Als DWDL.de im vergangenen Jahr groß über Viaplay berichtete, waren die Vorzeichen noch andere. Netflix kam damals kurzzeitig ins Trudeln, der nordische Medienkonzern befand sich aber noch voll auf Wachstumskurs und bemühte sich um Abgrenzung zum großen US-Streamer. Kurz darauf stellte sich allerdings heraus, dass es sich bei Netflix allenfalls um eine kleine Delle in der Wachstumsphase handelte. Und Viaplay? Das Unternehmen steht heute schlechter da als jemals zuvor - auch ein Verkauf scheint möglich, potenzielle Übernahmekandidaten brachten sich zuletzt schon in Stellung. 

Die ersten dunklen Wolken über dem einstigen Vorzeige-Medienkonzern zogen bereits Ende des vergangenen Jahres auf. Den eigentlich für 2023 angekündigten Deutschland-Start verschob man ohne genaue Angabe von Gründen, der damalige CEO Anders Jensen sah Viaplay da aber noch auf dem richtigen Weg. Später, im April 2023, verkündete Viaplay eine Kooperation mit der Telekom, durch die die Inhalte des Dienstes hierzulande zu sehen sind. Danach kamen die Einschläge schnell näher. 

Im Juni senkte man die Prognose für das laufende Jahr sehr deutlich: Sowohl in der Heimat als auch international lief es für Viaplay deutlich schlechter, als man das erwartet hatte. So konnte man sich einerseits dem allgemeinen Abschwung an den Werbemärkten nicht entziehen, auch für die Viaplay-Sender im Norden Europas ging es hier teils steil bergab. Darüber hinaus verzeichnete man weniger Abo-Abschlüsse, weil die Kundinnen und Kunden wegen der galoppierenden Inflation stärker auf ihre Ausgaben achteten. In Skandinavien verzeichnete man im zweiten Quartal gegenüber dem Vorquartal sogar einen recht deutlichen Rückgang an Abonnentinnen und Abonnenten. Und auch an internationale Partner wurde man die eigenen Inhalte nicht mehr so gut los wie noch in der Vergangenheit. Und zu allem Übel musste die Geschäftsführung auch noch einräumen, dass das eingeschlagene Sparprogramm nicht so greife, wie man sich das erhofft hatte. In dem Zuge kassierte man auch gleich die mittelfristige Prognose bis 2025. 

In der Folge nahm Viaplay-CEO Anders Jensen seinen Hut, er hatte den Konzern in den Jahren davor auf maximales Wachstum getrimmt und den Weg zum internationalen Streamer geebnet. Er hatte auch entscheidenden Anteil am Image von Viaplay, das als agiler Gegenspieler von Netflix & Co. wahrgenommen wurde. Für ihn war es auch persönlich eine Niederlage. Neuer CEO des Unternehmens ist seither Jorgen Madsen Lindemann. 

2x Prognose gesenkt und ein radikaler Strategieschwenk

Jorgen Madsen Lindemann © Viaplay Jorgen Madsen Lindemann
Im Juli dieses Jahres senkte man den Ausblick für 2023 noch einmal sehr deutlich und führte eine Kehrtwende durch, wie es sie in der Medienbranche nicht jeden Tag gibt. Das bis dahin auf eine internationale Expansion getrimmte Unternehmen kündigte unter Lindemann an, sich künftig auf die Hauptmärkte in Skandinavien und den Niederlanden zu konzentrieren. Ganz offen sprach man von einem Rückzug aus internationalen Märkten wie den USA, Großbritannien, Polen und den baltischen Ländern. Die eigenen Inhalte will man künftig verstärkt mit Partner in verschiedenen Ländern anbieten - so wie hierzulande mit der Telekom. Im Rahmen eines neuen Kostensenkungsprogramms mussten zudem 25 Prozent der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter gehen. Das geschehe "im Interesse der Zukunft unseres Unternehmens". Viel deutlicher hätte Lindemann nicht sagen können, wie es um Viaplay steht. Von den großspurigen Ankündigungen der Vergangenheit hat man sich mittlerweile längst verabschiedet. 

Ob Viaplay damit zu retten ist, ist aber nach wie vor unklar. So leitete man auch die strategische Überprüfung des gesamten Unternehmens ein. Man wolle alle Optionen prüfen, auch einen Verkauf, ließ der Konzern verlauten. Mit Kreditgebern musste man sprechen, um die Liquidität aufrechtzuerhalten, außerdem prüfte man andere Geldbeschaffungsmaßnahmen. "Die getätigten Content-Investitionen zahlen sich nicht alle aus", erklärte Viaplay damals recht nüchtern. Und das hatte freilich auch Auswirkungen auf viele Produzentinnen und Produzenten, die bis dahin für das Unternehmen Inhalte lieferten. Von zuletzt rund 50 fiktionalen Originals will man zurück auf nur noch 10 pro Jahr. 

