Die Soaps, die waren immer da. Aber davon abgesehen hatte auch RTL in den vergangenen Jahren große Schwierigkeiten, bei fiktionalen Produktionen eine Strategie gegen den Streamingboom zu finden, der mit dem Markteintritt von Netflix in Deutschland vor zehn Jahren die Nachfrage und das Konsumverhalten insbesondere serieller Inhalte veränderte. Man probierte es mit Prestige-Projekten wie "Deutschland 83", dessen Premiere in den USA ein gelungener PR-Coup war, der im Heimatmarkt jedoch wenig half. Es folgten ein bisschen Comedy hier, ein großer Schwung Drama-Serien dort und mehr Prestige-Projekte ("Faking Hitler"). Doch ausgerufene Strategien hielten meist nur bis zum Sendestart. Auch das Zusammenspiel von RTL+ und dem linearen Hauptprogramm war zeitweise holprig; der Produzentenmarkt ratlos, was wofür gesucht wird.
Heute hat RTL einen Plan und einen Pumuckl, den großen Überraschungserfolg im vergangenen Dezember. Bei den "Neuen Geschichten vom Pumuckl" aus dem Hause NeueSuper stimmten Kritik und Quote: Bis zu 18,5 Prozent bei den 14- bis 49-Jährigen ist bei seriellen Programmen im linearen fast undenkbar geworden, egal ob beauftragt oder eingekauft. Neben dem Release bei RTL+ und der Ausstrahlung bei RTL und Toggo erreichte der neue Pumuckl im Kino bis heute mehr als 570.000 Menschen. "Und noch immer kommt täglich eine beträchtliche Anzahl neuer Zuschauer:innen zu RTL+ um den Pumuckl zu sehen", ergänzt Inga Leschek.
"Wir befinden uns gerade in den Vorbereitungen für eine zweite Staffel"
Inga Leschek über "Neue Geschichten vom Pumuckl"
"Die verschiedenen Ausspielwege haben sich nicht kannibalisiert, sondern ein Phänomen erschaffen, das sich gegenseitig befeuert. Pumuckl ist insofern auch ein Paradebeispiel unserer Strategie als streamender Broadcaster – der in diesem Fall sogar ein projizierender, streamender Broadcaster ist“, so die Programmgeschäftsführerin von RTL und RTL+. Zwischen Superbowl in Las Vegas und Berlinale in der Hauptstadt verrät sie im Gespräch mit DWDL.de dann auch: "Wir befinden uns gerade in den Vorbereitungen für eine zweite Staffel, aber die Produktion ist aufwendig, da werden die Fans Geduld haben müssen." Eine Fortsetzung für die neuen Abenteuer des roten Kobold also, mutmaßlich allerdings erst 2025. Schon früher aber setzt RTL die Verwertungskette aus Kino, TV und Streaming fort.
"Tatsächlich werden wir mit unserem Blockbuster-Event 'Hagen' gemeinsam mit der Constantin eine ähnliche Strategie fahren. Hier wird zunächst ein Spielfilm ins Kino kommen, bevor wir dann in einer Serie den Fokus der Geschichte weiter aufziehen und noch tiefer in die Welt der Nibelungen eintauchen." Und erst vor wenigen Wochen wurde ein drittes Kino-Projekt bestätigt. Leschek: "Wir paddeln überglücklich mit im 'Kanu des Manitu', Michael Bully Herbigs neuestem Projekt. 'Der Schuh des Manitu' hält unter den deutschen Filmen immer noch den Besucherrekord. 24 Jahre danach kann sich das Publikum auf die Fortsetzung freuen und wir freuen uns riesig auf die Auswertung auf unseren Kanälen." Sie ergänzt: "Außerdem haben wir mehrjährige Vereinbarungen mit starken lokalen und internationalen Partnern wie Constantin und Warner getroffen. So freuen wir uns sehr, bereits in diesem Jahr die ersten großen Kinohits exklusiv bei RTL+ und später natürlich auch bei RTL zeigen zu können."
Aber zurück zur Auftragsproduktion: Große IPs, mit Partnern über mehrere Ausspielwege ausgewertet. Zu dieser ersten Säule der Fiction-Strategie von RTL Deutschland, die neben Leschek insbesondere in den Händen von Hauke Bartel (Bereichsleiter Fiction) liegt, gehört auch "Sisi", dessen erste Staffeln zahlreiche Nominierungen und einige Preise gewann. Im Frühjahr beginnen die Dreharbeiten der vierten Staffel. Die Serie läuft zwar nicht im Kino, aber in Österreich beim ORF - und wurde international verkauft. Zusammen mit den Abrufzahlen bei RTL+ ist man über diverse Auswertungswege also zufrieden genug, über die mauen Einschaltquoten der linearen Ausstrahlung in Deutschland hinweg zu sehen.
"Neugier und Vorfreude können aber nicht nur IPs auslösen-"
Den Kreativen dürfte sich kurz vor der Berlinale die Frage stellen: Geht Fiction bei RTL nur noch über große Marken? "Wir können schon erkennen, dass es IPs spürbar leichter haben, im stark umkämpften Serienmarkt die nötige Aufmerksamkeit zu erzeugen. Anders als in den öffentlich-rechtlichen Mediatheken müssen wir unser Publikum ja nicht nur zu einem Klick bewegen, sondern dazu ein Abo abzuschließen. Umso größer und klarer sollte also das Versprechen sein, was eine Serie bietet – und das schon im ersten flüchtigen Kontakt", sagt RTL-Programmgeschäftsführerin Inga Leschek, aber betont: Besondere Einzelprojekte sollen auch weiterhin realisiert werden, dann mit Fokus insbesondere auf RTL+.
