Für Film- und Fernsehproduzenten sind es herausfordernde Zeiten, wenn die Konjunktur abrauscht, während Kosten und Zinsen nach oben knallen. Die Finanzierung des nächsten ambitionierten Projekts steht plötzlich in den Sternen; das Unternehmen profitabel zu halten, wird zum Kampf. Wenn Krisenzeiten überhaupt etwas Gutes haben, dann wohl das: Man ist gezwungen, Kapital aus neuen, zuvor ungeahnten Quellen zu suchen – und wird mitunter fündig. Denn zur wirtschaftlichen Wahrheit gehört auch, dass nach wie vor enorme Mengen von Private Equity zirkulieren.

Es entspricht also durchaus einer gewissen Logik, wenn amerikanische Investoren angesichts der gegenwärtigen Schwäche traditioneller Auftraggeber und angesichts der hohen Marktsättigung in den USA ihre Geldströme in Richtung europäischer Indie-Produzenten leiten. Über 50 Millionen Dollar Startkapital sind auf diese Weise bei der frisch formierten, fondsfinanzierten Vuelta Group mit Sitz in Irland gelandet, die von US-Branchenblättern schon "the new European Super-Indie" genannt wird.

Das scheint gar nicht mal so übertrieben, wenn man sieht, was Vuelta in den letzten Monaten alles zusammengekauft hat: In Deutschland wurde das Münchner Produktions- und Vertriebshaus SquareOne ("Euer Ehren", "Trautmann") übernommen, in Frankreich die Filmfirmen Pan Cinema ("Largo Winch") und Playtime ("Mein fabelhaftes Verbrechen"), in Dänemark Scanbox Entertainment ("Bronson") und in Italien Indiana Production ("Made in Italy"). Weitere Akquisitionen in Spanien, Benelux und Irland stehen nach Angaben des Unternehmens kurz bevor.

David Atlan-Jackson, Jerome Levy © Vuelta Group Auf Einkaufstour: Die Franzosen Jérôme Levy und David Atlan-Jackson (v.r.) führen Vuelta
Treibende Kraft hinter Vuelta ist der in New York lebende Franzose Jérôme Levy, ein Mann mit Medien- und Finanzerfahrung, der einst für Goldman Sachs und den Pay-TV-Anbieter Canal+ arbeitete und zuletzt den US-Verlag Archie Comics ("Sabrina", "Riverdale") leitete. Sein Ziel sei eine "multiterritoriale Indie-Gruppe mit Unternehmern, die ähnliche Ambitionen, Werte und Visionen" teilten, gab Levy Ende September gegenüber "Variety" zu Protokoll. Die bisherigen Gesellschafter der übernommenen Produktions- und Vertriebsfirmen werden je zur Hälfte in Cash und in Anteilen an der Vuelta Group bezahlt. Sie sollen ihr jeweiliges lokales Geschäft weiterführen und als Partner langfristig an Bord bleiben. Sowohl beim Erwerb von Filmrechten als auch beim Aufstellen europäischer Koproduktionen können sie künftig größere Sprünge machen. SquareOne-Chef Al Munteanu etwa begründete den Schritt "nach 20 Jahren als unabhängiger Unternehmer" gegenüber "Blickpunkt Film" mit dem "sich konsolidierenden Markt", in dem die Neuaufstellung ein "Garant für weiteres, schnelleres Wachstum" sei. Der neue Kapitalfluss soll es den Tochterfirmen ermöglichen, in einem früheren Stadium und aggressiver als bisher in Film- und Serienprojekte zu investieren, so dass mehr Rechte im Schoß der Gruppe landen.

Anders als ebenfalls auf Private Equity gestützte Produktionsgruppen wie Banijay, Leonine oder Mediawan will Vuelta keine große Holding und auch keinen zentralen Vertrieb aufbauen, sondern die vorhandenen operativen Strukturen der Töchter nutzen. Neben Levy als Chairman sitzen der französische Filmproduzent David Atlan-Jackson als Chief Content Officer und der frühere Fremantle-Finanzchef Allen Duffy als CFO im Vorstand. Dem Beirat der Gruppe gehören Munteanu, Playtime-Geschäftsführer Sébastien Beffa und Scanbox-CEO Thor Sigurjonsson an.

Vuelta Group auf einen Blick

  • Gründung: Mai 2022

  • Fondsvolumen: über 50 Millionen US-Dollar

  • Vorstand: Jérôme Levy (Chairman), David Atlan-Jackson (Content), Allen Duffy (CFO)

  • Akquisition in Deutschland: SquareOne Entertainment (Umsatz 2021: 30 Millionen Euro)

Als Ende September bekannt wurde, dass die italienischen Produzenten Fabrizio Donvito und Marco Cohen ihre 2005 gegründete Firma Indiana an Vuelta verkaufen, zeigte sich einmal mehr, wie hart es gerade in Italien für unabhängige Produktionshäuser geworden ist. Der dortige Markt hat in den letzten Jahren eine massive Konsolidierung durch Investitionen großer internationaler Gruppen wie Fremantle, ITV Studios oder NBC Universal erfahren. Indiana wiederum, das mit SquareOne als Koproduzent bereits bei der italienischen Version von "Your Honor" und der Sky-Serie "L'Ora – Worte gegen Waffen" zusammengearbeitet hat, schließt sich der Gruppe in seinem wohl produktivsten Jahr an. Im Wettbewerb der Filmfestspiele von Venedig fand die Romanverfilmung "Lubo" mit Franz Rogowski in der Hauptrolle große Beachtung. Am 3. November startet bei Sky das mit Pantaleon Films koproduzierte Flüchtlingsdrama "Unwanted", bei dem Oliver Hirschbiegel Regie führte und Marco Bocci und Jessica Schwarz die Hauptrollen spielen. Für Netflix wurde gerade die opulente Historienserie "The Leopard" abgedreht.

Mit der Vuelta Group, so Donvito, habe Indiana sein "langfristiges Ziel" erreicht, ein europäisches Produktions- und Vertriebsnetzwerk aufzubauen, dessen Wachstum man nun "gemeinschaftlich an der Seite jener Partner" pflege, die "von Beginn an ein Teil von Indiana waren". Benedetto Habib, weiterer Partner und Geschäftsführer von Indiana, erläuterte gegenüber "Variety" die Besonderheit des Deals: "Es handelt sich nicht um eine klassische Übernahme, weil jeder von uns einen beträchtlichen Teil dessen, was wir erhalten haben, ins heimische Unternehmen investiert. Andererseits geben wir die Gesamtheit unserer Anteile ab. In gewisser Weise sind wir also weiterhin Unternehmer, allerdings in einem größeren Rahmen." Das klingt nach einem spannenden Modell für herausfordernde Zeiten.

Europas Studios im Umbruch – bisher erschienen