Wer Antworten auf die Zukunft von ProSiebenSat.1 sucht, kann an verschiedenen Stellen graben. Mich hat es Ende April an einem Freitag vor die RTL-Zentrale gezogen. Genauer genommen: Vor die RTL-Zentrale in Zagreb. Das große Logo in den Farben rot, gelb und blau leuchtet hier wie einst der Schriftzug auf dem Kölner Messeturm. Die kroatische RTL-Sendergruppe gehört seit dem vergangenen Jahr aber gar nicht mehr zur RTL Group, sondern zu Central European Media Enterprises (CME), einer zentral- und osteuropäischen Sendergruppe, die in verschiedenen Ländern TV-Sender betreibt. CME ist Teil der tschechischen PPF Group und die ist wiederum mit inzwischen rund 15 Prozent an ProSiebenSat.1 beteiligt.
Und auch wenn gerade alle in der Branche über Mediaset bzw. Media for Europa und den Berlusconis reden, auch PPF ist mittlerweile ein relevanter Player in der Aktionärsstruktur von ProSiebenSat.1. Mit dem noch recht neuen Großaktionär tut man sich in Unterföhring aber merklich schwer, ein vertrauensvolles Verhältnis aufzubauen. Forderungen nach einem Sitz im Aufsichtsrat ließ man zuletzt kühl abtropfen. Und als Konzernchef Bert Habets Journalistinnen und Journalisten vor wenigen Wochen einen Einblick in die künftige Strategie des Unternehmens gab, wirkte es nicht so, als habe er bereits ausgiebig mit den neuen Investoren gesprochen. PPF-Investmentchef Didier Stoessel erklärte ProSiebenSat.1 zuletzt zum Sanierungsfall und erklärte im "Manager Magazin": "Bert Habets muss uns seinen Plan erklären. Was er bisher verkündet hat, ist nicht präzise genug."
Doch wer ist die PPF Group eigentlich und, noch wichtiger, welches Medienverständnis hat der Investmentkonzern? Das wollte DWDL.de in Zagreb herausfinden.
Eine Streaming-Marke für alle Länder
PPF ist in vielen verschiedenen Branchen aktiv, mit der rund zwei Milliarden Dollar schweren Übernahme von CME stieg der Konzern vor einigen Jahren aber auch in das Mediengeschäft ein, erworben hatte man die Gruppe damals von AT&T. Und es ist nicht so, als hätte der Investor danach einen harten Sparkurs gefahren, um die Gruppe schnell wieder für möglichst viel Geld zu verkaufen. Auch heute noch gehört CME mit seinen 43 TV-Sendern in sechs Ländern zu den relevantesten Playern in den jeweiligen Märkten. Aufgestellt sind die Unternehmen in den Ländern vergleichbar mit den deutschen Sendergruppen: Es gibt meist einen Hauptkanal und dann noch Spartenkanäle für diverse Zielgruppen und Genres.
PPF-Investmentchef Didier Stoessel ist CEO von CME und hat sein Team gerade erst neu aufgestellt. Er holte Dušan Švalek im April 2022 ins Unternehmen und machte ihn zu Beginn dieses Jahres zum Vize-CEO. Švalek verantwortet die Märkte in der Slowakei, Slowenien, Kroatien und Bulgarien und ist zudem für die digitale Transformation der gesamten Gruppe zuständig, Stoessel kümmert sich neben dem Heimatmarkt Tschechien auch um Rumänien. Und die Herausforderungen sind groß: Wie in allen anderen Ländern versuchen die CME-Manager aktuell eine Strategie zu entwickeln, ihre digitalen Plattformen zu stärken, ohne gleichzeitig die nach wie vor starken TV-Sender samt ihren Werbeeinnahmen zu kannibalisieren.
Voyo ist aktuell die Streaming-Marke von CME in fünf der sechs Märkte, in denen die Gruppe aktiv ist - nur Kroatien fehlt bislang noch. Dort übernahm man erst Mitte 2022 das dortige RTL-Geschäft, weshalb die Sender nun zwar alle noch RTL im Namen haben und entsprechend gebrandet sind, mit der RTL Group aber nichts mehr zu tun haben. Ändern soll sich am Außenauftritt nichts: Die Sender sind unter ihrem RTL-Branding bekannt und gelernt. Und eine Vereinbarung mit der RTL Group erlaubt CME die Nutzung der Marke.
Den weißen Fleck auf der Streamingkarte will man bei CME aber bald tilgen: Voyo soll auch in Kroatien noch in diesem Jahr starten und dann das dortige RTL Play ersetzen. Im September wird es soweit sein, erklärt Stella Litou, CEO von CME Adria, gegenüber DWDL.de. Die Wachstumsfantasien sind jedenfalls groß - in Kroatien und darüber hinaus. Auch, weil der Streaming-Markt in diesen Teilen Europas häufig noch viel kleiner ist als der in Deutschland - und so viel Potenzial bietet. Die Anzahl der Haushalte, die SVoD-Dienste nutzen, liegt weit hinter Ländern wie Deutschland, ganz zu schweigen der USA oder Großbritannien. Auch die Anzahl der Dienste pro Haushalt ist noch vergleichsweise gering.
