Christian Franckenstein muss ein Stein vom Herzen gefallen sein, als er die Nachricht aus Köln erhielt: Der Deal ist durch. Nach DWDL.de-Informationen hat der WDR-Verwaltungsrat in seiner jüngsten Sitzung die umstrittene Vermietung von Studiokapazitäten des WDR an Bavaria Studios durchgewunken. Die Tochter des öffentlich-rechtlichen Bavaria-Film-Konzerns, die bisher zwölf Studios im Münchner Süden betreibt, übernimmt nun auch Teile des Produktionsgeländes im nordwestlichen Kölner Vorort Bocklemünd, wo einst die "Lindenstraße" entstand.
Seinem indirekten Hauptgesellschafter WDR hilft Franckenstein mit der Expansion aus der Patsche: Dessen geringe Eigennutzung des großen Areals ist auf Dauer unwirtschaftlich und kaum mit dem Streben nach mehr Sparsamkeit und Effizienz vereinbar. Dennoch könnte der Schritt den Öffentlich-Rechtlichen einen Bärendienst erweisen. Heikel ist die Konstruktion aus zwei Gründen: Ein kommerzieller Ableger des beitragsfinanzierten Rundfunks greift mit Hilfe von Kapazitäten einer Anstalt in den Markt der ansonsten privatwirtschaftlichen Kölner Studiobetreiber ein. Und es scheint fraglich, ob sich die nötigen Investitionen in den Bestand überhaupt refinanzieren lassen.
Steht man an der Spitze der Bavaria Film, hat man solche Fallstricke immer mitzudenken. Von Franckenstein wird einerseits erwartet, dass er Dividenden an die beteiligten Tochterbetriebe der ARD-Anstalten ausschüttet, um letztlich die Budgets von WDR, BR, SWR und MDR zu entlasten. Voriges Jahr flossen insgesamt 6,2 Millionen Euro an alle Gesellschafter des Konzerns. Andererseits soll möglichst jeder Misston vermieden werden, der den öffentlich-rechtlichen Produktionskosmos als gefräßig und aufgebläht dastehen lässt. Dass Bavaria Studios als erste Fremdproduktion ausgerechnet "Promi Big Brother" in die alte "Lindenstraße" holt und dem Vernehmen nach die Studiopreise der lokalen Konkurrenz unterbietet, passt da nicht so gut ins Bild.
Dabei bemüht Franckenstein sich an vielen Stellen um Verschlankung seines Apparats, auch und gerade im Studio- und Technikbetrieb. Das ist bitter nötig, weil Umsatz und Ertrag der Bavaria rückläufig sind. Im Geschäftsjahr 2022/23, das Ende Januar auslief, stagnierten die Umsätze bei 306 Millionen Euro, während das Betriebsergebnis um 30 Prozent auf 13 Millionen Euro einbrach. Als Franckenstein und seine Finanzchefin Julia Reuter – im November von RTL zur Bavaria gewechselt – die Zahlen Anfang Juli vorstellten, sprachen sie von einer zurückhaltenden Auftragsvergabe bei fast allen Auftraggebern, die im laufenden Geschäftsjahr zu sinkenden Erlösen und weiter sinkenden Deckungsbeiträgen führen werde. "Daher müssen wir konzernweit die Fixkosten senken", ließ sich das Geschäftsführungsduo zitieren. "In diesem Zusammenhang sind bei der Bavaria Film GmbH auf Holding-Ebene Einschnitte im Personalbereich unvermeidbar." Man wolle den Stellenabbau sozialverträglich gestalten und bis Ende 2024 abschließen.
Dass dabei auch auf eine "bereits eingeleitete, umfassende Transformation" und die "Abschaffung von Doppelstrukturen" verwiesen wurde, waren dürre Worte für teils komplexe Prozesse. So übernahm die Bavaria im Januar von der SR-Tochter Werbefunk Saar deren Anteile am langjährigen Joint Venture ProSaar, das einst die Saarbrücker "Tatorte" produziert hatte, und verschmolz es mit der Bavaria Film Content. Eine bislang eigenständige Immobilientochter ging im Juli in der Konzernholding auf. Und bei Bavaria Studios kam Anfang des Jahres eine langwierige Umstrukturierung zum Abschluss, in deren Zuge mehrere Tochterfirmen verschmolzen, der Studiobetrieb aus der alten Dachgesellschaft ausgegliedert und in eine umfirmierte Tochter eingebracht wurde.
