Nach rund achteinhalb Stunden hat Versammlungsleiter Andreas Wiele, gleichzeitig auch Aufsichtsratschef von ProSiebenSat.1, die Hauptversammlung (HV) des Medienkonzerns am Dienstagabend beendet. Das Ergebnis fiel für ihn und CEO Bert Habets ziemlich ernüchternd aus: Vor allem Großaktionär Media for Europe (MFE) hat fast alle eigenen Anträge durchgebracht, seien es die Vorschläge für Aufsichtsratskandidaten oder die Satzungsänderung. Nur der im Vorfeld heiß diskutierte Abspaltungsantrag hat nicht die notwendige Zustimmungsrate in Höhe von 75 Prozent erzielt.
Und doch ist das alles kein Erfolg für Wiele und Habets. Selbst bei der Abspaltung wurde es am Ende noch einmal ganz eng, denn überraschend viele Aktionärinnen und Aktionäre stimmten für den MFE-Vorschlag: 70,95 Prozent waren es in Summe. Damit ist auch offensichtlich, dass die Italiener den zweiten Großaktionär PPF auf ihrer Seite gewusst haben. Ein Szenario, an das man in Unterföhring zuvor kaum glauben wollte. ProSiebenSat.1 wird nun zwar nicht zu einer Aufspaltung des Konzerns gezwungen, die Erwartungshaltung ist aber ganz klar von der Hauptversammlung formuliert: Werdet eure Beteiligungen los.
Der Paarlauf von MFE und PPF begann schon vorher, nämlich bei der Wahl der Aufsichtsratsmitglieder. Da unterstützten sich die Großaktionäre in ihren Vorschlägen gegenseitig, sodass sowohl Leopoldo Attolico als auch Christoph Mainusch in das Gremium gewählt wurden - und nicht die von ProSiebenSat.1 vorgeschlagenen Pim Schmitz und Marjorie Kaplan. Attolico und Mainusch wurden zwar von MFE bzw. PPF vorgeschlagen, gelten offiziell aber als unabhängige Kandidaten, weil sie mit den Unternehmen in keiner Geschäftsbeziehung stehen.
Spätestens da zeichnete sich ein Durchmarsch von MFE in den Tagesordnungspunkten ab, bei denen nur 50 Prozent Zustimmung nötig waren. Zuvor wurde bereits dem Vize-Aufsichtsratschef Rolf Nonnenmacher die Entlastung verweigert und der ProSiebenSat.1-Antrag zu einer internen Reorganisation verfehlte die notwendige Mehrheit. Beide Punkte trafen Vorstand und Aufsichtsrats ins Mark, mit der Neustrukturierung wollte man steuerliche Verlustvorträge in Höhe von fast einer halben Milliarde Euro nutzbar machen. MFE verwies dagegen nüchtern auf die Tatsache, dass man das noch zu einem späteren Zeitpunkt umsetzen könne.
Die Erfolge von MFE waren auch deshalb möglich, weil trotz vieler Bitten und Bettelbriefe von ProSiebenSat.1 die Präsenz nur bei 63,5 Prozent (+5,5 Prozentpunkte gegenüber 2023) lag. MFE hält etwas weniger als 30 Prozent der stimmberechtigten Aktien des eingetragenen Grundkapitals - kam in dieser Konstellation aber schon fast im Alleingang auf 50 Prozent der anwesenden, stimmberechtigten Aktien.
Ein Erfolg nach dem anderen für MFE
Rolf Nonnenmacher wurde später noch aus dem Aufsichtsrat gewählt, stattdessen wählte die Hauptversammlung auf Vorschlag von MFE Simone Scettri. Ihn hielt ProSiebenSat.1 nicht nur fachlich für ungeeignet, man verwies auch auf einen möglichen Interessenskonflikt, weil Scettri in Italien mal Managing Partner bei den Wirtschaftsprüfern von EY war. Also genau dem Unternehmen, gegen das ProSiebenSat.1 mutmaßlich juristisch vorgehen wird. Hintergrund ist hier das Debakel rund um Jochen Schweizer Mydays. Auch die Warnungen von ProSiebenSat.1, MFE und PPF würden durch ihre Vorschläge zu viel Macht im Aufsichtsrat erhalten, schlugen die Aktionärinnen und Aktionäre in den Wind.
Jochen Schweizer Mydays war ebenfalls ein großes Thema, neue oder erhellende Erkenntnisse blieb die Hauptversammlung aber schuldig. Zwar erklärte Rolf Nonnenmacher, dass eine Untersuchung ergeben habe, dass EY die Problematik rund um Jochen Schweizer Mydays (DWDL.de berichtete) hätte auffallen müssen, die Prüfung möglicher Pflichtverletzungen von Externen sei jedoch noch nicht abgeschlossen, ergänzte CFO Martin Mildner. Ob und wenn ja gegen wen vorgegangen wird, ist also noch unklar. Neben EY dürften aber auch die beiden ehemaligen Vorstände Rainer Beaujean und Ralf-Peter Gierig ins Visier der aktuellen Führung geraten. In einem am Wochenende von ProSiebenSat.1 veröffentlichten Update in der Sache hieß es, dass die beauftragte Anwaltskanzlei bei zwei ehemaligen Vorstandsmitgliedern zu dem Ergebnis gekommen sei, dass diese "im Zusammenhang mit dem Gegenstand der Internen Untersuchung ihre Pflichten verletzt und Schäden verursacht haben".
