Verkehrte Welt: Normalerweise muss René Travnicek, wie andere WarmUpper auch, für Stimmung in den TV-Studios der Republik sorgen. Bei "Let’s Dance", dem großen Tanzspektakel von RTL, gilt es umgekehrt manchmal die Meute im Studio 32 der MMC in Köln-Ossendorf zu bremsen, um im Zeitplan der Live-Show zu bleiben. Die Atmosphäre vor Ort ist Woche für Woche impulsiv euphorisch, nicht wie sonst so oft bei TV-Produktionen schleppend reaktionär. Nirgends springen Mutti und Vatti so begeistert von den Sitzen wie nach einer besonders gelungenen "Let’s Dance"-Performance, wie vergangene Woche beim Impro-Tanz von Anna Ermakova und Valentin Lusin. 

Es gibt eben doch einen gar nicht mal so kleinen Unterschied zwischen mitunter als Klatschvieh behandeltem Studio-Publikum, dass bei mancher Sendung schon auf eine korrekt beantwortete Quizfrage mit gequälter Euphorie reagieren soll - und der Begeisterung für die Performances dieses glamourösen Eskapismus, den RTL und die Produktionsfirma Seapoint  in Zusammenarbeit mit BBC Studios traditionell im Fernseh-Frühjahr veranstalten. Am Rande der Publikumstribünen stehend, gibt der längere Blick auf die Ränge die Antwort nach dem entscheidenden Unterschied: Hier sitzen Fans. Es fällt auch auf: Das Publikum hat sich überdurchschnittlich oft in Schale geschmissen; die Tickets waren schließlich schwer zu bekommen.

"Let’s Dance" ist TV-Unterhaltung für mehrere Generationen und unterschiedliche Interessen. Manche schauen wegen der Tänze, andere wegen ihren Stars und nicht wenige lieben einfach die Jury, bei der alle drei inzwischen Kultstatus erreicht haben mit ihren Sprüchen, allen voran natürlich Joachim Llambi, der dem Format die nötige Härte gibt, die wiederum auch ein Teil des Publikums zu schätzen weiß, dem das Leistungsprinzip wichtig ist. Hier bekommt niemand etwas geschenkt, Kritik ist mitunter legendär hart, aber auf Llambis unvergleichliche Art und Weise fachlich, sachlich vorgetragen. Welch ein Unterschied zu manch verbal ungelenken Juroren anderer Formate! Und manchmal, aber nur manchmal, gibt es ja auch Lob.

Mit einer beständigen aber behutsamen Weiterentwicklung hat sich das von Seapoint Productions und BBC Studios für RTL produzierte Format über die Jahre zum wichtigsten Rückgrat im Unterhaltungsprogramm des Senders entwickelt. Großer Erfolg macht wenig Veränderung nötig, was beinahe schon gefährlich werden kann. Gleichzeitig schützt er aber auch ein Stück weit vor den schlimmsten Sparrunden, die fast alle Sender gerade von Produktionsfirmen erwarten. Klar, auch "Let’s Dance" musste im Vergleich zu früheren Zeiten Federn lassen bei den Zuschauerzahlen und doch sticht das Format heute sogar mehr denn je hervor - gemessen am Erfolg und den dafür verantwortlichen Faktoren. 

Lets Dance © DWDL.de Hinter den Kulissen der "Let's Dance"-Halbfinalshow.

Anders als bei seichteren Promi-Shows im deutschen Fernsehen, muss hier echte Arbeit investiert werden um zu bestehen. Trotz dieser Hürde kann sich die Produktionsfirma jährlich nicht vor Initiativbewerbungen von Prominenz unterschiedlichsten Ranges retten, die trotz inzwischen schon 16 ausgestrahlten Staffeln überraschenderweise nicht selten den zeitlichen Aufwand unterschätzen, den das Training für das Format mit sich bringt. Und manche, die möchte man auch einfach nicht, merkt Nina Klink, Geschäftsführerin von Seapoint Productions, an als wir beim "Let’s Dance"-Halbfinale hinter den Kulissen unterwegs sind. So findet sich die RTL-Show in der luxuriösen Situation wieder, sich die Kandidatinnen und Kandidaten aussuchen zu können. 

