Den Anzug hat Christian Seifert an diesem verregneten Nachmittag gegen einen bequemen Pullover getauscht. Hier, an neuer Wirkungsstätte in Köln, unweit des Aachener Weihers, wirkt alles etwas lockerer als bei der Deutschen Fußball-Liga (DFL), deren Geschäftsführer er 17 Jahre lang war. In seinem jetzigen Job dreht sich zwar auch alles um Sport; mit dem Fußball hat er jedoch nichts mehr am Hut. Seit Seifert vor zwei Jahren mit den Vorhaben überraschte, zusammen mit Axel Springer einen Streamingdienst für Sportarten abseits des Fußballs zu gründen, arbeitet der erfahrene Manager daran, der Nische zu Wachstum zu verhelfen.

Sollen sich DAZN und Sky doch um milliardenschwere Bundesliga- oder Champions-League-Rechte streiten; für Seifert darf's nun auch gern mal Tischtennis sein. Diese Sportart zeigt Dyn, so der Name der Plattform, neben Basketball, Volleyball und Handball. "Für uns sind unsere Sportarten die wichtigsten Sportarten der Welt", sagt er, wohl wissend, dass dieser Satz aus dem Munde des ehemaligen DFL-Chefs auch zwei Jahre nach seinem Abschied aus Frankfurt noch immer ungewohnt klingt. 

Doch Christian Seifert glaubt an das Potenzial. "23 Millionen Menschen in Deutschland lieben Fußball, 17 Millionen lieben unsere Sportarten", weiß er. "Diese Fans lieben ihren Sport kein bisschen weniger als das im Fußball der Fall ist. Sie haben daher eine größere Aufmerksamkeit und mehr redaktionelle Aufbereitung verdient." Zusammen mit Andreas Heyden, der ihm von der DFL folgte und inzwischen als CEO von Dyn Media tätig ist, und dem COO Marcel Wontorra schmiedete Seifert über Monate hinweg an seinem Vorhaben, sprach mit Verbandspräsidenten und machte ihnen die neue mediale Bühne schmackhaft. Einem wie Seifert, der der Bundesliga zu Rekordeinnahmen verhalf und diese selbst durch eine Pandemie sicher steuerte, hatte da womöglich leichteres Spiel als andere.

Dyn © Dyn Media In Köln hat Dyn Media sein Sport Broadcast Center eingerichtet. Hier und in München laufen bei Live-Übertragungen die Fäden zusammen.

Der Plan ging auf: Seit Dyn im Spätsommer startete, spielt die Handball-Bundesliga nicht mehr bei Sky und die Basketball-Bundesliga nicht mehr bei Magenta TV, sondern auf Seiferts Plattform, für deren Nutzung monatlich immerhin fast 15 Euro fällig werden. Überzeugt haben er und Heyden die Verbände vermutlich mit Geld - und mit einem Gesamtkonzept, das längst nicht nur die Live-Übertragungen umfasst. "Die Nachfrage entsteht zwischen den Spieltagen", sagt Seifert im Gespräch mit DWDL.de. "Wenn Sie mit ihrer Sportart jahrelang in der öffentlichen Wahrnehmung nicht stattfinden, dann verlieren Sie insbesondere junge Zielgruppen. Uns war es daher wichtig, ein Streaming-Ökosystem aufzubauen, das auch dann für ein Grundrauschen sorgt, wenn keine Spiele stattfinden."

Und tatsächlich: Während über den Fußball auch dann gesprochen und geschrieben wird, wenn gar keine Spiele stattfinden, ist von den besten Basketball-Klubs des Landes nach Schlusspfiff nur selten etwas zu hören. "Diese Lücke wollen wir im Sinne der Sportarten mit kreativen redaktionellen Formaten und daraus folgend deutlich größerer medialer Reichweite schließen", erklärt Christian Seifert. Durch ein neues Tool haben Vereine und Medienpartner gleichermaßen die Möglichkeit, Spielszenen, Zusammenfassungen oder sonstiges Bewegtbildmaterial in ihre Berichterstattung zu integrieren oder auf Social-Media zu verbreiten und damit Aufmerksamkeit zu schaffen, die es bislang schlicht nicht gab. "Durch unser redaktionelles Konzept, das in erster Linie darauf zielt, mehr mediale Reichweite von Montag bis Sonntag zu generieren, erhalten Ligen, Klubs und Sponsoren erstmals eine echte Wachstumsperspektive."

Handball-EM soll für Rückenwind sorgen

Dass der Rückstand auf den Fußball nicht von heute auf morgen aufgeholt werden kann, ist auch dem ehemaligen DFL-Chef bewusst. "Der Weg aus der Nische", sagt er, "führt nicht über den Roten Teppich." Mindestens beschleunigt werden soll der Weg nun jedoch durch die Handball-Europameisterschaft in Deutschland, an der Dyn dank eines Deals mit ARD und ZDF sämtliche Übertragungsrechte hält. Mit erfahrenen Kommentatoren wie Karsten Petrzika und Markus Götz, dem früheren Weltmeister Pascal Hens, der Handball-Legende Stefan Kretzschmar und Moderatorin Anett Sattler hat sich Dyn insbesondere für die deutschen Spiele, die zeitgleich mit den Öffentlich-Rechtlichen gezeigt werden, ein starkes Team zusammengestellt.

Der Aufwand, den Dyn bei der an diesem Mittwoch startenden Heim-EM betreibt, ist somit deutlich größer als bei vielen anderen Live-Übertragungen des Streamingdienstes. Wo sonst große Ü-Wagen vorfahren, setzt Dyn vor allem auf Übertragungen via Cloud, die auch dadurch möglich werden, dass im Vorfeld an vielen Spielstätten Glasfaserleitungen verlegt wurden, durch die das Signal reibungslos nach Köln oder München geschickt werden, wo wiederum der Dienstleister NEP und die Kommentatoren sitzen. Das sei nicht nur effizient, sondern auch nachhaltig, loben sich die Verantwortlichen. Und, möchte man ergänzen, es ist auch ein bisschen weniger auf Hochglanz getrimmt als andernorts.

Doch anders wäre die Menge an Live-Sport wohl auch kaum zu stemmen. "Wir produzieren und übertragen an einem Wochenende bis zu 60 Spiele. Das entspricht sechs bis sieben Bundesliga-Spieltage", rechnet Dyn-CEO Andreas Heyden im Gespräch mit DWDL.de vor. "In dieser Intensität macht das derzeit niemand sonst weltweit." Noch vor zehn Jahren, sagt er, wäre dieses Konzept nicht denkbar gewesen. Inzwischen hat Dyn bereits mehr als 1.000 Spiele live gestreamt. Wie viele Fans zuschauen oder wie groß die Zahl derjenigen ist, die sich für ein Abo entschieden haben, behalten Heyden und Seifert allerdings ebenso wie konkrete Zielmarken vorerst lieber für sich. 

Dass das Geld in Folge der Inflation bei potenziellen Abonnenten nicht mehr so locker sitzt, dürfte den Start gewiss nicht erleichtert haben. "Natürlich erleben wir derzeit sehr herausfordernde Zeiten für Medienunternehmen", räumt Christian Seifert ein und gibt sogleich wieder den Optimisten. "Das hindert uns aber nicht daran, zu jedem Zeitpunkt das bestmögliche Produkt liefern zu wollen. Wenn ein Produkt nicht gut ist, dann wird es auf Dauer auch keine Chance am Markt haben." Für eine Bilanz ist es, kein halbes Jahr nach dem Sendestart, aber gewiss noch zu früh.