Das Seriencamp hat in diesem Jahr mit Köln eine neue Heimat, nichts geändert hat sich aber daran, dass Macherinnen und Macher aus Deutschland im Rahmen von "Work in Progress" einen Einblick in neue, derzeit noch in Arbeit befindliche deutsche Serienproduktionen geben. Wie vielfältig die Serienlandschaft in den letzten Jahren geworden ist, zeigt dabei schon allein der Blick auf die große Bandbreite der Auftraggeber, für die die sieben diesmal vorgestellten Projekte produziert werden: ARD, Sky, ZDFneo, Netflix, Amazon, Paramount+ und ZDF.
Am ersten von zwei "Work in Progress"-Nachmittagen standen dabei Projekte im Mittelpunkt, die nicht auf einer klassischen IP als Vorlage basieren. Den Anfang machte dabei mit der ARD-Serie "Charité" keine neue Serie, die aber mit Staffel 4 Erstaunliches wagt. Vorweg geschickt: Die von UFA Fiction produzierte Serie verbindet mit der Seriencamp Conference eine spezielle Historie: 2016 war die erste Staffel dort als "Work in Progress" vorgestellt worden. Wer hätte damals geahnt, dass diesem Projekt wenige Monate später mit 8,3 Millionen Zuschauerinnen und Zuschauern der quotenstärkste Serienlaunch seit 25 Jahren gelingt.
Medizin der Zukunft, Weltuntergang, Putsch
© Jenrick Mielke
Mitten im Rohschnitt der vierten Staffel von "Charité" gaben Produzentin Henriette Lippold und MDR-Redakteur Adrian Paul nun erste Einblicke in ihren ungewöhnlichen Zeitsprung: Aus dem historischen Medical Drama, das bisher 1888, in den 1940ern und 1961 spielte, wird ein Near-Future-Szenario, angesiedelt im Jahr 2049. "Wir nehmen Science Fiction wortwörtlich", so Lippold, "und verknüpfen plausible medizinwissenschaftliche Zukunftsdebatten mit den für 'Charité' prägenden emotionalen Konflikten einer starken weiblichen Hauptfigur". Das ist in diesem Fall die von Sesede Terziyan gespielte Mikrobiologin Dr. Maral Safadi, die an der Charité die Aufschlüsselung des Mikrobioms erforscht. Im Trailer gab es jede Menge gefährliche Viren, krisenhafte Hitze und diskussionswürdige Patientenüberwachung zu sehen. Dass die Wahl des Drehorts statt Berlin auf Lissabon fiel, erklärte Lippold einerseits mit der futuristischen Architektur der portugiesischen Hauptstadt, andererseits mit der Klima-Prognose, dass Berlin sich in 30 Jahren auf die heutigen Durchschittstemperaturen von Portugal erwärmen werde. Die Ausstrahlung kündigte Paul für 2024 an, ein genauer Zeitpunkt stehe freilich noch nicht fest.
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Ebenfalls in der Zukunft spielt der Siebenteiler "Helgoland 513", den UFA Fiction für Sky produziert. Im Rahmen der "Work in Progress"-Präsentation sprach Co-Creatorin, Autorin und Produzentin Veronica Priefer von "post-apokalyptischem Entertainment mit viel schwarzem Humor". Die Serie, für die auch Robert Schwentke als Showrunner, Headwriter und Regisseur verantwortlich zeichnet, erzählt von 513 Überlebenden, die sich nach einem Beinahe-Weltuntergang auf der kleinen deutschen Felseninsel verschanzen und ihre Gesellschaft durch ein Social-Ranking-System nach Nützlichkeit jedes einzelnen Bewohners organisieren. Schwentke war nicht aus seiner Heimat Los Angeles nach Köln angereist, da er als WGA-Mitglied im gegenwärtigen Autorenstreik keine Promotion machen darf.
Dafür zeigten Priefer und der deutsche Sky-Studios-Chef Tobias Rosen einen dreiminütigen Ausschnitt, der den düsteren Look und die spannungsgeladene Atmosphäre von "Helgoland 513" transportierte. Darin zu sehen: eine dystopisch heruntergekommene Hamburger Elbphilharmonie und Speicherstadt, in der ein ans Festland übergesetzter Inselbewohner Jagd auf Medizin macht. Da das echte Helgoland zu klein und zu schwierig zu erreichen ist, wurden Außenszenen auf Sylt und Amrum gedreht, vor allem aber künstliche Apokalypse im Berliner Studio erzeugt. Gegenwärtig im Schnitt, kurz vor Picture Lock der ersten beiden Episoden, werde die Serie entweder zum Jahresende oder Anfang 2024 veröffentlicht, so Rosen.