Die beste Jury im deutschen Fernsehen

An Prominenten, die mit dem Tanzen hier im Studio 32 in Ossendorf ihr Image der Öffentlichkeit polieren wollen, mangelt es nicht. In diesem Jahr hat Anna Ermakova die Chance für sich zu nutzen gewusst. Über die unsägliche Klatschpresse entstand in den vergangenen Jahren weitgehend fremdbestimmt ein Bild der Tochter von Boris Becker, das sie in den vergangenen Wochen mit ihrem vollen Einsatz bei "Let’s Dance" abgelöst hat - durch eigene Leistung und deshalb auch wenig überraschend als Favoritin ins Finale der 16. Staffel startet. Es ist nur die jüngste von vielen Heldenreisen, die vom Publikum goutiert wurden, eben weil hier nichts anderes hilft als Leistung, Leistung, Leistung. Dafür ist immer wieder die Jury zuständig, in der Jorge González und Motsi Mabuse für die kompetente, charmante Balance zu Llambi sorgen. Keine andere Jury im deutschen Fernsehen widerspricht sich leidenschaftlicher.

Mabuse hat vom unscheinbaren Coloneum in Köln-Ossendorf inzwischen die Welt erobert - und das muss man erstmal schaffen! Seit 2019 ist sie auch beim britischen Original "Strictly Come Dancing" in der Jury, wurde zuletzt auch für "Dancing with the Stars" in den USA gehandelt. Und Jorge González überrascht abwechselnd mit extrovertierten Outfits, Frisuren oder Statements. Und dann die Moderation: Daniel Hartwich ist unter dem intensiven Live-Training dank "Let’s Dance" endgültig vom Talent zum schlagfertigen Profi aufgestiegen und auch Victoria Swarovski ist an und mit der Sendung gewachsen. Die Tänzerinnen und Tänzer - sie sind inzwischen selbst zu Stars geworden, was bei manchen Paarung die Frage aufwirft, wer hier eigentlich der Prominentere auf dem Video-bespielten Parkett ist.

Kontroverse Frage nach der Studio-Band

Nina Klink © frankandeven Productions Nina Klink
Dass mit der Live-Musik im Studio ist vielleicht die kontroverseste Frage, die man den Macherinnen und Machern stellen kann. Bei "Let’s Dance" gab es sie nur in den ersten wenigen Staffeln. Eine Sparmaßnahme? Nein, kontert Nina Klink, Geschäftsführerin von Seapoint Productions. Abgeschafft wurde sie ja als die Branche noch weitaus leichter gutes Geld verdient hat. Dass man anders als "Strictly Come Dancing" in UK und anderen internationalen Adaptionen auf eine Live-Band verzichtet, erhöhe einerseits die Fokussierung auf die Tanzdarbietungen und um die gehe es. Gleichzeitig ermöglicht eingespielte Musik mehr Genre-Vielfalt als eine klassische Band abdecken könnte, höre ich. Aber fragt man woanders, dann höre ich an diesem Abend auch ein paar Mal "Schön wäre es schon."

Während der Halbfinal-Show an diesem Freitagabend wuseln und wirken rund 80 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Studio selbst. Doch die manchmal bei anderen Shows auch von den Publikumsrängen zu beobachtende Hektik im Produktionsteam, etwa vor dem Start oder der Rückkehr aus den Werbepausen - hier fehlt sie. Mancher Spruch von Daniel Hartwich löst dann das letzte bisschen Anspannung. Er selbst nutzt dafür den kurzen Weg raus aus dem Studio an die Frische Luft. Keine 30 Meter trennen ihn von der Moderationsposition gegenüber der Jury und nem Päuschen an der frischen Luft des Gewerbegebiets Köln-Ossendorf, Heimat der MMC Studios.

Die Natur einer Live-Sendung und die Erfahrungen aus all den Vorjahren haben die Wege im Studio für alle verkürzt. Das klingt logisch und wie so viel, was ich an dem Abend höre, furchtbar harmonisch, egal ob man sich mit Kolleginnen und Kollegen der Lichtregie hinter den Publikumsrängen unterhält, oder mit den Executive Producern des Formats. Man kommt nicht umher sich zu fragen. Ist diese allgegenwärtige Gewohnheit dann möglicherweise der größte Feind, wenn man sich zu sicher fühlt? Regisseur Mark Achterberg winkt ab. Live ist immer Vollkonzentration, hört man ihm in den Werbepausen zu, merkt man: Live ist sein Adrenalin.