Als Resultat liegt das komplette operative Studiogeschäft einschließlich Personal und Kulissenbau nun in einem einzigen statt zuvor drei Betrieben – der neuen Bavaria Studios GmbH, die von Friedhelm Bixschlag geführt wird. Darüber steht die Bavaria Studios Holding, an der Bavaria Film (62,4 Prozent), ZDF (25,1 Prozent) und LfA-Förderbank Bayern (12,5 Prozent) beteiligt sind. Deren Aufsichtsratsvorsitz hat im Mai der langjährige ProSiebenSat.1-Vize und heutige Finanzinvestor Conrad Albert übernommen. Ein deutlicher Schritt in Richtung senderunabhängigere Kontrolle, nachdem die Produktions- und Technikdirektorin des BR, Birgit Spanner-Ulmer, das Amt im Januar niedergelegt hatte. Eine ähnliche Tendenz vollzieht sich auch im Aufsichtsrat der Bavaria Film selbst: Zwar bleibt WDR-Intendant Tom Buhrow Vorsitzender des Gremiums, doch seine Vizes sind seit Mitte Juli nicht mehr der BR-Verwaltungsdirektor und die MDR-Intendantin, sondern LfA-Chef Bernhard Schwab und ein Sicherheitsingenieur als Arbeitnehmervertreter.
Da die Bavaria Film zuletzt mehr als drei Viertel ihrer Umsätze aus der Inhalteproduktion und nur noch ein gutes Zehntel aus dem Geschäftsfeld Studios & Services bezog, greifen die gleichen Mechanismen wie bei den anderen Produktionsriesen: eine ungute Gemengelage aus Preisexplosion und Kundenzurückhaltung, die profitables Produzieren, vor allem in der Fiction, immer schwieriger macht. Die 51-Prozent-Tochter Bavaria Fiction, die allein rund ein Drittel zum Konzernumsatz beisteuert, dürfte ihr breites Portfolio an TV-Klassikern noch nie so fest umarmt haben wie heute. "Sturm der Liebe", "Die Rosenheim-Cops", "SOKO Stuttgart", "Inga Lindström" und diverse "Tatorte" sind ausweislich des Geschäftsberichts seit Jahren die Hauptumsatzträger.
In den vergangenen fünf Jahren hatte auch "Das Boot" als mit Abstand aufwendigstes High-End-Projekt hohe Umsatzrelevanz. Die Ausstrahlung der vierten Staffel, die im Sommer 2022 gedreht wurde, beginnt am 23. September. Vom Ende der fiktionalen Eigenproduktionen bei Sky Deutschland ist Bavaria Fiction also doppelt betroffen: Einen neuen Partner für eine mögliche fünfte Staffel zu finden, ist gerade in diesen Zeiten keine leichte Aufgabe. Und als Abnehmer für neue Projekte fällt Sky ebenso weg. Im vorigen Jahr notierte der Bavaria-Fiction-Geschäftsbericht den Pay-TV-Anbieter noch an erster Stelle jener Partner, für die man "attraktive Formate" konzipiere, um sich "angesichts der veränderten Marktbedingungen (...) breiter aufzustellen".
Das funktioniert nun zumindest noch mit Dokumentationen, die Sky bis auf Weiteres fortführt. In der jungen Doku-Unit von Bavaria Fiction, die der frühere A+E-Networks-Manager Emanuel Rotstein seit 2022 aufbaut, entsteht derzeit der True-Crime-Film "Der Parkhausmord", den Sky 2024 herausbringen will. Zusammen mit der "Giovanni Zarrella Show" oder dem ZDF-Quiz "Da kommst du nie drauf!" bei Bavaria Entertainment sowie den Kabel-Eins-"Trucker Babes" oder dem DMAX-"Camping Clan" bei Story House Productions soll er an dem bereits im Vorjahr erklärten Ziel mitwirken, den "Anteil des nicht-fiktionalen Programmanteils am Umsatz des GB 'Content' von derzeit rd. 10 % auf mindestens 25 % zu steigern". Dass der Konzern dieselbe Formulierung ein Jahr später wortgleich in seinem Geschäftsbericht wiederholte, deutet wohl darauf hin, dass die Non-Fiction noch einen Weg vor sich hat.