Unter CME Adria hat der Konzern seine Geschäfte in Slowenien und Kroatien gebündelt. Die Märkte weisen strukturelle Ähnlichkeiten auf, weshalb hier viel zwischen den Länderorganisationen kooperiert wird - natürlich auch um Kosten zu sparen. Grundsätzlich würde in der Gruppe ein großer Austausch von Know How herrschen, betonen Švalek und Litou. "Nur so können wir in dem kreativen Business, in dem wir arbeiten, erfolgreich sein", sagt CME-Vize-CEO Dušan Švalek. Ein Format produzieren und dann einfach in allen Ländern ausstrahlen, funktioniert aber nicht. Dazu sind die Märkte zu verschieden. Was in Tschechien funktioniert, kann sich in Bulgarien schnell als Flop erweisen - und andersherum. Dennoch hat man die Möglichkeit, TV-Sets doppelt zu bespielen, falls zwei Länder die gleiche Show produzieren. Voyo basiert zudem in allen Märkten auf der gleichen, technischen Plattform - die Inhalte sind aber verschieden.
Unser Bedarf an guten Inhalten ist in den vergangenen Jahren signifikant gestiegen. Das größte Problem dabei sind die Talente und die Produktionskapazitäten.
Dušan Švalek, Vize-CEO von CME
Ausnahmen in der Zusammenarbeit bestätigen immer wieder die Regel: Sehr eng arbeiten die Sender in Tschechien (Nova) und der Slowakei (markiza) zusammen. Das ist historisch bedingt: Die Länder waren jahrzehntelang als Tschechoslowakei zusammengeschlossen und auch deshalb werden beispielsweise einige Sportrechte hier nicht getrennt vergeben. CME selbst kommuniziert hier und da Zahlen nur für die beiden Länder kombiniert. Andererseits: Krimis sind in Tschechien viel beliebter als in der Slowakei. Als "heiligen Gral" bezeichnet auch Stella Litou des Deutschen Lieblingsgenre. "Krimis sind fantastisch, weil sie langlebig und gut zu wiederholen sind, außerdem steigern sie den Wert unseres gesamten Portfolios. Daher denken wir darüber nach, dieses Genre auch in die Adria-Region zu bringen."
Auch ein Blick auf die linearen TV-Sender ist interessant, die sind in den sechs Märkten nämlich so verschieden wie ein Obstsortiment im Supermarktregal. Während der Programmablauf in Tschechien noch am ehesten an Deutschland erinnert (verschiedene Sendungen und Genres je nach Wochentag) sieht das zum Beispiel in Kroatien ganz anders aus. Da hat man in der Primetime viel weniger Formate, die man dafür wochen- und monatelang streckt. Die lokale Version von "Das perfekte Dinner" etwa läuft dort im Herbst fünf Tage die Woche um 20.15 Uhr, danach folgen montags bis mittwochs "Hochzeit auf den ersten Blick" und donnerstags bis freitags "The Biggest Loser". Samstag gibt es große Shows zu sehen und Sonntags einen Film, so bespielt man die Zeit zwischen September und Dezember.
Dieses aus deutscher Sicht ungewohnte Modell hat den Vorteil, dass die Kosten pro Folge viel niedriger sind und man insgesamt viel weniger Sendungen produzieren muss. Auch in Bulgarien gibt es diese Art der Programmierung, die auch die dortigen Konkurrenzsender von CME so haben. Die Zuschauerinnen und Zuschauer sind es also gewohnt, während es hierzulande schon extrem riskant und ungewöhnlich erscheint, wenn RTL plötzlich das "Sommerhaus der Stars" an mehreren Tagen in der Woche zeigt. Und noch etwas ist anders als in Deutschland: Zwar vergeben die CME-Sender auch Aufträge an externe Produktionsfirmen, langlaufende und jährlich wiederkehrende Formate produziert man nach Möglichkeit aber selbst. "Unser Brot-und-Butter-Geschäft haben wir inhouse", sagt Stella Litou.
"RTL Direkt" und die Basics des Audience Flows
Gleichzeitig versucht man, möglichst agil und flexibel zu bleiben. Exemplarisch lässt sich das bei RTL Croatia gut beobachten. Nachdem die Gruppe die RTL-Tochter im Sommer 2022 übernommen hatte, dauerte es keine drei Wochen, bis eine erste große Veränderung im Programmablauf umgesetzt wurde. Bis dahin war es so, dass Primetime-Formate regelmäßig durch die Nachrichtensendung "RTL Direkt" unterbrochen wurden, um danach fortgesetzt zu werden. Das habe dem Audience Flow massiv geschadet, daher habe man diese Praxis beendet, sagt Stella Litou gegenüber DWDL.de. Sie spricht von "Basics des Audience Flows", die man hier angewandt habe. In Deutschland fährt RTL die Strategie mit "RTL Direkt" teilweise bis heute.
