen soll. Neben dem physischen Geschäft gehört zu D'Amaros Reich allerdings auch eines der wichtigsten digitalen Expansionsprojekte: Im Februar hat Disney ein 1,5 Milliarden Dollar schweres Investment in das "Fortnite"-Studio Epic Games abgeschlossen. Ziel der Zusammenarbeit ist ein "Spiel- und Unterhaltungsuniversum" rund um Stoffe und Figuren der Marken Disney, Marvel, Pixar, "Star Wars" und "Avatar". Auf dass man nicht jene junge Generation verliert, für die TV längst obsolet und selbst Streaming nicht mehr selbstverständlich ist.