Als Sascha Schwingel Mitte 2019 seinen Posten als neuer Vox-Geschäftsführer antrat, wagte er eine Kampfansage: Nachdem man beim Gesamtpublikum bereits die Top 3 der Privatsender erreicht habe, solle das nun auch in der Zielgruppe der 14- bis 49-Jährigen gelingen. Vier Jahre später ist dieses damals ausgegebene Ziel übererfüllt. Nicht nur dass Vox in sechs von neun Monaten der vergangenen Saison Sat.1 beim jüngeren Publikum hinter sich ließ, auch beim Gesamtpublikum hat man die Unterföhringer seit März hinter sich gelassen und liegt hier nun nicht nur wie bei 14-49 auf dem dritten, sondern schon auf dem zweiten Privatsender-Platz hinter RTL. In der erweiterten Zielgruppe 14-59, die sowohl Sat.1 als auch RTL Deutschland inzwischen im Blick haben, gelingt das seit Februar.
In den letzten Monaten hatte man allerdings eher das Gefühl, dass Vox seinen Erfolg mehr verwaltet, als dass es größere neue Impulse gegeben hätte - kein Vergleich zu den Reichart-Jahren, als der Sender immer wieder überraschende neue Programmfarben für sich erobert und zu Erfolgen ausgebaut hatte, die teils bis heute nachwirken - Paradebeispiel: "Die Höhle der Löwen". Eines der größeren Projekte war im Herbst, den Mittwoch mit eigenen Dokus und Reportagen zu bespielen. Neben dem Label "Vox Inside" setzte man auch auf Produktionen mit Ilka Bessin und Nora Tschirner - allerdings bewegten sich die Marktanteile stets nur um die 5-Prozent-Marke, somit also deutlich unter dem Vox-Schnitt.
Mit "Das spanische Dorf" hat man versucht, Gründer- und Auswanderershow zusammenzubringen - ebenfalls mit wenig Erfolg. Trotzdem hat man den Freitagabend inzwischen mit anderen "Goodbye Deutschland"-Ablegern in den Griff bekommen, was fraglos auf der Haben-Seite zu verbuchen ist. In die Datingshow "Herz an Bord" hingegen verliebten sich ebenso zu wenige wie im "Make my Date" oder "Song Clash", die Retter-Doku "Feuer, Wasser, Erde, Luft" zeigte zwar eine ansteigende Form, unterschied sich aber kaum von diversen Formaten anderer Sender und konnte so ebenfalls keine echte Duftmarke hinterlassen.
Ganz anders war das beim "Schwarzwälder Hirsch": Das spannende Experiment, Menschen mit Down-Syndrom selbst ein Restaurant führen zu lassen, hatte die unverkennbare Vox-Handschrift, räumte zurecht unter anderem den Grimme-Preis ab und wurde obendrein noch mit guten Quoten belohnt. Nur fortsetzen lässt sich ein solcher Erfolg natürlich schwer. Auch darüber hinaus blieb Tim Mälzer aber einer der Erfolgsgaranten - ob mit "Kitchen Impossible", das im Frühjahr allerdings etwas unter der ungewohnten Konkurrenz durch "WSMDS" zu leiden hatte, oder mit "Mälzer gegen Henssler", das als weniger aufwendig zu produzierendes Format gut Lücken füllen kann - zumal "Grill den Henssler" sich zuletzt auch schon manche Schwäche leistete.
Überhaupt zeigten auch einige andere Quotenhits des Senders ein paar Abnutzungserscheinungen: "Die Höhle der Löwen" tat sich vor allem in ungewohntem Feiertagsumfeld schwer, auch bei "Sing meinen Song" mehrten sich trotz insgesamt noch guter Quoten die Ausreißer nach unten. Es ist eine Mahnung, dass man sich nicht dauerhaft auf dem Erfolg ausruhen sollte, sondern auch mal wieder auf der Suche nach einem großen Wurf sein müsste - Platz 2 oder 3 unter den großen Privatsendern verpflichtet in dieser Hinsicht eben auch, zu liefern.
Keine großen Sprünge waren auch in der vergangenen Saison wieder mit fiktionalen Eigenproduktionen drin, die man dank der Partnerschaft mit RTL+ weiter im Portfolio hat. Doch "Faking Hitler" oder im Sommer vergangenen Jahres auch "Herzogpark" stießen nur auf wenig Aufmerksamkeit, "Zwei Seiten des Abgrunds" floppte zuletzt gar völlig. Ein bisschen tröstlich ist da vielleicht, dass mit mancher US-Serie doch noch zumindest solide Quoten zu holen sind: "And just like that "und "CSI: Vegas" machten ihre Sache beispielsweise gar nicht so schlecht.
Nach vorne brachte den Sender aber vor allem auch der starke Nachmittag und Vorabend - also der großen Schwachstelle des Konkurrenten Sat.1. Für Vox zahlt sich gerade aus, schon seit über 17 Jahren am "Perfekten Dinner" festzuhalten und an diesem Format zu arbeiten - trotz zwischenzeitlich schon ziemlich mauer Quoten. Aktuell läuft das "Dinner" so gut wie seit zehn Jahren nicht mehr, im März kratzte der Marktanteil an der 10-Prozent-Marke in der Zielgruppe.
Verlass ist auch auf "First Dates", das zudem mit dem Primetime-Ableger "First Dates Hotel" erfolgreicher denn je war. Und man tat auch gut daran, am Nachmittag weiter immer wieder neue Formate auszuprobieren, um hier die Vielfalt zu erhöhen und auf Schwächen einzelner Produktionen reagieren zu können - ein gutes Investment in den dauerhaften Erfolg. Weniger glorreich war hingegen die Ausbeute am Sonntagvorabend. Ob "Eingecheckt und ausgecheckt - Wo schläft es sich am besten?", "Stadt, Land, Flucht - Wir ziehen raus" oder "Genial gedacht?! - Der Tüftlercheck": Überzeugen konnte keines dieser neuen Formate.
Auch wenn Vox gut durch die Saison kam: In welche Richtung man das Programm abseits schon erkundeter Pfade weiterentwickeln sollte, wurde nicht so richtig deutlich. Vielleicht ja auch deswegen, weil der Posten des Vox-Chefs, der diese Stoßrichtung vorgeben könnte, gar nicht mehr besetzt ist. Während RTL (und RTL+) mit Inga Leschek wieder eine Chefin haben, bei ntv Sonja Schwetje zur Geschäftsführerin befördert wurde und für die kleineren Sender weiter Oliver Schablitzki zuständig ist, herrscht an der Vox-Spitze eine Vakanz, seit Sascha Schwingel einst zum Stellvertreter des inzwischen geschassten Henning Tewes befördert wurde und sich nun schon seit Monaten in einem Schwebezustand und dem Vernehmen nach vor dem Absprung befindet. Angesichts des neuen Status als zweit- oder drittgrößter Privatsender, wäre ihm eine oder einer an der Spitze, die oder der sich explizit um diesen Sender kümmert, durchaus zu wünschen.