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Die wohl unkonventionellste Produktion, die auf der Kölner Bühne vorgestellt wurde, war "Freiheit ist das einzige was zählt", ein satirisches "Instant Fiction"-Projekt der btf für ZDFneo. Autor und Regisseur Jan Bonny ("King of Stonks") und sein Co-Autor Jan Eichberg begleiten darin eine Gruppe radikaler Verschwörer bei ihren Vorbereitungen für einen möglichen Putsch. Im Gespräch mit DWDL.de-Chefredakteur Thomas Lückerath bezeichnete Bonny sein Werk als "kleine Serie über die deutsche Gegenwart und unser schmutziges Unterbewusstsein". Die Erzählhaltung solle "lustig, aber unangenehm" sein. Genau diesen Eindruck vermittelte auch ein kurzer Schwarzweiß-Ausschnitt, in dem an "Reichsbürger" angelehnte Personen über die Versorgung von geplant 250.000 politischen Gefangenen diskutieren. "In zehn Jahren kann man darüber vielleicht einen naturalistischen Film machen", so Bonny. "Aber jetzt geht es für mich nur unmittelbar und stark kommentierend." Laut Produzentin Judith Fülle kam das grüne Licht vom ZDF am 12. Januar, ab 1. März wurde für sechs Tage gedreht, am 27. Juli wird "Freiheit" ausgestrahlt.
Die Beute der IP-Hunter: Von "Zeit Verbrechen" bis "Liebes Kind"
© Jo Hannes Klingelhöfer
"We're all IP-hunting", sagte Susanne Schildknecht von Paramount+ bei "Work in Progress" - schließlich hilft ein bekannte Vorlage welcher Art auch immer, in der großen Serienflut zumindest erstmal aufzufallen. Und tatsächlich hatten die vier Projekte am zweiten "Work in Progress"-Nachmittag eine solche Vorlage. Bei der gemeinsam von Susanne Schildknecht und Produzent Jorgo Narjes von X Filme Creative Pool vorgestellten Serie "Zeit Verbrechen" ist es der gleichnamige Podcast. Dass man sich in der großen Fülle der True Crime-Podcasts für diesen entschieden habe, liege daran, dass darin Verbrechen nicht glorifiziert würden, sondern es mehr darum gehe, die Taten auch in die Gesellschaft und das Umfeld einzuordnen, in der sie stattfinden, so Narjes.
Bei "Zeit Verbrechen" - das für außerhalb Deutschlands noch einen anderen "coolen Namen" bekommen werde, der sicher nicht "Crime Time" sein werde - handelt es sich um eine Anthologie-Serie: Die vier einzelnen, je 60-minütigen Filme stehen für sich und werden auch von vier unterschiedlichen Regisseurinnen und Regisseuren realisiert: Faraz Shariat, Helene Hegemann, Mariko Minoguchi und Jan Bonny. Dabei würden für "Zeit Verbrechen" recherchierte Fälle als Grundlage für eine dann aber rein fiktionale Umsetzung dienen, auch reale Namen beispielsweise sollen demnach nicht verwendet werden - schon aus moralischen und ethischen Überlegungen, so Narjes. Auf einen Starttermin bei Paramount+ wollte sich Susanne Schildknecht nicht festlegen, wahrscheinlich wird es aber erste 2024 soweit sein. Dafür könnte danach noch mehr kommen: "Das wird hoffentlich ein Langzeit-Projekt", so Schildknecht.
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Einen ganz konkreten Starttermin konnte dafür Lisa Kreimeyer, die bei Netflix die deutschen Serien-Eigenproduktionen verantwortet, für die Constantin-Produktion "Liebes Kind" verraten: Am 7. September 2023 wird man den sechsteiligen Psychothriller zu sehen geben, der auf dem gleichnamigen Buch von Romy Hausmann basiert. Dass die Tatsache, dass den Buch-Bestseller schon viele kennen, bei der Entscheidung für das Projekt hilfreich war, räumt Kreimeyer ein, vor allem sei sie aber von dem Mysterium im Kern der Geschichte von Anfang an gefesselt gewesen - und so soll es auch dem Publikum gehen. In "Liebes Kind" geht es um eine Mutter mit ihren zwei Kindern, die in einer fensterlosen Hütte von einem Mann gefangen gehalten werden - bis den dreien die Flucht gelingt. "Während das meist das Ende der Geschichte ist, ist es hier der Anfang. Dann beginnt der echte Horror", sagt Julian Pörksen, der die Serie gemeinsam mit Isabel Kleefeld geschrieben und inszeniert hat.