Dabei sind die Werbepausen fast noch nervenaufreibender für ihn an diesem Abend. Der 1. FC Köln spielt parallel zur Halbfinalsendung gegen Hertha BSC. Mehrfach kippt das Spiel, mehrfach zur Überraschung der FC-Fans in der Regie, wenn sie sich in den Pausen online ein Update aus Müngersdorf holen. Insgesamt steckt in einer Staffel von "Let’s Dance" die Arbeit von weit mehr als 320 Menschen, nicht mitgerechnet all jene, die dann noch indirekt beim Sender beispielsweise die Bewerbung oder Vermarktung des Formats verantworten. 

Zuschauer-Trend: Let's Dance

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Quelle: DWDL.de-Recherche
dwdl.de/zahlenzentrale
ab 3 Jahren
14-49 Jahre

Die Crew der Sendung würde also so manches größere Flugzeug füllen, in dessen Cockpit schon seit Jahren Nina Klink sitzt und als Pilotin der Seapoint Productions mit ihrem XXL-Team, darunter den beiden Co-Piloten Nora Kauven und Jan-Philipp Scherz als Executive Producer, dafür gesorgt hat, dass "Let’s Dance" wieder einmal abhebt und zu bemerkenswerten Einschaltquoten aufsteigt. In den vergangenen Wochen waren freitags zwischen 3,5 und 4 Millionen Zuschauerinnen und Zuschauer live dabei - und das gemessen an der traditionellen Sehbeteiligung. Zeitversetzt waren es sogar noch spürbar mehr. Dabei ist die Show gleichermaßen beliebt bei Jung und Alt, also sowohl bei den berühmt berüchtigten 14- bis 49-Jährigen wie auch dem Gesamtpublikum. Und bei letzterem tat sich das private Fernsehen zuletzt immer schwerer. 

Der Erfolg von "Let's Dance" sticht heraus

Der Erfolg lässt sich also nüchtern mit Fakten untermauern. Keine andere Live-Show im deutschen Fernsehen ist so häufig so erfolgreich auf Sendung wie "Let’s Dance". Zum Vergleich: Der Überraschungshit der letzten fünf Jahre, "The Masked Singer" (ProSieben), kommt hauptsächlich dank jungen Zuschauerinnen und Zuschauern auf ein lineares Publikum von rund zwei Millionen. Auch das ausgezeichnete "Wer stiehlt mir die Show?" (ebenfalls ProSieben) erreicht in erster Linie sehr erfolgreich ein junges Publikum, insgesamt aber keine zwei Millionen Zuschauerinnen und Zuschauer pro Ausgabe - ist außerdem vorab aufgezeichnet. 

Andere Shows im deutschen Fernsehen, etwa "Klein gegen groß" im Ersten, holen zwar linear ein deutlich größeres Publikum als "Let’s Dance", gehen aber nicht live über den Sender und sind auch deutlich seltener im Programm. Wie man es auch dreht und wendet: "Let’s Dance" ist nicht erst im Jahr 2023 die ungekrönte Queen der Live-Shows. Einst war es ein großes Format von vielen, heute sticht es heraus. Und in einem Wettbewerbsumfeld in dem wahrlich nicht viel gewiss ist, bleibt die beruhigende Versicherung für Fans wie Crew: Auch 2024 wird RTL nicht auf das Tanz-Spektakel verzichten. 

Bedauerlich nur, dass der Sender zu Gunsten von Distributionserlösen gerade angesichts einer so schnellen und bildgewaltigen Show in Kauf nimmt, dass die Mehrheit der Deutschen diese Show wie auch das restliche RTL-Programm in matschiger SD-Bildqualität auf gleichzeitig über die Jahre immer größer gewordenen Fernsehgeräten verfolgt, weil die Strategie des HD-Upselling nach mehr als zehn Jahren nur bei einer Minderheit funktionierte. Dafür gibt es keine 10 Punkte.