Allzu präzise fielen die Äußerungen von Amazon-Boss Andy Jassy nicht aus, als es um das noch junge Werbegeschäft bei Prime Video ging. Natürlich wollten die Analysten wissen, wie die Vermarktung auf der Streaming-Plattform angelaufen ist. Doch erwartungsgemäß blieb der CEO des E-Commerce-Riesen vorige Woche bei der Vorstellung der Quartalszahlen im Vagen: "Unsere Werbeinitiativen profitieren weiterhin vom Wachstum des Prime-Video-Geschäfts", lautete seine Antwort. "Wir sind mit der Streaming-TV-Werbung noch ganz am Anfang, aber wir fühlen uns von der Resonanz ermutigt."

Eine typische Amazon-Antwort, die so gut wie nichts sagt. Es bleibt schwierig bis nahezu unmöglich, von außen festzustellen, wie erfolgreich Prime Video wirklich arbeitet. Die Abo-Erlöse werden lediglich als Gesamtwert für alle Prime-, Amazon-Music- und Audible-Mitgliedschaften zusammen ausgewiesen. Ebenso läuft es jetzt mit der Werbung, wo die Einnahmen von Prime Video und seiner Kostenlos-Schwester Freevee im Werbevolumen des ganzen Konzerns untergehen. Wenn man sich auf eines verlassen kann: Transparenz gewährt man in Seattle nur soweit unbedingt nötig.

Das führt zu der kuriosen Situation, dass seit Jahresanfang völlig divergierende Einschätzungen zum Stellenwert der Werbung auf Prime Video kursieren. Von der ultimativen Disruption des TV-Werbemarkts bis zu einer Art unbeholfenem Scheinriesen reicht das Spektrum. "Amazon is About to Eat the TV Universe", titelte der "Hollywood Reporter", kurz bevor die Werbespots am 29. Januar in den USA und am 5. Februar in Europa freigeschaltet wurden. Amazon habe den "denkbar schlechtesten Zeitpunkt" für den Launch gewählt, zitierte "Ad Age" nur wenig später einen Media-Einkäufer und berichtete von "lustloser Nachfrage" in der "toten Phase" nach den Weihnachtsausgaben, weit entfernt von der frühjährlichen Upfront-Saison.

Keine der beiden Varianten lässt sich auf Anhieb von der Hand weisen. Tatsächlich berichteten Kunden und Agenturen im US-Markt, dass sie mit Kurzfrist-Vergünstigungen geködert wurden, sofern sie Amazon in ihren Mediaplan aufnahmen und wenigstens 50.000 Dollar investierten. Das heißt aber natürlich nicht, dass die Verkaufsmaschine Amazon mittelfristig nicht auch auf diesem Feld ihre Macht ausspielen dürfte. Anders als Netflix und die übrigen Streamer hat Prime Video keinen neuen, vergünstigten Abo-Tarif eingerichtet, der Werbung enthält, sondern die Werbung gleich zur Standardversion für alle Bestandskunden gemacht. Wer weiter werbefrei gucken will, muss jetzt 2,99 Dollar bzw. Euro Aufpreis zahlen. Wogegen hierzulande die Verbraucherzentralen klagen, betrachten US-Marketer als großen Coup. Denn mutmaßlich – trotz aller Intransparenz bei den Abo-Zahlen – bietet Amazon momentan die reichweitenstärkste werbefinanzierte Streaming-Plattform und dürfte Netflix in dieser Beziehung hinter sich gelassen haben.

 

Eine Analyse der Bank of America prognostiziert, dass Amazon mittelfristig bis zu drei Milliarden Dollar an zusätzlichen Werbeerlösen aus der Vermarktung von Prime Video generieren könnte.