"Wenn man das Buch liest, dann fühlt jeder mit einer anderen Figur mit. Bei mir war es die 10-jährige Hannah", erläutert Isabell Kleefeld, warum sie mit im Zentrum der Geschichte steht. Anders als bei manch anderem großen Projekt, bei dem sich der Autor der Buchvorlage öffentlichkeitswirksam distanziert hat, sei Romy Hausmann hier begeistert - und das, obwohl es offenbar einen signifikanten Unterschied zur Vorlage gibt, den aber zum Erhalt der Spannung bei "Work in Progress" niemand verraten wollte.
"Save me" wird zu "Maxton Hall", Zeitreisen beim ZDF
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Wohl recht nah an der Buch-Vorlage dürfte sich unterdessen das von UFA Fiction für Amazon umgesetzt Projekt "Save Me" bewegen - für das auf dem Seriencamp aber ein neuer Name enthüllt wurde. Es wird als "Maxton Hall - Die Welt zwischen uns" veröffentlicht werden - und zwar im Lauf des Winters. Dann solle die Sommer-Serie Sonne in die Herzen des Publikums bringen, erläuterte Petra Hengge von Amazon Studios diese Entscheidung. Der Grund für die Umbenennung ist recht einfach: Es gibt schon eine Serie namens "Save me". Der Weg zu "Maxton Hall" - der Name des exklusiven Privat-Colleges, an dem die Serie spielt - war dann auch nicht weit, weil die Trilogie auch unter diesem Namen bekannt ist.
Dass man sich Abweichungen von der Vorlage schon genau überlegen muss, liegt an der ziemlich großen Anhängerschaft: "Es ist eine große Verantwortung, weil die Fanbase riesig ist. Wir wurden nach der ersten Ankündigung regelrecht überrannt von Fans", sagt Producer Valentin Debler bei "Work in Progress". Produzentin Ceylan Yildirim ordnete die Serie als "Romantic Dramedy" ein. Im Mittelpunkt steht die aus einfachen Verhältnissen stammende Ruby Bell, die durch ein Stipendium als elitäre College kam - und dort unfreiwillig Zeugin eines brisanten Geheimnisses wird, das sie mitten ins Fadenkreuz des arroganten und überprivilegierten James Beaufort rückt, der dessen Schweigen erkaufen will - was die natürlich zurückweist, was aber trotzdem nichts daran ändert, dass es zwischen beiden funkt.
Auch wenn die Charaktere jung seien, handelt es sich aus Sicht von Petra Hengge übrigens nicht um eine Serie für Teenager: "Die Charaktere sind jung, aber die Themen sprechen alle an", so Hengge. Man habe nach großem Popcorn-Entertainemnt gesucht und meint, es in dieser Produktion auch gefunden zu haben. Und eine Fortsetzung erscheint durchaus möglich: "Das hängt alles vom Publikum ab. Aber es gibt Hoffnung". Immerhin wurde ja für die erste Staffel nur Teil 1 der Trilogie verfilmt.
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Ein kleines Problemchen mit einem schon vergebenen Namen dürfte wohl auch "Plan B" bekommen, das von Gaumont fürs ZDF produziert wird - denn dort gibt's schon eine Dokureihe gleichen Namens. "Plan B" ist daher auch nur der Arbeitstitel, der noch geändert werden wird. Die Miniserie existiert auch schon in anderen Ländern, ursprünglich kommt sie aus Kanada, dann wurde sie in Frankreich umgesetzt - und die französischen Gaumont-Kollegen machten dann auch ihre deutschen Nachbarn darauf aufmerksam, erläuterten Mika Kallwass und Ingrid Kaltenegger, die als Autorinnen für die deutsche Adaption verantwortlich zeichnen. Die Serie beschreiben sie als "einzigartigen Mix aus Zeitreise-Serie und sehr intensivem Drama".
Kurz zur Prämisse: Ein Unternehmen bietet eine Zeitreise in die eigene Vergangenheit an, um mit dem Wissen von heute andere Entscheidungen zu treffen - allerdings ist es ein One-Way-Ticket, ab dem Zeitpunkt muss man alles nochmal neu durchleben. In Deutschland hat man sich für die Adaption der zweiten Staffel des Originals entschieden, was möglich ist, weil es sich um eine Anthologie-Serie handelt, die einzelnen Staffeln also voneinander unabhängig sind. In diesem Fall reist eine erfolgreiche Frau zurück, um den Selbstmord ihrer Tochter zu verhindern. Die Herausforderung für die beiden Autorinenn war, die Vorlage in die heutige Zeit zu übersetzen - auch wenn sie erst sechs Jahre alt ist, sei in dieser Zeit viel passiert, was sich nun in der neuen Version widerspiegeln solle. Wann die Serie zu sehen sein wird, ist noch nicht klar - allerdings wird es wohl noch etwas dauern, weil die Dreharbeiten erst Ende April begonnen haben.