Viaplay auf einen Blick

  • Vorjahresumsatz: 1,35 Milliarden Euro (+23,9 Prozent)

  • Marktkapitalisierung: 200 Millionen Euro (Stand: 6. Oktober)

  • Vorstand: Jørgen Madsen Lindemann (CEO), Enrique Patrickson (CFO), My Perrone (General Counsel), Matthew Hooper (Corporate Affairs), Vanda Rapti (Viaplay Select & Distribution), Peter Nørrelund (Chief Sports & Business Development Officer) und einige mehr.

  • Gesellschafter: Canal+ (12%), Schibsted (10,1%), Nordea Funds (8,7%), PPF (6,3%), Streubesitz

Für das laufende Jahr geht man inzwischen von einem Verlust von bis zu 90 Millionen Euro aus. Getrieben ist das vor allem durch das schwache internationale Geschäft, alleine hier fallen wohl mindestens 120 Millionen Euro Verlust an. Das kann man in seinen Hauptmärkten mittlerweile nicht mehr auffangen, in Skandinavien geht man für 2023 nur noch von maximal 50 Millionen Euro Gewinn aus - vielleicht auch weniger. Ursprünglich hatte man mit einem Wert gerechnet, der mindestens doppelt so hoch war. Für das kommende Jahr hofft man auf eine schwarze Null, sicher sein kann man sich da aber noch nicht. Für 2023 erwartet man mittlerweile auch nur noch rund 7 Millionen neue Streaming-Abos, nachdem man ursprünglich mit 9 Millionen gerechnet hatte. 

Neben den offensichtlichen, strategischen Herausforderungen, vor denen Viaplay steht, machte der Konzern in den vergangenen Monaten auch mit einigen Personalien von sich reden. Zuallererst natürlich vom Aus des langjährigen CEOs Anders Jensen. Aber auch die Personalie Filippa Wallestam, einige Jahre verantwortlich für die inhaltliche Ausrichtung des Konzerns, sorgte für Schlagzeilen. Wallestam wurde im Mai zunächst noch befördert und sollte neben ihrem bisherigen Job auch die Position des Chief Commercial Officers übernehmen. Zwei Monate später wurde schließlich auch sie im Rahmen des groß angekündigten Sparprogramms - und unter dem neuen Chef - abgesägt.

Auch personell kehrte lange keine Ruhe ein

Noch etwas skurriler ist die Personalie Peter Nørrelund, der bis Ende März als EVP and Chief Sports Officer bei Viaplay arbeitete. Er verabschiedete sich zunächst nach 20 Jahren im Unternehmen, Viaplay machte Cecilia Gave zu seiner Nachfolgerin. Im Juni kehrte Nørrelund unter Neu-Boss Lindemann wieder auf seinen Posten zurück - und Gave musste gehen. Im Board of Directors war der Konzern vom Pech verfolgt: Mitte Juli wurde bekannt, dass sich die Vorsitzende des Gremiums, Pernille Erenbjerg, aus gesundheitlichen Gründen zurückziehen muss. Simon Duffy ist seither Interims-Vorsitzender - und die Suche nach einer dauerhaften Lösung hält an. Erst Ende September wurde ein Nominierungsausschuss für die Position einberufen. 

Angesichts der scheinbar nicht enden wollenden Hiobsbotschaften hat auch der Aktienkurs von Viaplay spürbar gelitten. Im Jahresvergleich hat die Aktie fast 90 Prozent an Wert verloren - mit einem großen Einbruch im Juni dieses Jahres, als man erstmals die Ziele für 2023 kassierte und einen neuen CEO installierte. Da dämmerte es auch den Analysten - hier lauern Gefahren. 

Übernahmekandidaten bringen sich in Stellung

Der eingebrochene Aktienkurs hat aber auch die Tür geöffnet für Unternehmen, die Viaplay möglicherweise übernehmen könnten. Und an Interessenten mangelt es offenbar nicht: Bereits im Juli stieg Canal+ mit 12 Prozent bei Viaplay ein. Wenige Wochen später folgte die tschechische PPF-Gruppe, die auch bei ProSiebenSat.1 an Bord ist. An Viaplay hält PPF rund 6,3 Prozent. Und dann wäre da auch noch Schibsted, der norwegische Medien- und Onlinehandels-Konzern, der sich erst Mitte September rund 10 Prozent der Viaplay-Anteile sicherte. Hier haben sich also drei bekannte Konzerne in Stellung gebracht. Ob sie an das langfristige Potenzial von Viaplay glauben oder auf schnelles Geld hoffen - unklar. 

"Es ist klar, dass wir viel zu tun und viel zu gewinnen haben. Genau darauf konzentrieren wir uns", sagte Viaplay-CEO Lindemann bei der Überbringung der zahlreichen Hiobsbotschaften im Juli dieses Jahres. Und "viel zu tun" ist vielleicht die Untertreibung des Jahres. Viele Medienmanagerinnen und Medienmanager stehen aktuell vor großen Herausforderungen. Bei Viaplay liegen die Probleme so offen wie bei vielleicht keinem anderen Konzern. Und er hat natürlich recht, wenn er sagt, es gebe viel zu gewinnen. Es ist nur so: Es gibt auch noch ziemlich viel zu verlieren. Viaplay kämpft um sein Überleben. 

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