Wer einen Jahresrückblick im Medienbereich macht, kommt um das Thema Werbung nicht herum. Das war 2023 allgegenwärtig - und das durchaus in unterschiedlichen Wahrnehmungsstufen. Da war zum einen die Werbekrise, die nahezu auf der ganzen Welt vor allem lineare TV-Sender getroffen und für sinkende Umsätze gesorgt hat. Für die betroffenen Unternehmen war das hart: Mit klassischer TV-Werbung erzielen sie noch immer die höchsten Margen und verdienen hier das Geld, das nötig ist, um ins zukunftsträchtige Streaming investieren zu können. Verschärfend kamen dann auch noch stark steigenden Kosten durch die Inflation hinzu.
Deutschland hat die Werbekrise besonders hart getroffen. Die beiden großen privaten TV-Konzerne, RTL Group und ProSiebenSat.1, mussten ihre Prognosen in diesem Jahr teils mehrmals nach unten korrigieren. Wahrscheinlich ist, dass der Netto-Werbemarkt in diesem Jahr hierzulande um rund 10 Prozent sinkt - das ist ein echtes Brett, zumal es seit dem Beginn von Corona im Jahr 2020 immer wieder Einbrüche am Werbemarkt gab. Zunächst war es die Pandemie, die die werbungtreibenden Unternehmen auf die Bremse in Sachen Marketing und Werbung treten ließ. Danach war es der russische Angriffskrieg in der Ukraine und seine Folgen für die deutsche Wirtschaft.
Warum Deutschland stärker als andere Länder von der aktuellen Krise betroffen hat, hat DWDL.de schon vor Monaten zum Thema gemacht. Oft genannte Gründe der heimischen Vermarkter damals: Deutschland sei einerseits stark im Mittelstand sowie in der Industrie - beides Bereiche, die besonders leiden und daher ihre Werbebudgets streichen. Auch die geografische Nähe Deutschlands zur Ukraine wurde als Grund genannt. Die gute Nachricht aus Vermarktersicht: Das deutliche Minus der ersten Jahreshälfte hat sich in den zweiten sechs Monaten schon deutlich verringert, doch ausgestanden ist die Krise noch längst nicht.
"Der Werbemarkt in Deutschland ist weltweit einer der angespanntesten. Nur in Brasilien und den USA läuft es ähnlich schlecht", erklärte El-Cartel-Chef Stephan Karrer Anfang Dezember im Interview mit DWDL.de - und das zeigt ganz schön, wie ernst die Situation hierzulande ist. Anfang des Jahres lagen die Hoffnungen auf einer Erholung im zweiten Halbjahr. Als die auf sich warten ließ, hoffte man aufs vierte Quartal. Nun klammert man sich an eine Erholung 2024. Ob es so kommt? Das ist längst keine ausgemachte Sache, aber nach mehreren Krisenjahren und dem erneut großen Einbruch 2023 glaubt eigentlich niemand an eine noch schlechtere Marktlage im kommenden Jahr.
Das ist erst einmal ein pragmatischer Zweckoptimismus, der sich noch in der Realität des Jahres 2024 beweisen muss. Zumal auch noch das Werbeverbot für ungesunde Lebensmittel im Raum steht, gegen das sich die Branche seit Monaten wehrt. Bundesernährungsministerium Cem Özdemir macht nicht den Eindruck, als wolle er von seinen Plänen abrücken. Gefühlt geht in der Sache aber kaum etwas voran. Wohl auch, weil die Bundesregierung in den vergangenen Wochen größere Probleme zu bewältigen hatte. Gut möglich, dass es in dieser Sache 2024 ernst wird. Ein mögliches Werbeverbot für ungesunde Lebensmittel würde die Vermarkter nach eigenen Angaben nochmals hart treffen.
Und plötzlich boomt Werbung bei Netflix & Co.
Von der Hand zu weisen ist allerdings auch nicht: 2023 war das Jahr, in dem die Werbung geboomt hat wie nie zuvor - und zwar bei Streaminganbietern. Zwar setzen einige Anbieter, darunter auch die deutschen Dienste Joyn und RTL+, schon lange auf eine mindestens teilweise Werbefinanzierung, doch das marktprägende Netflix gewöhnte seine Kundschaft über Jahre daran, dass Streaming mit Werbefreiheit einher geht und sich stattdessen durch Abo-Einnahmen finanziert. Doch in jüngerer Vergangenheit gab es allerorts Kehrtwenden zu bestaunen.
Angefangen hat es bei Netflix, das angesichts einer Abo-Wachstumsdelle im vergangenen Jahr geglaubte Sicherheiten über Bord warf und sich der Werbung öffnete. Und das lief ziemlich gut: Auch dank der Werbung ist Netflix längst wieder zurück auf der Straße des Wachstums und sieht in dem Bereich große Möglichkeiten, um weiter zu wachsen. Dem Marktführer sind viele weitere Dienste gefolgt: Disney+ bietet seit wenigen Wochen in Deutschland ebenfalls ein Abo mit Werbung an, Amazon hat für seinen Dienst Prime Video das gleiche für 2024 angekündigt.
Für die Streaminganbieter ist die Werbung gleich doppelt attraktiv: Sie öffnen sich damit einem potenziell milliardenschweren Markt an Werbeeinnahmen und können obendrein günstigere Einstiegs-Abos anbieten, was wiederum weitere Kundenschichten erschließt. Und obendrein liegt der Umsatz pro Kunde bei den Werbetarifen teils höher liegt als bei den bisherigen Einstiegsangeboten ohne Werbung. In Deutschland hat Netflix sein werbefreies Basis-Abo bereits zugunsten des Werbe-Tarifs eingestellt. Die günstigste werbefreie Variante kostet inzwischen 12,99 Euro - statt zuvor 7,99 Euro.
Zurück in die Zukunft mit linearen Sendern
Und dann gab's noch eine etwas überraschende Renaissance linearer Angebote. Sogenannte FAST-Channels sind in diesem Jahr wie Pilze aus dem Boden geschossen. Das sind 24/7-Livestream, auf denen es meist nur eine Sendung oder Formate rund um einen Themenbereich zu sehen gibt, finanziert durch Werbung. ProSiebenSat.1 hat auf Joyn gleich eine ganze Reihe dieser Kanäle online, RTL Deutschland hat FAST-Sender angekündigt, Viacom ist mit Pluto TV hier schon lange im Geschäft. Und auch kleinere Anbieter wittern ihre Chance und so entsteht FAST-Channel um FAST-Channel, sodass man sich schon zwangsläufig fragen muss, wann diese Blase eigentlich platzt.
Es war also ein ereignisreiches Jahr und schon jetzt steht fest, dass die Branche auch 2024 alle mit größter Spannung auf die weiteren Entwicklung blicken wird. Erholt sich der TV-Werbemarkt tatsächlich wieder - oder muss man sich auf dem deutlich gesunkenen Niveau einrichten? Wie sehr wird der immer größere Einstieg der Streamer in die Werbevermarkung den klassischen Sendern schaden? Und generieren FAST-Channel wirklich eine solch hohe Nutzung, dass sie für die Werbewirtschaft größere Relevanz erreichen?