"Neugier und Vorfreude können aber nicht nur IPs auslösen. Bei 'Disko 76', eine originäre Serie der UFA Fiction, die auf der Berlinale im EFM Premiere feiert, ist das sicher die Musik, der Tanz und das Lebensgefühl, bei 'Ich bin Dagobert' von Zeitsprung Pictures die Geschichte des Kaufhauserpressers Arno Funke, die in Deutschland fast jeder kennt. Dazu freuen wir uns auf unser nächstes Storytellers-Projekt 'Von einer, die auszog, das Fürchten zu lehren': ein wildes, wütendes und zugleich häufig sehr komisches Projekt über eine junge Frau, die nach einem sexuellen Übergriff Superkräfte entwickelt und Jagd auf Männer macht."
Leschek bilanziert zum Storyteller-Projekt, das künftig zusammen mit dem größten deutschen Serienfestival, dem Seriencamp in Köln, veranstaltet wird: "Junge Stimmen haben was zu sagen, und sie trauen sich dafür auch an überraschende Formen. Unter Strich gilt für uns, dass es wichtig ist, eine sehr klare Antwort darauf zu haben, warum eine Serie Gesprächsstoff werden kann." Bei der Adaption der israelischen Serie "Euphoria", die durch die HBO-Version weltweit bekannt wurde, macht sich Leschek darüber wenig Sorgen. "Ausgehend vom gleichen erzählerischen Kern wollen wir eine Geschichte in Deutschland im Hier und Jetzt erzählen, die den gleichen radikalen und kraftvollen Blick in die Seele der deutschen Jugend wirft. Da leuchten bei allen unter 40 die Augen, wenn man darüber spricht", sagt sie über das zusammen mit Zeitsprung Pictures angegangene Projekt.
Während Paramount+ und Sky Deutschland dem Produzentenmarkt einen Schlag versetzt haben mit dem Aussteig aus der fiktionalen Auftragsproduktion in Deutschland und ProSiebenSat.1 sich auf Soaps am Sat.1-Vorabend und zwei Comedys bei Joyn fokussiert, sieht Leschek ihre Fiction-Pipeline gut gefüllt. Dass sie dabei beruflich bislang nicht einmal im Fiction-Genre zuhause war - daraus macht sie keinen Hehl. Produzentisch war sie vor ihrer heutigen Aufgabe in Show und Reality unterwegs. Sagt heute aber mit Blick auf RTL+: "Wir beobachten gerade, dass der Reality-Fokus aufbricht und unser Streaming Dienst für den vollen inhaltlichen Umfang genutzt und geschätzt wird. Die Fiction wird für RTL+ weiterhin ein wichtiger Bestandteil im Programmmix sein."
"Wir wollen den Platz sukzessive weiter ausbauen."
Inga Leschek über den "Tödlichen Dienst-Tag" mit Krimi-Reihen
Und im Linearen? "Wir sind sehr glücklich, mit dem 'Tödlichen Dienst-Tag' einen starken und verlässlichen Sendeplatz aufgebaut zu haben, der uns regelmäßig über drei Millionen Zuschauer:innen einbringt. Daran wollen wir festhalten und den Platz sukzessive weiter ausbauen." Im Gespräch mit DWDL.de kündigt Leschek an: "Nach den Krimis im Frühjahr werden wir auch im Herbst eine tödliche Dienst-Tag Strecke bespielen." Dafür wurden im vergangenen Jahr schon neue Krimi-Reihen beauftragt und die Anzahl erhöht. Dazu kommen unverändert die drei täglichen Soaps, familienintern von der UFA Serial Drama produziert.
Zuletzt hatten "Unter uns" und "Alles was zählt" mit den Einschaltquoten im Linearen zu kämpfen. Leschek bringt das noch nicht aus der Ruhe: "Wir sind sehr zufrieden mit unseren drei täglichen Serien, jeweils eine starke Marke für sich, die nicht nur linear wunderbar stabil performen, sondern auch auf RTL+ bestens funktionieren und eine riesige Fanbase begeistern. Auf RTL+ landen die Serien täglich ganz vorne bei den Abrufen. Das zeigt, wie gut die digitale Transformation auch hier funktioniert. 2024 wird zudem ein Jubiläumsjahr für unsere Erfolgs-Dailys. 'GZSZ' ist die älteste täglich gesendete Serie im deutschen Fernsehen und feiert in diesem Jahr die 8000. Folge. 'Unter Uns' wird 30 und 'AWZ' wird volljährig."
Erwachsen wirkt damit derzeit auch die RTL-Strategie in der Fiction: Daily-Soaps und Krimi-Reihen im Free-TV, dazu große IPs mit Partnern über mehrere Ausspielwege realisiert und weiterhin vereinzelt originäre Serienideen mit Streaming-Fokus. "Das Programmjahr 2024 ist bereits prall gefüllt", sagt Inga Leschek auch mit Blick auf sportliche Großereignisse im Sommer bei denen RTL mal dabei ist (Euro 2024) und mal nicht (Olympische Spiele in Paris). Durch die Krimistrecke am Dienstagabend und die NFL ab Herbst wieder am Sonntagabend sind großflächig Programmstrecken verplant, die bislang anderweitig gefüllt werden mussten. Mit seinen bestehenden Marken im Non-Fiktionalen und einigen schon angekündigten neuen Formaten hat das Konsequenzen für den weiteren Investitionsbedarf in diesem Jahr. Aber Leschek entwarnt: "Wir bewahren uns immer die Flexibilität, überzeugende Projekte realisieren zu können."