War's das jetzt also mit dem Fernsehen? Als Bob Iger dem amerikanischen Nachrichtenkanal CNBC in der vergangenen Woche ein Interview gab, hätte die idyllische Atmosphäre, in der der Disney-Chef die Fragen beantwortete, beinahe über die Sprengkraft seiner Aussagen hinweggetäuscht. "Das Geschäftsmodell des linearen Fernsehens ist kaputt", erklärte er und führte aus, dass die klassischen TV-Sender "vielleicht nicht das Herzstück von Disney" seien.

Das sind bemerkenswerte Sätze – erst recht vor dem Hintergrund, dass Disney mit ABC einen der größten amerikanischen TV-Networks betreibt. Zwei Monate nach dem 80. Geburtstag eben jenes Senders, der verlässlich Hits wie "Denver Clan", "MacGyver", "Desperate Houswives" oder "Grey's Anatomy" lieferte, scheint es, als habe der mächtige Konzernchef den Glauben an das Medium verloren, das die Nation über Dekaden hinweg gemeinschaftlich versammelte. Es sei nicht sicher, dass das klassische TV-Geschäft auf Dauer Teil von Disney bleiben werde, orakelte der im vorigen Jahr aus dem Ruhestand zurückgeholte TV-Manager im CNBC-Interview.

Tatsächlich zeigt sich in den USA noch deutlicher als in Deutschland, wie rasant das lineare Fernsehen zugunsten des Streamings an Zugkraft verliert. Doch während mit den sinkenden Reichweiten rückläufige Werbeeinnahmen einhergehen, erweist sich auch das Streaming-Geschäftsmodell nicht als Selbstläufer. Zwar konnte Disney+ zuletzt verstärkt werbefinanzierte Abos verbuchen; unterm Strich jedoch schreibt der Dienst von Beginn an rote Zahlen und Ende vergangenen Jahres erstmals seit dem Pandemie-Jahr 2020 ein Minus bei den Abonnements hinnehmen müssen.

Bob Iger bei CNBC © CNBC Disney-CEO Bob Iger im Interview mit CNBC.

Und in Deutschland? Sicher, die Märkte und Voraussetzungen sind unterschiedlich, doch Igers Worte rütteln auch die hiesige Privatsender-Branche auf, die im zweiten Quartal erneut mit einem strauchelnden Werbegeschäft zu kämpfen hat und gleichzeitig ebenso wie die Konzerne in Übersee bemüht ist, einen Spagat hinzubekommen zwischen dem in die Jahre gekommenen Publikum der linearen Sender und dem Shift der jungen Zielgruppe hin zum Streaming, wo namhafte internationale Konkurrenten lauern.

Ganz so pessimistisch wie der Disney-Boss klingt Bert Habets an diesem Montag allerdings nicht. Von DWDL.de auf Bob Igers Aussagen zum "kaputten Geschäftsmodell" des linearen Fernsehens angesprochen, erklärte Habets: "TV ist immer noch das meistgenutzte Medium mit der größten Reichweite." Klar sei aber auch, dass sich das Mediennutzungsverhalten ändere und das Publikum die Inhalte "zunehmend anders" konsumieren. "Interessanterweise erfolgt der größte Teil der Nutzung dabei weiterhin auf dem Big Screen, also auf dem TV-Gerät", so Habets. "Fernsehen verändert sich, aber es hat immer noch eine große Zukunft."

Thomas Rabe © Bertelsmann Thomas Rabe
Thomas Rabe wollte sich zu Igers Ausführungen indes nicht äußern. In Luxemburg verweist man aber auf ein virtuelles Management-Meeting, in dem sich der RTL-Group-CEO vor wenigen Wochen zur zukünftigen Strategie in die Karten blicken ließ. Trotz aller Herausforderungen gab sich Rabe dort betont optimistisch: Die Werbemärkte würden sich erholen, die Gesamtzuschauerzahl bei linearen und non-linearen Videos steige und die RTL Group habe alternative Wege zur Skalierung und Rentabilität ihrer Streamingdienste definiert. "Was wir angesichts dieser Marktherausforderungen nicht tun werden, ist, unsere Investitionen in die Transformation unseres Geschäfts zu verlangsamen oder zu reduzieren", versprach Rabe.

Der Streamingdienst RTL+ sei zugleich "auf dem besten Weg, die Nummer drei in der deutschen Streaming-Landschaft zu werden", führte zugleich Henning Nieslony, Chief Streaming Officer bei RTL Deutschland, auf dem Management-Meeting aus. "Im Gegensatz zu den globalen Giganten hat RTL+ in Deutschland noch großes Wachstum." Um die entsprechenden Inhalte soll sich Inga Leschek kümmern, die seit einigen Monaten in Köln als Programmgeschäftsführerin Inga Leschek fungiert. "In Deutschland ergänzen sich RTL und RTL+ perfekt", sagte sie. Durch die Fokussierung auf unterschiedliche Ziele – steigende Zuschauerzahlen in der Altersgruppe der 14- bis 59-Jährigen bei RTL und zahlende Abonnenten bei RTL+ - könnten lineare und Streaming-Angebote die gleichen Formate nutzen, um unterschiedliche Publikumsgruppen anzusprechen. "Unsere Superpower ist die Kombination der beiden Ausspielwege", betonte Leschek. "Letztlich ist es uns egal, wo wir unsere Zuschauer erreichen und wo sie ihre Lieblingssendungen sehen wollen, solange sie sie sehen und dafür sogar ein Abonnement bezahlen."

"Auf dem richtigen Weg"

An einem ähnlichen Spagat, wenn auch mit unterschiedlicher Ausgestaltung, versucht sich bekanntlich auch die Konkurrenz aus Unterföhring, wo man einst mit Maxdome schon auf Streaming setzte, als Netflix noch DVDs verschickte. Dass sich ProSiebenSat.1 diesen Vorteil nicht zunutze machen konnte und heute mit Joyn mühsam versucht, Boden auf dem hart umkämpften Streamingmarkt gutzumachen, gehört zu den bitteren Randnotizen der vergangenen Jahre.

Mehr denn je will ProSiebenSat.1 nun allerdings mit "The Voice Rap" oder dem "Quiz Taxi" dazu übergehen, bekannte Marken aus dem Linearen bei Joyn zu verlängern. ProSiebenSat.1-CEO Bert Habets verweist gegenüber DWDL.de auf die Streaming-Plattform, "die den Zugang zu einem umfangreichen und attraktiven Angebot an kostenlosen, werbefinanzierten Inhalten ermöglicht". Habets spricht auch vom "Erfolg bei unseren Werbekunden" und sieht sich auf dem richtigen Weg. "Mit Joyn haben wir also ein überzeugendes und zukunftsfähiges Angebot für unsere Zuschauer ebenso wie für unsere Werbekunden."

Aufs lineare Fernsehen alleine will man sich also auch in Köln oder Unterföhring nicht verlassen – vor dem Hintergrund sinkender Reichweiten wäre alles andere gewiss fahrlässig. Und doch möchten sich weder Bert Habets noch Thomas Rabe an der Schwarzmalerei ihres amerikanischen Kollegen beteiligen. Vielleicht kommt deren Umdenken den deutschen Medienhäusern sogar zugute: Dass die US-Konzerne vor dem Hintergrund eigener Sparmaßnahmen inzwischen wieder vermehrt dazu übergehen, die eigenen Inhalte im Ausland zu lizenzieren, dürfte hiesigen Angeboten perspektivisch eher helfen. Und zwar ganz gleich ob linear oder on demand.