Die Zeiten für deutsche Serienmacherinnen und Serienmacher sind in den vergangenen Monaten spürbar schlechter geworden. Ganze Anbieter ziehen sich zurück oder kürzen ihre Produktionsvolumen radikal zusammen, andere achten ebenfalls deutlich mehr als noch vor wenigen Jahren aufs Geld - das trifft auch und vor allem auf die großen Streaminganbieter zu. Ein eigenes Lied von dieser Entwicklung kann Moritz Polter singen. Der "Das Boot"-Produzent hat vor wenigen Jahren zusammen mit ITV Studios die Produktionsfirma Windlight Pictures gegründet. 

Zusammen mit der österreichischen Satel Film wollte Polter eigentlich das erste deutsche Starzplay-Original produzieren: "Nachts im Paradies", mit Jürgen Vogel, Lea Drinda und Birgit Minichmayr immerhin hochkarätig besetzt. Kurz nach dem Drehstart folgte aber nicht nur ein Rebranding von Starzplay in Lionsgate+, sondern auch das komplette Aus für den damals noch recht frischen Streamingdienst. Es dauerte ein weiteres knappes Jahr, bis klar wurde: "Nachts im Paradies" findet doch noch einen Weg zu den Zuschauerinnen und Zuschauern. Canal+ hatte sich Ende 2023 die Ausstrahlungsrechte gesichert.

Der französische Bezahlsender Canal+ ist seit einiger Zeit auch in Österreich aktiv, insofern macht eine deutschsprachige Serie durchaus Sinn. Aktuell fristet der Dienst in der öffentlichen Wahrnehmung eher noch ein Nischendasein, spätestens im Herbst wird sich das aber wohl ändern, wenn man hochkarätigen Klub-Fußball zeigen wird (DWDL.de berichtete). "Nachts im Paradies" ist nun ein erster Fingerzeig, dass Canal+ mehr sein will als ein Underdog. 

Weil Canal+ auch in anderen Ländern Ableger hat, erfolgt die Premiere von "Nachts im Paradies" in zahlreichen europäischen Ländern - nur nicht in Deutschland. "Wir sprechen zur Zeit mit einigen deutschen Partnern, aber unser Fokus liegt gerade darauf, die Presse und die Einschaltquoten der Weltpremiere auf Canal+ zu nutzen, um dann das beste Zuhause für diese herausragende Serie zu finden", sagt Produzent Moritz Polter gegenüber DWDL.de. Und er sagt, dass es auch die Möglichkeit für einen globalen Deal gegeben habe, "aber nach Abwägung aller Faktoren haben wir beschlossen, dass dies der beste Weg für die Serie ist."

"Wir sprechen zur Zeit mit einigen deutschen Partnern, aber unser Fokus liegt gerade darauf, die Presse und die Einschaltquoten der Weltpremiere auf Canal+ zu nutzen, um dann das beste Zuhause für diese herausragende Serie zu finden."
Produzent Moritz Polter


Von der Entscheidung, Lionsgate+ vom Markt zu nehmen, sei er "natürlich enttäuscht" gewesen, sagt Polter. Man habe eine langjährige Beziehung zum dortigen redaktionellen Team gehabt, da dies unter anderem "Das Boot" in verschiedenen Märkten lizenziert hatte. Alle seien begeistert gewesen, jetzt auch die erste deutsche Eigenproduktion umzusetzen. "Man fragt sich immer, was passiert wäre, wenn man einen anderen Weg eingeschlagen hätte, aber der Enthusiasmus, mit dem Canal+ die Serie auf den Markt bringt, bestätigt unsere damalige Entscheidung", sagt Polter im Hinblick auf den neuen Partner. 

Dass es bislang keinen deutschen Abnehmer für "Nachts im Paradies" gibt, hat aber womöglich ziemlich handfeste Gründe. Denn während gerade alle großen, internationalen Streamingdienste in Richtung Mainstream schielen, ist die Windlight-Serie das genaue Gegenteil davon. Bei der Premiere vor wenigen Tagen in Wien hatte nicht nur die Moderatorin des Abends Probleme damit, den Plot der Serie zusammenzufassen. Auch die Schauspielerinnen und Schauspieler wussten teils nicht so recht, wie sie ihre Rollen beschreiben sollten. 