Zudem investierte man bei RTL Croatia schnell wieder in eigene Fiction und generell mehr in eigenproduzierte Inhalte. Und das Ergebnis kann sich sehen lassen: Zwar liegt man noch immer hinter dem größten, privaten Konkurrenzsender, den Abstand konnte man in den zurückliegenden Monaten jedoch deutlich verkleinern. Seit Beginn des Jahres und bis Ende April kam RTL Croatia mit seinem Hauptsender auf 14,3 Prozent Marktanteil in der Zielgruppe der 18- bis 54-Jährigen, das sind fast zwei Prozentpunkte mehr als vor einem Jahr. Mit NovaTV hat der größte Konkurrent im gleichen Zeitraum mehr als zwei Prozentpunkte verloren. In der Primetime hat RTL der Konkurrenz noch mehr abgenommen, wenngleich NovaTV nach wie vor Marktführer ist.
Anders als bei vielen deutschen Privatsendern spielen Nachrichten für die CME-Sender eine wichtige Rolle. Nach eigenen Angaben ist man mit den abendlichen News in vielen Ländern Marktführer mit teilweise mehr als 30 Prozent Marktanteil. Dass der Stellenwert von Informationen in Ländern, die östlich von Deutschland liegen, sehr hoch ist, sei historisch begründet, sagt Dušan Švalek. "CME wurde 1994 gegründet. Kurz zuvor war der Eiserne Vorhang gefallen, das hat in diesem Teil der Welt zu Freiheit geführt. Entsprechend hoch war das Informationsbedürfnis der Menschen, das haben unsere Sender von Beginn an aufgegriffen und so wurden Nachrichten ein Teil unserer DNA." Litou bezeichnet die Nachrichten als "Rückgrat unseres Programms". Die Chefin von CME Adria erklärt: "News stehen in unseren Ländern für Offenheit und Freiheit, und das vielleicht noch mehr als in anderen Ländern."
"Cobra 11" ist in Tschechien ein echter Hit
Daneben hat man auch viele internationale Format-Hits im Programm, aber auch deutsche Serien und Filme befinden ab und zu ihren Weg in die CME-Länder. Die RTL-Serie "Der Lehrer" hat man etwa in der Slowakei, Slowenien, Rumänien und Tschechien adaptiert. Zudem lief "Alarm für Cobra 11" in den vergangenen Jahren zu unterschiedlichen Zeitpunkten auf vielen CME-Sendern - und war besonders in Tschechien ein großer Hit. Dort läuft auch eine Adaption von "SOKO Leipzig" ("The Specialist") bis heute und in der Slowakei hat man "Bares für Rares" adaptiert. Darüber hinaus arbeitet CME in den verschiedenen Ländern oft mit deutschen Firmen bzw. deren Töchtern zusammen, etwa der Telekom. Für CME seien deutsche Unternehmen bzw. deren Beteiligungen in den meisten Märkten die wichtigsten Partner, sagt CME-Vize-CEO Dušan Švalek. Und auch in den Sportrechte-Bereich hat CME nach der Übernahme durch PPF massiv investiert. Hatte man zuvor in den einzelnen Ländern nur vereinzelt hochkarätige Rechte, sieht das mittlerweile ganz anders aus. So hält man inzwischen in etlichen Ländern wichtige Rechte wie die der Champions League, Fußball-Europameisterschaften, diverser europäischer Fußball-Ligen oder auch an MMC-Veranstaltungen, die von der UFC ausgerichtet werden.
RTL Croatia stand nicht im Fokus der Aktivitäten der RTL Group, daher war das Unternehmen lange unterfinanziert.
Stella Litou, CEO von CME-Adria
Massive Investitionen in Sportrechte, News, Fiction-Inhalte und den Ausbau der Streaming-Plattform Voyo. Das sieht nicht nach der Strategie eines klassischen Finanzinvestors aus, der ein Unternehmen effizienter aufstellt, um es dann wieder zu verkaufen. Und genauso wie die PPF-Manager betont auch Dušan Švalek im Gespräch mit dem Medienmagazin DWDL.de mehrfach, dass der Gesellschafter von CME "agil" und zudem langfristig investiert sei. "Es ist nicht einfach, große und teure Shows und Serien für kleine Länder zu produzieren. Aber das zeigt sehr gut unsere Mentalität: Wir wollen die besten Inhalte und haben in all unseren Märkten ein langfristiges Commitment abgegeben. Wir machen das, um unsere Zuschauerinnen und Zuschauer langfristig zu binden, um so zu wachsen." Die einzige Vorgabe, die man von PPF bekomme, sei "langfristige Profitabilität und eine generelle Wertsteigerung des Unternehmens".
