Isaak Guderian und somit ein ehemaliger Teilnehmer von "X-Factor" (Vox) hat sich in der Nacht auf Samstag beim deutschen "ESC"-Finale durchgesetzt und wird Deutschland beim diesjährigen internationalen Wettbewerb, der am 11. Mai in Malmö stattfindet, vertreten. Der bis dato eher unbekannte Künstler setzte sich gegen acht andere Kandiatinnen und Kandidaten durch, darunter auch Max Mutzke, der Deutschland schon vor 20 Jahren vertrat - und 2004 Achter wurde. "Always on the Run" wird somit der Song sein, bei dem Deutschland am 11. Mai die Daumen drückt.
Das Erste hatte dem "deutschen Finale" am Freitag keinen Primetimeplatz eingeräumt - und wegen eines 15 Minuten langen "Brennpunkts" rund um den Tod des Kreml-Kritikers Alexej Nawalny startete die von Barbara Schöneberg gewohnt souverän und mit Witz moderierte Show sogar erst gegen 22:20 Uhr. Damit ging man erneut in Konkurrenz zu den ebenfalls beim jungen Publikum beliebten ZDF-Formaten "heute show" und "ZDF Magazin Royale", während zur Primetime mit "Ich will mein Glück zurück" ein 90-Minüter debütierte, der weit weniger auf das junge Publikum abzielte. Angesichts der nicht wirklich vorhandenen Showkonkurrenz bei den Privaten war dies eine verschenkte Gelegenheit - und somit ein Stück weit auch verschleudertes Geld.
"Das deutsche Finale" war unter dem Strich eine routiniert-würdige Präsentation des Vorentscheids, die da über die Bühne ging, wenngleich sie nicht ganz ohne Längen war. So startete die erste Performance erst über zehn Minuten nach Showbeginn, auch weil Barbara Schöneberger zunächst noch die vorstellen musste, deren Aufgabe es im Laufe der rund zwei Sendestunden war "schlau daher zu reden".
Eine Art Expertengremium, bestehend aus Florian Silbereisen, Mary Roos, Riccardo Simonetti und Alli Neumann. Doch gerade die Talks zwischen den Auftritten, gesprochen wurde ja unter anderem auch mit "ESC-Legende" Michelle, gerieten mitunter deutlich zu lang, was dem Format Drive nahm. So waren es in erster Linie die unterschiedlichen Inszenierungen auf der Bühne, die das "ESC"-Fieber durchaus ein bisschen steigerten - und natürlich Moderatorin Schöneberger, die am Ende auch keinen Hehl daraus machte, dass die Schrift auf dem Kärtchen mit dem Ergebnis für sie ein bisschen zu klein geraten war. "12 Punkt?", sagte sie mit Blick auf die maximale Punktzahl - die schließlich sowohl von den Anruferinnen und Anrufern als auch von einer internationalen Jury Gewinner Isaak bekam.
Deutlich weniger Junge schauen zu
2,19 Millionen Menschen schauten am Freitagabend ab 22:20 Uhr im Schnitt zu, immerhin rund 200.000 mehr als 2023, als "Unser Lied für Liverpool" ebenfalls erst um kurz vor halb elf Uhr abends an den Start ging. Damals erzielte der deutsche Vorentscheid 11,3 Prozent Marktanteil, diesmal waren es 14,7 Prozent. Bei den Jüngeren ging es dafür ein kleines Stück bergab. Aus den gut 15 Prozent vom Vorjahr wurden nun 12,8 Prozent. Die Reichweite in der Altersklasse 14-49 schrumpfte enorm; von 0,7 auf nur noch 0,46 Millionen. Recht unverändert präsentierte sich die Produktion derweil bei One. Diesmal wie auch 2023 schauten dort 0,15 Millionen Personen ab drei Jahren zu.
Mit der Entscheidung pro Isaak gehen auch die diesjährigen TV-Aktivitäten rund um den Auswahlprozess des Acts zu Ende. Erstmals hatte Das Erste vorab und hauptsächlich mit Blick auf die ARD Mediathek und somit junges Publikum nämlich eine kleine Casting-Show auf die Beine gestellt und dabei auf die Coaches Rea Garvey (bekannt von "The Voice") und Conchita Wurst gesetzt. Und auf eine Produktionsfirma, die eigentlich über reichlich Musikcasting-Erfahrung verfügt: Die sechs Episoden kamen aus dem Hause Bildergarten Entertainment – jenem Unternehmen also, dass hinter "The Voice of Germany" (ProSieben/Sat.1) steht, aber auch hinter "Sing meinen Song" von Vox.
Von den 15 zunächst in Auditions vorgestellten Talenten schafften es drei ins Finale (eine Teilnehmerin fiel kurzfristig wegen Krankheit aus). Bis zu diesem erlebten Zuschauerinnen und Zuschauer wie die Talente nach dem Auswahlverfahren intensiv gecoached wurden – nicht selten erinnerten die Folgen drei bis fünf mehr oder weniger entfernt an Elemente von "The Voice of Germany", wenngleich "Ich will zum ESC!" nie über den Status des kleinen Bruders hinauskam.
Die vor gut einer Woche live im NDR und der Mediathek gesendete Finalfolge von "Ich will zum ESC!" stand dann letztlich auch deshalb in der Kritik, weil sie so gut wie nichts vom Glamour des traditionsreichen "ESC" versprühte, sondern an vielen Stellen schlicht den Charme eines unwichtigen Nachwuchswettbewerbs versprühte. Der Versuch, den ESC über eine klassische Casting-Show in die Mediathek zu verlagern, blieb also optimierungsbedürftig.
Ein Experiment für die Mediathek
"'Ich will zum ESC' war für uns ein Experiment", erklärt Andreas Gerling, der Chef des ARD-Teams für den "Eurovision Song Contest" beim NDR gegenüber DWDL. "Erstens ein programmliches, um die Frage zu klären: Gelingt es, die starke Marke 'ESC' auch in die ARD Mediathek auszurollen?" erklärte der Programmmacher – und beantwortete die selbstgestellte Frage direkt auch mit einem "Ja". Zweitens sei es auch ein musikalisches Experiment gewesen – mit dem Ziel "einen spannenden Act zu finden, der auch für unser Deutsches Finale relevant ist." Mit Blick auf das Voting-Ergebnis am Freitagabend beim "deutschen Finale" gelang genau das eher nicht. Floryan wurde im internationalen Voting Letzter, sicherte sich dabei gerade einmal einen Punkt. Und im Pubikumsvoting sprangen für ihn kaum bessere zwei Pünktchen heraus.
Dass bei "Ich will zum ESC" also (noch?) nicht alles zum Besten war, scheint auch Gerling selbst einzuräumen. Seine Conclusio der Docutainment-Sendung jedenfalls lautet: "Losgelöst von allem, was vielleicht auch besser gemacht werden kann, ist unsere erste Bilanz positiv." Bei der ARD meint man also, durchaus auf dem ein oder anderen Gedanken aufbauen zu können. Ob es aber auch wirklich dazu kommt, hängt auch von anderen Faktoren ab. Wie DWDL schon vor Monaten berichtete, gibt es innerhalb der ARD Gedankenspiele, die Verantwortung für den "ESC" innerhalb der ARD an den MDR zu übergeben. Damals hieß es noch, dass dies "derzeit kein Thema" sei. Der Zeitpunkt, an dem es zum Thema wird, ist mit dem Ende des Auswahlprozesses des deutschen Acts nun aber zumindest einen Schritt näher gerückt.