 

Mike Hopkins © Amazon "Investitionen priorisieren": Mike Hopkins spart im Studiobetrieb
Eine Analyse der Bank of America prognostiziert, dass Amazon mittelfristig bis zu drei Milliarden Dollar an zusätzlichen Werbeerlösen aus der Vermarktung von Prime Video generieren könnte. US-Marktforscher LightShed rechnet für dieses Jahr mit zwei Milliarden Dollar. Beide gehen davon aus, dass die überwiegende Mehrheit der Prime-Kunden nicht extra bezahlen wird, um Werbung zu vermeiden. Zwischenzeitliche Gerüchte, Amazon wolle seinen rein werbefinanzierten Dienst Freevee über kurz oder lang einstellen, scheinen sich nicht zu bewahrheiten. Die Vermarktungs- und AdTech-Teams beider Plattformen arbeiten Berichten zufolge eng zusammen, während das Content-Team von Freevee bereits neue Originals bis ins Jahr 2026 plant. Die Strategie, nicht zahlende Zuschauer via Freevee mit älteren Folgen von Prime-Video-Serien erst einmal ins Amazon-Universum zu locken und sie so vielleicht doch für ein Abo zu gewinnen, könnte durchaus aufgehen.

Der neuen Erlösquelle zum Trotz schauen die Kassenwärter des Konzerns strikter denn je auf die Ausgaben von Amazon MGM Studios. Anfang des Jahres wurden die Eigenproduktionen in Afrika, Nahost und Südostasien gestrichen, die entsprechenden Teams aufgelöst oder stark verkleinert. Der eindeutige Schwerpunkt soll fortan auf den amerikanischen und europäischen Märkten liegen, wo sich mit Streaming weitaus höhere Umsätze pro Nutzer erwirtschaften lassen. Es sei wichtig, dass "wir unsere Investitionen für den langfristigen Erfolg unseres Unternehmens priorisieren", schrieb Mike Hopkins, Senior Vice President Prime Video & Amazon MGM Studios, seinen Mitarbeitern im Januar. Im Laufe des vergangenen Jahres habe man "nahezu jeden Aspekt unseres Geschäfts" untersucht und infolgedessen "Möglichkeiten identifiziert, um Investitionen in bestimmten Bereichen zu reduzieren oder einzustellen, während wir unsere Investitionen und unseren Fokus auf Inhalte und Produktinitiativen erhöhen, die die größte Wirkung erzielen".

Auch die etablierten Märkte in Amerika und Europa kamen freilich nicht um ein Effizienzopfer herum. Ebenfalls im Januar teilte Hopkins "mehreren hundert" Angestellten der Streaming- und Studiosparte ihre Entlassungen mit. Zweieinhalb Jahre nach der Übernahme von MGM konsolidiert Amazon seine beiden Studiobetriebe damit nun mit voller Konsequenz – ein Schritt, der angesichts der massiven Sparpolitik aller anderen Studios als durchaus überfällig anzusehen ist. Was das insbesondere für die Zukunft des Filmsegments bedeutet, scheint immer noch nicht ganz klar zu sein. Jennifer Salke, Chefin der Amazon MGM Studios, hatte im Herbst 2022 in Aussicht gestellt, rund eine Milliarde Dollar jährlich in zwölf bis 15 Spielfilme mit umfassender Kinoauswertung zu investieren.

Davon bleibt sie vorerst weit entfernt. Während im Streikjahr 2023 nur sechs Streifen auf die Leinwand kamen, zeichnet sich fürs laufende Jahr sogar eine Rückbesinnung auf mehr reine Streaming-Filme ab, die ohne Kino-Umweg direkt auf die Plattform kommen. Sowohl "Road House" mit Jake Gyllenhaal als auch "The Idea of You" mit Anne Hathaway fanden in den vergangenen Wochen so viel Aufmerksamkeit, dass sie wohl auch an den Kinokassen hätten bestehen können. "Road House"-Regisseur Doug Liman blieb gar aus Protest der Premiere seines Films auf dem SXSW-Festival in Austin fern.

In einem Gastbeitrag für "Deadline" schrieb der renommierte Filmemacher, Amazon habe ihn und die Filmcommunity gebeten, ihren Versprechungen in Sachen Kino zu vertrauen, doch dann "benutzen sie 'Road House' stattdessen, um Abos zu verkaufen". Das verletze die Rechte der Macher und Stars, da ihnen die Partizipation an einem Streaming-Erfolg versagt bleibe. Die Hathaway-RomCom war zwar von Anfang an für Prime Video geplant, erzeugte aber offenbar mit äußerst positiven Testvorführungen interne Diskussionen, ob man sie doch noch ins Kino bringen solle. Ein rasches Nein kam Branchenberichten zufolge von Jennifer Salke. So zerschlägt man in Hollywood zuverlässig Porzellan.

US-Studios im Umbruch – bisher erschienen