Oft abstrakt und arthousig

Das könnte sich noch als Problem herausstellen: "Nachts im Paradies" basiert auf einem Graphic Novel von Frank Schmolke und ist so einiges, aber garantiert kein leicht konsumierbares Serien-Fernsehen. In der von Matthias Glasner und Bettina Oberli optisch eher dunklen, weil dystopisch inszenierten Serie spielt Jürgen Vogel den mit sich hadernden Taxifahrer Vincent, Lea Drinda verkörpert seine Tochter Joni. Die Vater-Tochter-Beziehung ist allerdings ziemlich kompliziert und die beiden geraten schnell in einen Strudel von unvorhersehbaren Ereignissen. Und von "Charakterschauspieler" Vogel sieht man gleich in Folge eins eine Seite, die man so jedenfalls noch nie gesehen hat. 

Nachts im Paradies © Kurt Patzak Cast und Crew auf der Bühne bei der Premierenfeier von "Nachts im Paradies" in Wien

Bei diesen Ereignissen ist es für die Zuschauerinnen und Zuschauer manchmal schwer zu unterscheiden, was Fakt und was Fiktion ist und was das überhaupt alles soll. Teilweise gibt es auch Elemente, die ins SciFi-Genre reichen, was musikalisch durchaus stimmig untermalt wurde. Inhaltlich und optisch sorgt das aber eher dafür, dass die Serie schwere Kost ist. Auch der Hintergrund von Interview-Szenen zwischen den Hauptcharakteren und einer Journalistin, gespielt von Lea Zoë Voss, sind zu Beginn noch ziemlich undurchsichtig. Canal+ hat vor der Ausstrahlung allerdings nur eine Folge zur Ansicht an die Presse gegeben: Viel Nebel dürfte sich im weiteren Verlauf also noch legen. Nicht helfen dürfte aber die Tatsache, dass es in der ersten Folge keinen Cliffhanger gibt, der zum Weiterschauen animiert. 

Das Drehbuch-Duo Matthias Glasner und Hannah Schopf haben die Serie außerdem in einer fiktiven und nicht näher benannten Stadt angesiedelt. Anders übrigens im Graphic Novel, als die Geschichte rund um das Oktoberfest spielte. Auch hier fehlt für die Zuschauerinnen und Zuschauer der Serie ein Anker. Es gibt Kapitalismuskritik, eine Flüchtlingsgeschichte und eine untergehende Welt. Und so fühlt sich "Nachts im Paradies" ziemlich oft abstrakt und arthousig an. 

Künstlerisch wertvoll, aber auch für die Zuschauer? 

Jürgen Vogel hat bei der Premiere in Wien gesagt, es sei für Schauspielerinnen und Schauspieler ein Geschenk, bei solchen Produktionen mitzuspielen. Ohne Frage ist "Nachts im Paradies" künstlerisch wertvoll und für viele Kreative eine willkommene Abwechslung. Ob Windlight Pictures und Satel Film bei der Serie aber auch genug an die Zuschauerinnen und Zuschauer gedacht haben, wird abzuwarten bleiben. 

"Wir sehen, dass der Markt schrumpft, was Auftragsproduktionen angeht, weshalb man sicherstellen muss, dass die eigenen Ideen so stark wie irgend möglich sind, um eine der wenigen angebotenen Investitionen zu ergattern. Da die meisten Inhalte, die unser Team produziert hat und entwickelt, Koproduktionen sind und nicht nur reine Auftragsarbeiten, sind wir zuversichtlich, dass wir gut gewappnet sind, um weiterhin großartige Serien zu finanzieren", sagt Moritz Polter gegenüber DWDL.de. Beim nächsten Mal dann vielleicht ohne einen Auftraggeber, der bereits vor Serienstart die Segel streicht. 

Die sechs Folgen von "Nachts im Paradies" sind ab dem 6. März in Österreich in der Canal+ App verfügbar, ab Mai ist auch eine Ausstrahlung auf dem linearen Sender Canal+ First geplant.