Schon heute arbeitet CME über alle Ländergrenzen hinweg profitabel, bestätigt Švalek gegenüber DWDL.de, ohne dabei konkrete Zahlen zu nennen. Der Umsatz der Mediengruppe ist in den vergangenen Jahren jedenfalls von 591 Millionen Euro (2020) auf zuletzt 777 Millionen Euro im Jahr 2022 gewachsen. Das entspricht einem satten Plus von 33 Prozent - dabei profitiert CME von nach wie vor steigenden TV-Werbeeinnahmen in der Region. "CME war schon in der Vergangenheit ein gutes Unternehmen. Es wurden starke Sender und Marken geschaffen", sagt Vize-CEO Dušan Švalek. Durch den langen Verkaufsprozess 2020 sei jedoch viel liegen geblieben, entsprechend hoch der Investitionsdruck gewesen. "Seither haben wir aber einen großen Turnaround eingeleitet." Dieser Turnaround bezieht sich nicht nur auf das inhaltliche Geschäft: So konnte man die Umsätze diversifizieren und sich unabhängiger machen von TV-Werbung, beispielsweise durch Deals mit Telekommunikationsanbietern. Ganz zu schweigen von den hohen Investitionen in die Streaming-Plattform Voyo.
Dabei trifft das Führungsteam um Švalek hier und da auch auf Probleme und Herausforderungen, die es auch in anderen Ländern gibt. Der Fachkräftemangel ist in Tschechien, Kroatien, Bulgarien & Co. ebenso ein Thema wie in Deutschland. "Unser Bedarf an guten Inhalten ist in den vergangenen Jahren signifikant gestiegen. Das größte Problem dabei sind die Talente und die Produktionskapazitäten", analysiert Švalek. Getrieben werde der Mangel an Talenten vor allem durch zusätzliche Investitionen in die Streaming-Aktivitäten - auch durch internationale Konkurrenz. Die großen Tech-Giganten wie Netflix und Prime Video, aber auch Plattformen wie beispielsweise HBO Max, waren in diesen Teilen Zentral- und Osteuropas lange nicht so aktiv wie in Deutschland, Frankreich oder anderen Ländern. Das wandelt sich aktuell, auch deshalb ist gutes Personal rar gesät - und entsprechend teuer.
Und ewig grüßt der Fachkräftemangel
Bei CME geht man dennoch selbstbewusst an den Wandel heran und scheut nicht den Vergleich mit der internationalen Streamingkonkurrenz. Gegenüber Netflix & Co. sieht man sich im Vorteil, weil man lokal viel mehr Inhalte produziere, neben fiktionalen Stoffen gerade auch News und Sport. Hier sei man langfristig investiert, heißt es von CME. "Es ist einfach, mit viel Geld in einen Markt zu kommen und dann zwei Formate zu produzieren. So arbeiten wir nicht. Wichtig ist es, auch langfristig da zu sein und immer wieder für neue Inhalte zu sorgen", sagt Dušan Švalek.
Der Fachkräftemangel hat aber auch schon dazu geführt, dass bestimmte Produktionen nicht umgesetzt wurden, weil man sie nicht rechtzeitig hätte fertigstellen können. Um das Problem in den Griff zu bekommen, hat CME zuletzt eine eigene Content Academy gegründet, um junge Fernsehmacherinnen und Fernsehmacher in verschiedenen Gewerken aus- und weiterzubilden - und dabei ist es egal, aus welchen Ländern die Menschen kommen. Die internationale Aufstellung der Belegschaft ist ein großes Pfund, mit dem man selbstbewusst wuchert. Und dass die Offenheit gegenüber Mitarbeitenden aus anderen Ländern längst keine Plattitüde ist, lässt sich gut am zehnköpfigen CME-Führungsgremium ablesen, in dem es sieben verschiedene Nationalitäten gibt. Mit Tubi Neustadt sitzt auch ein Deutscher als Content Production Director in der obersten Führungsmannschaft.
Dem Problem des Fachkräftemangels stellen sich europaweit aktuell viele Medienhäuser. Egal ob sie in Prag, Zagreb, Köln oder Unterföhring sitzen. Gemeinsame Herausforderungen können zusammenschweißen - und vielleicht kann ProSiebenSat.1 in dieser oder anderen Fragen etwas von CME lernen? Es wäre zumindest mal ein erster Gesprächsansatz mit dem neuen Großaktionär PPF, der sich in den zurückliegenden Jahren durchaus einen Namen gemacht hat im europäischen Mediensektor.