Als Henning Tewes im November überraschend seinen Job als Chief Content Officer bei RTL los wurde, war die Verwunderung in der Branche groß. Denn auch wenn RTL unter seiner Führung keine Quotenwunder vollbrachte, so zeigt sich im Rückblick, dass er durchaus einige Weichen stellte, die nun, nach seinem Abschied, dazu führen, dass der Marktführer unter den Privatsendern seine linearen TV-Quoten stabilisieren konnte. Mit Marktanteilen um zehn Prozent war es mit Blick auf die 14- bis 49-Jährigen zwar sicher keine herausragende Saison, doch vor dem Hintergrund sinkender Marktanteile bei ProSieben und Sat.1 kann man in Köln unterm Strich durchaus zufrieden sein.
Vor allem der Januar sticht dabei heraus: Mit dem Rückenwind des Dschungelcamps konnte RTL den stärksten Monat seit drei Jahren feiern. Geholfen hat aber eben nicht nur der Reality-Klassiker, der nach der Corona-Pause wieder nach Australien zurückkehrte. Tatsächlich gelang es auch, dem schwächelnden Castingshow-Dauerbrenner "Deutschland sucht den Superstar" noch einmal aus dem Tal zu holen - auch wenn der Sender mit dem Comeback von Dieter Bohlen in Kauf nahm, die eigene Glaubwürdigkeit zu beschädigen. Doch letztlich RTL hat seinem Publikum vor allem das gegeben, was es sehen will - und das ist eben nicht Florian Silbereisen als Jury-Chef.
Auch an anderer Stelle hat RTL weniger Experimente gewagt: Schien es noch ein Jahr zuvor, als wolle der Sender sein Aushängeschild Günther Jauch in möglichst viele verschiedene Formate pressen, so lag der Fokus diesmal wieder verstärkt auf "Wer wird Millionär?". Mit der ausgeweiteten "3-Millionen-Euro-Woche" konnte das Quiz zu Jahresbeginn sogar den höchsten Marktanteil seit rund zehn Jahren einfahren. Und auch wenn RTL dafür wohl keinen Innovationspreis erhalten wird: Der Plan, am "tödlichen Dienst-Tag" neue Krimireihen zu etablieren, ging überwiegend auf, wie der "Nordsee-Krimi" oder auch "Miss Merkel" bewiesen. In diesem Umfeld konnte gar "Alarm für Cobra 11" durch die Ausweitung auf zweistündige Folgen noch einmal wiederbelebt werden.
Es sind - nach Jahren des Durchhängens - erste Fiction-Erfolge, auf denen sich aufbauen lässt, wenngleich "Das Haus der Träume" kurz vor Weihnachten beim Publikum durchfiel. Dazu kommt, dass es RTL auch am Nachmittag mit konventionellen Programmen gelang, für Stabilisierung zu sorgen: Ausgerechnet das Gerichtsshow-Comeback von Barbara Salesch und Ulrich Wetzel half, dem langjährigen Abwärtsstrudel zu entkommen. Sicher, ein Jungbrunnen sind die Formate nicht, doch mit den beiden "Strafgerichten" - und neuerdings auch mit dem "Jugendgericht" - spricht RTL ganz bewusst jene an, die nachmittags vor dem Fernseher sitzen und erreicht damit inzwischen regelmäßig mehr als eine Million Menschen.
Licht und Schatten im Show-Bereich
Verlassen kann sich RTL darüber hinaus in der Primetime weiterhin auf viele vertraute Formate, allen voran auf "Let's Dance", "Ninja Warrior" oder "Bauer sucht Frau"; auch "Murmel Mania" legte im Dschungel-Windschatten zu. Ein noch zu lösendes Problem stellt dagegen der Samstagabend abseits von "Deutschland sucht den Superstar" dar - besonders im Herbst, wo der Sender auch in diesem Jahr wieder ohne das "Supertalent" auskommen wird. Dort ging RTL im Vorjahr etwa mit den "Puppenstars" oder einer "Supernasen"-Show baden. Doch auch hier gibt es Hoffnung: Mit den "RTL-Wasserspielen" konnte man sich nach dem gelungenen "Turmspringen"-Comeback überraschend sogar gegen "The Masked Singer" durchsetzen, das "Samstag Nacht"-Jubiläum überzeugte und jüngst startete auch die "Geo"-Show sehr ordentlich. Verlässliche Quoten bringt zudem regelmäßig "Denn sie wissen nicht, was passiert".
Fraglich bleibt indes, wie stark noch das Retro-Fieber ausgeprägt ist. "Der Preis ist heiß" lief zum Jahresende bereits spürbar schlechter und von der "100.000 Mark Show" hat man schon lange nichts mehr gehört - auch wenn hiervon noch ungesendete Folgen im Archiv lagern. Ganz sicher keine Zukunft hat dagegen die offensichtliche "Wetten, dass..?"-Kopie "Ich setz auf dich" mit Guido Cantz, die nach der quotenschwächen Premiere im Sommer zuletzt im Nachtprogramm versendet wurde. Auch der Versuch, mit "Ohne Limit" ein neues Quiz-Format zu etablieren, scheiterte, und auch "Der unfassbar schlauste Mensch der Welt" interessierte das Publikum im Spätsommer nur dann, wenn Günther Jauch für Rückenwind sorgte.
Stark vom Vorprogramm ist weiterhin auch "RTL Direkt" abhängig. Das Nachrichtenmagazin ist auf dem Sendeplatz um 22:15 Uhr auch nach eineinhalb Jahren noch kein echter Einschalter. Immerhin: Das Umfeld wirkt nun durch vermehrte Magazin-Strecken stimmiger, wenngleich "Stern TV" oder "Extra" längst nicht mehr die tolle Quoten früherer Tage erzielen. Dazu kommt, dass auch die Sonntags-Version von "Stern TV" bislang kein nennenswerter Erfolg ist. Auch der Versuch, mit ernsthafteren Formaten die Primetime zu erobern, klappte in der zurückliegenden Saison nicht immer: Der "XY"-Klon "Achtung Verbrechen" startete schwach und auch "Felix Hutt investigativ" erzielte im Herbst nur einstellige Marktanteile.
Einiger Misserfolge zum Trotz: Das RTL-Fundament steht - dank klarer Fokussierung auf bekannte Marken, frischem Wind im Show-Bereich und einer spürbar erholten Daytime. Darauf können Stephan Schmitter und Programmgeschäftsführerin Inga Leschek aufbauen. Keine schlechten Voraussetzungen für eine gelungene Party zum 40. Sendergeburtstag im kommenden Jahr.