Auch eine Satzungsänderung brachte MFE mit der notwendigen Mehrheit durch die Hauptversammlung. Damit muss der Vorstand künftig schon eher bei großen Ausgaben zum Aufsichtsrat und sich dort das Okay holen. Also genau zu dem Gremium, das MFE und PPF gerade nach ihren Wünschen umgestaltet haben.
Ohne MFE wird's künftig nicht mehr gehen
Ein kleiner Sieg für ProSiebenSat.1 ist, dass MFE beim Antrag für ein neues, genehmigtes Kapital die notwendige Zustimmungsrate in Höhe von 75 Prozent verfehlte. Zuvor hob die Hauptversammlung auch durch MFE das zuvor genehmigte Kapital auf. Wie ProSiebenSat.1 gegenüber DWDL.de auf Nachfrage bestätigt, heißt das nun aber auch, dass der Konzern bei möglichen Kapitalerhöhungen erst einmal die Hauptversammlung befragen muss. Und dort geht spätestens seit heute ohne MFE so gut wie gar nichts mehr, das müsste allen Beteiligten klar sein.
Überhaupt hat diese Hauptversammlung gezeigt, dass es für ProSiebenSat.1 schwer werden wird, die Oppositionshaltung gegen MFE aufrechtzuerhalten, dazu sind die Italiener mittlerweile offensichtlich in einer zu mächtigen Position. Vor allem dann, wenn sie sich mit PPF einig sind.
Es ist ein bisschen paradox, denn eigentlich sind sich Vorstand, Aufsichtsrat und Großaktionäre ja alle einig. ProSiebenSat.1 soll sich auf dem Entertainmentgeschäft fokussieren und Beteiligungen abstoßen. Dass es dabei nun eher schneller als langsamer gehen muss, haben vermutlich auch Bert Habets und Andreas Wiele verstanden. Wenn sie schnell Erfolge erzielen, erscheint eine langfristige Zusammenarbeit mit MFE nicht ausgeschlossen. Ein großer Knall, bei dem Wiele und/oder Habets zurücktreten, ist nach heute zwar nicht ausgeschlossen, muss aber auch nicht zwingend erfolgen.
Wie lange hält das Bündnis zwischen MFE und PPF?
Eine schnelle Übernahme von ProSiebenSat.1 durch MFE wird es wohl auch weiterhin nicht geben. Bis das ein realistisches Szenario wird, müssen erst einmal einige Beteiligungen abgestoßen werden. Und auch das vorübergehende Bündnis zwischen MFE und PPF muss nicht ewig halten. Sollte MFE bei einer Übernahme tatsächlich ernst machen, könnten die Tschechen in ein Wettbieten einstiegen. Hier ist das letzte Wort noch nicht gesprochen - und sämtliche Karten liegen wohl auch noch nicht auf dem Tisch.
Für den Moment freuen sich die beiden Großaktionäre jedoch erst einmal über den Ausgang der Hauptversammlung von ProSiebenSat.1. Man begrüßte die Entscheidungen der Aktionäre und fordere den Aufsichtsrat auf, die Veräußerungen von nicht zum Kerngeschäft gehörenden Aktivitäten zu beschleunigen, heißt es am Abend von MFE. In Bezug auf den gescheiterten Abspaltungsantrag spricht MFE angesichts der dennoch hohen Zustimmungsrate von "einem klaren Mandat", das die Hauptversammlung an das Management gesandt habe. PPF erklärte, man begrüße die Wahl des vorgeschlagenen Kandidaten Christoph Mainusch in den Aufsichtsrat.
Die erste offizielle Reaktion von ProSiebenSat.1 auf die Ergebnisse der Hauptversammlung macht derweil nicht den Eindruck, als würde sich am Verhältnis zwischen Unternehmen und den Großaktionären schnell etwas ändern. Der Konzern verwies darauf, dass die HV die Aufspaltung abgelehnt habe und dass es eine "überwältigende Zustimmung aller freien Aktionäre für sämtliche Positionen der Verwaltung" gegeben habe. Das ist ja vielleicht sogar richtig, aber hilft dem Konzern in der Sache trotzdem so gut wie gar nicht weiter.
In einem Punkt war die Hauptversammlung übrigens auch programmlich spannend. Denn Bert Habets erklärte auf die Frage eines Einzelaktionärs tatsächlich, dass man den im September anstehenden Boxkampf zwischen Stefan Raab und Regina Halmich nicht übertragen werde. Er hätte das vermutlich auch defensiver formulieren können, hat sich aber für eine Wortwahl entschieden, die keinen Raum für Spekulationen ließ. Damit ist zwar immer noch nicht klar, wo Raab am 14. September zu sehen sein wird, fest steht aber immerhin: Nicht bei ProSieben. Bleibt abzuwarten, ob ProSiebenSat.1 nun auch den Kampf mit seinem Großaktionär MFE beendet - oder es nun lediglich eine Verschnaufpause gibt. Die heutige Hauptversammlung war jedenfalls ein eindeutiger Punktsieg für die Italiener.