Als die Führungskräfte des französischen Medienmultis Vivendi Ende September zu einer neu eingeführten internen Veranstaltung namens "Galaxy Show" zusammentrafen, bekamen sie einen Eindruck davon, wie vielfältig ihr Reich geworden ist. Vor dem Hintergrund der in Frankreich stattfindenden Rugby-WM, deren offizieller Sponsor der Milliardenkonzern ist, präsentierten die Verantwortlichen der Pay-TV-Plattform Canal+ ihr Live-Sport-Konzept sowie die bevorstehende Casting-Show "Au Micro", die den besten Nachwuchs-Sportkommentator finden soll. Die Werbeagentur Havas stellte derweil ihre Sportsponsoring-Angebote vor, der Spieleentwickler Gameloft sein E-Sports-Portfolio und die Verlagsgruppe Prisma Media ihre geplanten Magazine, Podcasts und Webseiten, die nächstes Jahr zu den Olympischen Sommerspielen in Paris erscheinen sollen.

Die Veranstaltung, die für mehr Vernetzung und Kooperation zwischen den weit verzweigten Vivendi-Töchtern sorgen soll, wird demnächst wohl noch dringender gebraucht. Mit der Übernahme des bislang konkurrierenden Medienkonzerns Lagardère, die nahezu abgeschlossen ist, macht Vivendi einen entscheidenden Wachstumssprung – von 38.000 auf 66.000 Angestellte und von rund 10 auf rund 17 Milliarden Euro Umsatz. Damit rücken die Franzosen der europäischen Nummer eins, Bertelsmann (20 Milliarden Euro Jahresumsatz), ein ganzes Stück näher.

Yannick Bolloré © Vivendi "Globaler Akteur": Yannick Bolloré
Die Transaktion stehe im Einklang mit "unserem strategischen Ziel der Internationalisierung unserer Aktivitäten und unserer Entschlossenheit, ein führender globaler Akteur im Bereich Kultur und Unterhaltung zu sein", gab der Aufsichtsratsvorsitzende und Familiengesellschafter Yannick Bolloré zu Protokoll, der auf dieses Ziel jahrelang hingearbeitet hatte. Anfang Juni hatte die EU-Kommission grünes Licht für den Zusammenschluss gegeben – mit zwei Auflagen: der Veräußerung des Buchverlags Editis und der Zeitschrift "Gala" aus dem Prisma-Portfolio. Beide sind inzwischen so gut wie verkauft: das People-Magazin an den Verlag der Tageszeitung "Le Figaro" und Editis an den tschechischen Investor Daniel Kretinsky, der 2018 schon bei "Le Monde" eingestiegen war. Die finalen Abschlüsse werden noch im Oktober erwartet.

Mit Lagardère kommt neben dem Verlag Hachette, Convenience-Handelsketten wie Relay, Radiosendern wie Europe 1 und Zeitschriften wie dem "Gala"-Konkurrenten "Paris Match" auch die traditionsreiche Sonntagszeitung "Le Journal du Dimanche" ins Vivendi-Imperium. Dort streikte die Redaktion im Sommer über mehrere Wochen, um gegen die Berufung eines neuen Chefredakteurs zu protestieren: Der 35-jährige, erzkonservative Geoffroy Lejeune hatte zuvor das Magazin "Valeurs Actuelles" geleitet, das inzwischen als rechtsextrem eingestuft wird. Obwohl für die Personalie offiziell noch Lagardère verantwortlich war, bringen die meisten Branchenbeobachter sie bereits mit Konzernpatriarch Vincent Bolloré in Verbindung, dem Mehrheitseigner und langjährigen Architekten der Vivendi-Expansion, der das Tagesgeschäft zwar 2018 an seinen Sohn übergeben hatte, hinter den Kulissen aber immer noch viele Strippen zieht.

Vivendi auf einen Blick

  • Vorjahresumsatz: 9,6 Milliarden Euro

  • Marktkapitalisierung: 8,8 Milliarden Euro (Stand: 11. Oktober)

  • Vorstand: Arnaud de Puyfontaine (CEO), Frédéric Crépin (Legal), François Laroze (CFO), Claire Léost (Prisma Media), Céline Merle-Béral (HR), Maxime Saada (Canal+ Group)

  • Gesellschafter: Bolloré Group (29,5%), Streubesitz (59%), Mitarbeiter (3%)

Die "Süddeutsche Zeitung" titulierte Bolloré senior dieser Tage als "rechtsidentitären Milliardär" im politischen Kampf gegen die Macron-Regierung und zeichnete nach, wie er offenbar auch beim zu Canal+ gehörenden Nachrichtensender CNews und bei Europe 1 das Führungspersonal austauschen ließ: "Er bespielt und befeuert den Markt der extremen Rechten in Frankreich, er will sie an die Macht befördern", so das "SZ"-Fazit. Beim "Journal du Dimanche" haben unterdessen 95 Prozent der bisherigen Redaktion gekündigt.

In wirtschaftlicher Hinsicht bedeutet die Lagardère-Übernahme, dass die bisherige Dominanz des Film- und Fernsehgeschäfts bei Vivendi aufgeweicht wird. Im Geschäftsjahr 2022 steuerte die Canal+ Group mit ihren Sendern und Produktionsfirmen noch 61 Prozent des Konzernumsatzes – oder 5,9 Milliarden Euro – sowie 59 Prozent des Betriebsergebnisses – oder 515 Millionen Euro – bei. Im neuen Gesamtverbund wären das nur noch 35 Prozent vom Umsatz sowie 39 Prozent vom Ergebnis. Innerhalb der Canal+ Group wurden 3,1 Milliarden Euro im französischen Pay- und Free-TV-Geschäft erwirtschaftet, weitere 2,3 Milliarden mit den ausländischen Sendern sowie 383 Millionen mit der Produktions- und Vertriebstochter Studiocanal. Letztere musste als einzige ein dickes Minus verkraften: Fast ein Viertel des Vorjahresumsatzes ging 2022 verloren, weil die größte TV-Serie der Gruppe, "War of the Worlds", nach drei Staffeln endete und weil mehrere Kinofilme auf 2023 verschoben wurden.

Das heißt freilich nicht, dass der Konzern bei Studiocanal auf die Bremse treten würde. Im Gegenteil: Dieses Jahr wurde die Präsenz im britischen Produktionsmarkt mit zwei neuen Beteiligungen ausgeweitet. Studiocanal investierte in Strong Film & Television, die Firma von "Broadchurch"- und "Liar"-Regisseur James Strong, sowie in Birdie Pictures, eine Neugründung des früheren Endemol-Shine-Managers und "The Last Kingdom"-Produzenten Phil Temple. Erste gemeinsame Serienprojekte in Entwicklung sind der Jugendknast-Thriller "The Out" mit Strong und die True-Crime-Bestsellerverfilmung "The Mysterious Case of the Alperton Angels" mit Birdie. 

Hierzulande wird seit Ende Juli die erste Serie der 2022 umfirmierten deutschen Tochter Studiocanal Series gedreht, das achtteilige Sozialutopie-Drama "A Better Place" für ARD und Canal+ (DWDL.de berichtete). Die ebenfalls in München angesiedelte Schwesterfirma Lailaps Films ("Wild Republic") feiert Mitte Oktober Drehschluss für ihren SWR-Zweiteiler "Spuren – Der Fall Stefanie B.", in dem Regisseur Stefan Krohmer die Geschichte eines Sexualmords in der badischen Provinz erzählt.

Europas Studios im Umbruch – bisher erschienen